Jasmin Schneider

Fußball für Frauen


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Lange erkundigte sich indessen gleich dreimal nach ihrem Befinden. Es war ihrer müden Miene anzusehen, dass sie nicht darauf antworten wollte. Schließlich gab sie sich geschlagen und räumte ein, ihr Tag sei die Hölle gewesen. Sarotti, endlich einsichtig, schloss die niedliche Frau in die langen Arme. Sie ließ es sich gefallen, dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen genervt.

      Um sich das Trauerspiel nicht länger anzuschauen, ging Charlie in die Küche, wo ihm auffiel, dass er vergessen hatte, warum er hier war. Nach ein paar Klimmzügen im Türrahmen nahm er ein Astra mit nach draußen, das er zu seiner Überraschung der Kleinen anbot.

      Sie lächelte, sichtlich dankbar, und setzte die Flasche kaum geöffnet an die Lippen. Mit einem beachtlichen Zug leerte sie sie fast zur Hälfte. »Kann ich gerade gut brauchen. Meine Lieblingspatientin ist heute gestorben«, einfach so, als würde sie sagen, »das Taxi ist da.« Die Flasche stellte sie auf den Tresen.

      Sarotti kam drücken, Frings beschnüffelte hingebungsvoll ihre Hosenbeine.

      Charlie fürchtete, ihre Augen könnten feucht werden, und drehte sich zur Anlage um. »Musik?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage, deshalb fiel ihm die Antwort doppelt auf.

      Sie verlangte nach Edith Piaf. Die selbstverständliche Art, die sie dabei an den Tag legte, machte ihm fast ein schlechtes Gewissen.

      »Hab ich nicht, tut mir leid«, antwortete er beherrscht. Als hätte jeder Mensch auf diesem Globus Edith Piaf zur Hand. Ausgerechnet Piaf!

      »Aber ich«, lächelte sie, löste sich aus Sarottis Fürsorge und griff nach einer schwarzen Leinentasche, die sie zuvor achtlos auf den Boden vor dem Tresen hatte fallen lassen. Als sie Charlie einen in die Jahre gekommenen iPod inklusive Verbindungskabel reichte, rutschten die Ärmel der grauen Jacke so weit über ihre Hände, dass es aussah, als hielte eine Handpuppe das Gerät.

      Die Haarwurzeln an seinem Hinterkopf begannen zu jucken, als er es entgegennahm und mit seiner Anlage verband. Wie in einem dieser Horrorfilme, in denen die Opfer reihenweise ins Gras bissen, nachdem sie sich bestimmte Filme angesehen oder Musiken gehört hatten.

      »Haste vielleicht nen Rotwein für die Nadsch?« Sarotti, der Gockel, mit dem Geldbeutel in der Hand. Hey Big Spender, oder was?

      Sie hob eine Hand – soweit man das unter der Wolle erkennen konnte – und lehnte ab. »Nee, lass mal, Bier ist schon okay!« Wie zur Demonstration nahm sie noch einen großen Schluck.

      Charlie drückte Play, unsicher, ob Edith aus dem Grab aufsteigen und seinen Laden auf ewig verfluchen würde.

      Und schon war der Raum erfüllt von Nadeschda, die ihre Schultern im Takt wog und zwischendurch Bier trank. Mit den Lippen, die tonlos die Zeilen begleiteten. Französisch. Frings an ihrer Seite. Hündisch. Sie beugte sich zu ihm und streichelte seinen schweren Kopf bis er nur noch ergeben vor sich hin grunzte.

      Charlie sah weg. Besser nicht zu Sarotti, der angesichts der gebotenen Szene einen ganz ähnlichen Gesichtsausdruck wie der Hund aufgesetzt hatte. Die Klimmzugstange! Die Klimmzugstange half immer. Doch sie hielt ihn zurück.

      »Bist du das?«, wollte sie wissen, eine Handpuppenhand zu den Bildern hinterm Tresen erhoben. Ihr Bier war alle. Hatte keine zehn Minuten dafür gebraucht.

      »Hab ich dir’s nicht erzählt?«, prahlte der Lange, »Charlie war mal Profi.«

      Ihre Lippen formten das ›Oh‹ noch bevor sie es aussprach. »Oh sorry«, sie hatte sich aufgerichtet, Frings devot zu ihren Füßen, »ich interessiere mich nicht für Fußball.« Jetzt wurde sie rot. Sie trat zum Kühlschrank, nahm ein weiteres Bier heraus und hielt sich die Flasche an die Wangen. »Was macht das?«

      Charlie kräuselte die Oberlippe. Sein Hund schlabberte seine eigene Schnauze ab, tippelte mit den Pfoten und machte einen Ton. ›Nadsch, ich hab mich in dich verknallt! Darf ich Pfötchen geben?‹.

      »Sei mein Gast«, hörte er sich sagen, im Hintergrund La Foule, ein Lied, das er noch nie gemocht hatte.

      Sarotti, violett im Gesicht, aber nicht auf den Kopf gefallen, nutzte die Freibierlaune und hechtete zum Kühlschrank.

      »Eins Zwanzig«, wollte Charlie sagen, doch Ediths rollendes R machte ihn ganz verrückt.

      »Ich meine natürlich nicht, dass es ein blöder Sport ist oder so«, sie noch ganz woanders, händeringend um Blässe bemüht. »Oh Mann, ich rede heute nur Müll! Ich sollte besser nach Hause gehen.«

      Die Musik wechselte zu L’Accordeoniste. Unerträglich! Ja, Kleine, geh nach Hause!

      »Ach Nadsch, ist doch alles nicht so schlimm!«, fand Sarotti, kam und drückte.

      »Lass mich«, zischte sie beide Hände vorm Gesicht wedelnd, dessen Farbe sich langsam normalisierte. Das Bier hatte sie auf den Tresen gestellt. In die Nähe von Charlie, der wie angewurzelt dastand, die Hände in den Hosentaschen vergraben. »Entschuldige bitte, ich bin heute kein guter Gast«, sagte sie zu ihm, »darf ich das wieder gut machen?«

      Da endlich löste sich was, kam der Stein ins Rollen. »Mein Kiosk steht jedem offen. Öffnungszeiten stehen an der Tür.«

      »Tja, dann mach ich mir doch gleich mal ein Foto davon!«

      Recht spitz, die Bemerkung. Hätte er ihr gar nicht zugetraut. Auch nicht, dass sie ein weißes Telefon aus der Leinentasche nestelte, hinausging und tatsächlich das Schild mit den Öffnungszeiten fotografierte. Frings folgte ihr und japste Zustimmung.

      Sarotti grinste. »Jetzt taut sie auf, Alter!«

      Gerade rechtzeitig, das unumgängliche La Vie en Rose im Keim zu ersticken, zerrte Charlie das Kabel aus der Anlage, als sei der iPod kontaminiert. Ihm stand Schweiß auf der Stirn.

      Sie nahm das Gerät wortlos zurück und warf es zusammen mit dem Telefon in die Leinentasche. »Man dankt.«

      Sarotti schaute verwundert. »Schmeißt du uns jetzt raus, oder was?«

      Eigentlich nicht, ich wollte nur den Fluch brechen, konnte Charlie ja schlecht sagen. Aber was anderes fiel ihm auch nicht ein. Hinter seinen Augäpfeln drückte etwas. Gleich würde er in Flammen aufgehen.

      Die Kleine hatte die Leinentasche geschultert und raste mit großen Schritten zum Ausgang. »Man sieht sich«, dann bockig, »sicher nicht!«

      Und dann war sie weg. Einfach so. Hinterließ nichts als ihre Abwesenheit im Raum. Anklagend wie eine vergebene Torchance.

      »Das hast du ja fein hingekriegt!«, beschwerte sich Sarotti. »So hab ich die Nadsch noch nie erlebt. Wie bisten du heute drauf?« Wütend nahm er sich noch ein Bier, griff gleichzeitig in seine Hosentasche und knallte zwei Euro auf den Tresen. »Stimmt so!«, dann stiefelte auch er davon. »Find ich echt Scheiße, Alter!«

      »Ach ja?«, erhitzte sich Charlie, »und weißt du, was ich Scheiße finde?«, nicht aufzuhalten, »ich finde Scheiße, dass irgend so ein braunes Arschloch mir hier die Zeitungen bepisst, weil du deinen blöden Rand nicht halten kannst!«

      Der Lange hatte die Tür schon hinter sich zugeschlagen. Draußen hob er den Mittelfinger, bevor er wehenden Haares um die Ecke bog.

      Laufen. Laufen bis der Kopf leer war. Zuerst langsam, dann immer schneller.

      Sein Ausstieg aus dem Profifußball hatte ihn schwer mitgenommen. Die ersten Jahre fühlten sich an wie freier Fall, als hätte jemand den Stecker gezogen, obwohl die Sendung noch nicht vorbei war. Mutter hatte sich Sorgen gemacht, hatte sogar Angst, er könne sich etwas antun.

      Schneller Laufen. Der Restalkohol musste raus. Zuviel getrunken gestern. Sarotti war die ganze Woche nicht mehr im Kiosk erschienen. Hatte es noch nie gegeben.

      Eiserner Wille war es, was ihm auf die Beine half, Wedding-geprägt. Dort musste man auch immer wieder aufstehen –, gerade wenn’s weh tat.

      Hans-Balluschek-Park, geradlinig, normaler Puls, leicht steigend, gut. Wind. Atmen. Die Oberschenkel jaulten, musste er jetzt durch.

      Heute