Alicia Sérieux

Die Magie der Mandalas


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Lächeln und sah zu einem Punkt hinter mir. Ich wandte mich um und folgte ihrem Blick. In der Lobby standen mindestens zwanzig Frauen mit Blumen und Fangeschenken in den Händen. Wie Raubtiere beobachteten sie den Fahrstuhl, hoffend, dass ihr Idol jeden Moment heraustreten würde. „Oh, nein. Nein, nein. Ich bin kein Fan. Ich komme von der London Times. Ich bin für ein Interview mit Mister Advani verabredet,“ versuchte ich die Situation richtig zu stellen und fühlte mich peinlich berührt. Wie konnte sie nur glauben, dass ich eine dieser Verrückten war? „Dürfte ich dann bitte Ihren Presseausweis sehen?“ fragte die Dame höflich. „Natürlich,“ antwortete ich verwirrt, da ich bisher noch nie in eine Situation gekommen war, in der ich meinen Ausweis hatte zeigen müssen. Nach kurzem Wühlen in meiner viel zu großen Handtasche fand ich den Presseausweis. „Hier, bitte,“ sagte ich stolz und legte ihn auf den Tresen. Sie nahm den Ausweis, betrachtete ihn eingehend, nickte dann und sagte, während sie ihn mir zurückgab: „Einen Moment bitte.“ Ich nickte ebenfalls und steckte den Ausweis wieder ein. Sie nahm den Hörer und wählte. Kurz darauf schien sie jemanden in der Leitung zu haben, sprach aber so leise, dass ich sie nicht verstehen konnte. Diese Frau war ein Ausbund an Diskretion. Sie lächelte, nickte, verabschiedete sich und legte auf. Dann sah sie wieder zu mir und sagte noch immer lächelnd: „Mister Advani erwartet Sie bereits. Nehmen Sie den Fahrstuhl in den dritten Stock und gehen Sie dann nach rechts.“ „Danke sehr,“ sagte ich und wandte mich von ihr ab, um zum Fahrstuhl zu gehen. Während ich auf ihn wartete, spürte ich die bohrende Blicke der Fans in meinem Hinterkopf. So unauffällig wie möglich drehte ich mich um sah mindestens zwanzig Augenpaare, die mich neidisch anstarrten. Schnell drehte ich mich wieder um und wippte ungeduldig hin und her. Das „BING“ des ankommenden Fahrstuhls war wie eine Befreiung und ich trat schnell ein, um den Knopf für den dritten Stock zu drücken. Als sich die Tür schloss, atmete ich durch. Wieder kroch die Nervosität in mir hoch. Aber ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Es würde schon alles klappen. Ich konnte das. Das war nicht mein erstes Interview. Schnell warf ich einen prüfenden Blick in den Spiegel des Fahrstuhls. Mein Haar hatte ich hochgesteckt und mich für ein wenig Mascara entschieden, der das Grün meiner Augen gut betonte. Unter meiner Lederjacke trug ich blaue Jeans und einen beigen Pullover. Ich hatte mich für meine braunen Sneaker entschieden, da ich ein gutes Stück zu Fuß hatte gehen müssen. Wieder ertönte das „BING“ des Fahrstuhls das mir sagte, dass ich im dritten Stock angekommen war. Langsam trat ich heraus und sah nach links, dann nach rechts. Ein paar Meter weiter flankierten zwei große Männer in schwarzen Anzügen eine Zimmertür und nahmen mich sofort ins Visier. Das musste Zimmer 315 sein und diese Männer seine Leibwächter. Ich schluckte und kramte sogleich meinen Ausweis hervor. Bevor mich diese Gorillas noch mit einem dieser irren Fans in der Lobby verwechselten. Die beiden bauten sich zur vollen Größe auf, als ich endlich vor ihnen stand. Doch ich hielt ihnen meinen Presseausweis unter die Nase und sagte grinsend: „Ich habe einen Termin mit Mister Advani. Wären Sie so freundlich?“ Ohne ein Wort, doch mit einem abschätzenden Blick, klopfte einer der beiden Riesen an die Tür und sagte etwas auf Hindi. Es verunsicherte mich nicht verstehen zu können, was dieser Mann sagte. Denn es klang ganz und gar nicht freundlich. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und Ajit stand dahinter. „Miss Leah! Kommen Sie doch herein!“ rief er etwas zu überschwänglich und trat zur Seite, sodass ich eintreten konnte. „Danke sehr, Ajit,“ bedankte ich mich und betrat das Zimmer. Mir blieb fast die Luft weg. Das war kein Zimmer, das war eine kleine Wohnung! Alles war in Weiß und beige gehalten und hohe Fenster gaben den Blick auf einen großen Balkon frei. Mit dem Rücken zu mir gewandt stand Rahul Advani vor den großen Fenstern und sah hinaus. Er drehte sich erst um, als ihn Ajit ansprach. An diesem Tag trug auch er Jeans, ein hellbraunes Hemd und eine Art Strickweste darüber. Auch er schien an diesem Tag bequeme Sneaker zu bevorzugen. Mein Puls schoss in die Höhe, als er mich mit einem schwer zu deutenden Blick musterte. Er ist immer noch sauer! Ich musste etwas tun. Irgendetwas, um seinen Groll auf mich aus der Welt zu schaffen. Entschlossen trat ich auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte so selbstsicher wie nur möglich: „Hallo Mister Advani. Es freut mich, dass wir uns heute wiedersehen.“ Er zog eine seiner Augenbrauen in die Höhe und sah auf meine Hand. Mir wurde heiß. Hatte ich ihn etwa schon wieder beleidigt? Doch dann ergriff er sie und entgegnete höflich: „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Ich spürte, wie die Erleichterung mich etwas ruhiger werden ließ. Das war zumindest ein Anfang. „Gut, ich lasse euch dann mal alleine. Rahul, ich bin im Nebenzimmer und erledige noch ein paar Anrufe. Wenn du mich brauchst, ruf mich einfach,“ sagte Ajit mit zufriedenem Tonfall. Rahul nickte bloß und sah seinem Agenten nach, bis er die Tür zum Nebenraum hinter sich geschlossen hatte. Dann sah er mich wieder an. Seine honigfarbenen Augen musterten mich abschätzend. Ich wich seinem Blick aus und sah mich nach einer passenden Sitzgelegenheit um, an der wir es uns bequem machen und mit unserem Interview beginnen konnten. Im Zimmer stand ein großer, gläserner Tisch. Dieser schien mir geeignet. „Sollen wir uns setzen?“ fragte ich und wies auf den Tisch. „Wie Sie möchten,“ entgegnete er knapp und bedeutete mir mit einer galanten Handbewegung, vorzugehen. Ich ging zu dem Tisch und setzte mich. Rahul nahm mir gegenüber Platz. Mein Notizblock lag bereits auf dem Tisch, doch ich hatte keinen Kugelschreiber. Also nahm ich meine Handtasche und begann zu suchen. Ich wühlte und wühlte, wurde jedoch nicht fündig. Zwischendurch sah ich zu Rahul, der mich mit einer hochgezogenen Augenbraue beobachtete. Was für einen unprofessionellen Anblick ich abgeben musste! „Einen Moment noch. Tut mir leid,“ murmelte ich und merkte erleichtert, dass ich endlich den Kugelschreiber zwischen meinen Fingern spürte. „Na also!“ freute ich mich und ließ die Handtasche neben mich auf den Boden fallen. Auch das beobachtete er aufmerksam. Dann wandte er seinen Blick wieder von meiner Tasche ab und mir zu. „Ich hoffe, Sie hatten bisher einen schönen Aufenthalt in London,“ begann ich mit etwas Smalltalk. Er schien kurz darüber nachzudenken, dann sagte er: „Bisher kann ich mich nicht beklagen.“ Ich nickte und wartete, ob er noch etwas hinzufügen wollte. Doch das tat er nicht. Er sah mich einfach wieder mit diesem unergründlichen Blick an. Ein Blick, der mir nicht einmal andeutungsweise sagte, ob er mich leiden konnte oder nicht. Ich befürchtete, dass diese Geschichte nicht einfach werden würde. Aber unser Anfang war ja auch nicht gerade der beste gewesen. „Ich habe in der Lobby einige Ihrer Fans gesehen. Unter ihnen sind nur wenige indische Frauen. Was sagen Sie dazu, dass der indische Film auch in Europa Anklang findet?“ fragte ich. Endlich huschte ihm ein Lächeln über seine Lippen, und ich musste zugeben, dass dieses Lächeln wirklich einnehmend war. „Natürlich finde ich das fabelhaft. Ich freue mich über jeden Fan und nehme mir Zeit für Autogramme, soweit es mein Terminkalender zulässt,“ erklärte er. „Ich vermute jedoch, dass Sie in Indien um einiges mehr Aufsehen erregen als hier, nicht wahr?“ fragte ich weiter, glücklich darüber, endlich einen Zugang zu ihm gefunden zu haben. „Das könnte man so sagen, ja. Ich habe das Glück, das meine Filme äußerst beliebt sind. Im Moment zumindest,“ erklärte er. Ich nickte, machte mir eine kleine Notiz und sagte: „Sie sagen das so, als würden Sie bereits jetzt davon ausgehen, dass sich das ändern wird.“ Er schnaubte amüsiert, lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und entgegnete: „Natürlich gehe ich davon aus. Die Filmindustrie ist schnelllebig, Miss Johnson. Nicht anders als in Hollywood. Es gibt immer neuere, jüngere und bessere Schauspieler. Sich auf den Lorbeeren ausruhen heißt so viel wie von der Bildfläche zu verschwinden. Es bedeutete Stillstand und Stillstand ist der Anfang vom Ende. Wenn sich ein Schauspieler nicht immer wieder neu erfindet, wird er langweilig und wenn er langweilig wird, tritt ein anderer an seine Stelle. So einfach ist das.“ Nach seinen einsilbigen Antworten war ich nicht auf so einen Redeschwall gefasst gewesen. Doch ich musste zugeben, dass mich sein fast perfektes Englisch beeindruckte. Ich räusperte mich und sagte dann: „Ich habe aus ihrem Lebenslauf entnommen, dass Sie in Mumbai leben. Können Sie sich dort überhaupt noch einigermaßen frei bewegen?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf und entgegnete nun fast genervt: „Natürlich kann ich das nicht.“ Die Frage war blöd gewesen. Das sah ich ein. Aber ich musste das Gespräch irgendwie am Laufen halten. Doch als ich ihm in seine stolzen, honigbraunen Augen sah wurde mir bewusst, dass das nicht möglich war. Nicht, solange mein Fehler des Vortages noch im Raum stand. Also legte ich den Kugelschreiber neben meinen Block, meine Hände darauf und sagte, während ich ihm direkt in die Augen sah: „Mister Advani. Bevor wir hier weitermachen, möchte ich mich bei Ihnen für meinen gestrigen Fauxpas entschuldigen. Es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen. Ich war nicht vorbereitet, das gebe ich zu. Aber ich werde Ihnen von nun an keinen