Jasmin Schneider

Fußball für Frauen


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Bierbänke, Heizstrahler, diverse Vorrichtungen für die Installation von Beamer und Boxen sowie eine große Leinwand für die richtige Atmosphäre sorgten. Der harte Kern, das waren Sarotti, Bobby von nebenan, Lucci, der Pizzabäcker, Bogdan, ein rumänischer KFZ-Meister mit Garage auf dem Pape-Areal und Tomàs Ortega, Krankenpfleger im St. Josephs; eben die Menschen, die Charlie seine Freunde nannte.

      Oberschenkel frei, Schöneberger Südgelände fast durchquert. Eisenbahnrelikte. Irgendwann hätte die Natur den Stahl konsumiert. Würde er nicht mehr erleben. Atmen.

      Prellerweg. Rechts oder links? Frings wählte das Wohngebiet. Dürften so sieben, acht Kilometer sein. Reichten heute Morgen. Noch eine halbe Stunde Bodyweight, dann war gut.

      Wieder zuhause erinnerte er sich an den abgestandenen Geruch seiner Bettwäsche. Neben der Matratze stapelten sich Bierflaschen. Einige waren umgefallen, der Restinhalt hatte sich aufs Parkett entleert.

      Angewidert verzog er sich ins Bad, duschte und stellte sich seinem Spiegelbild. Grünlich graue Augen klagten ihn aus dunklen Höhlen an. Nicht mal der für einen Blondschopf ungewöhnlich dichte Wimpernrand, auf den die Mädels so abfuhren, rettete die Gesamtnote.

      »Mann Butz, du siehst aus wie eine Niete!« Dann rasierte er sich das erste Mal seit Tagen. Als ihm das immer noch nicht ausreichte, holte er den Langhaarschneider und stutzte sein schütteres blondes Haar auf 3 Millimeter.

      »Schon besser!«, befand er grinsend. Dabei strich er sich dandyhaft über die Glatze, lachte laut krähend, begutachtete seine ungleichen Zähne und zeigte abwechselnd mit der rechten und linken Hand auf sein Spiegelbild. »Yeah Fringsie, wir sehen gut aus!«

      Während die Waschmaschine auf Hochtouren lief, drehte er die Anlage voll auf. Motörhead, Maximum Volume, hier im Pape-Areal störte das niemanden. Overkill brüllend fand er unter der kaputten Spüle eine Rolle großer Mülltüten. Only way to feel the noise is when it's good and loud. Sie füllten sich mit allerlei oberflächlichen Unrat, darunter zertretene CD-Hüllen, zerfledderte Bücher und sogar eine Schranktür. So good I can't believe it screaming with the crowd. Dann das Eingemachte. Don't sweat it, get it back to you! Bettwäsche, Kissen, Decken, den Inhalt seines Kühlschranks, verschimmelte Töpfe und noch weniger appetitliche Teller und Pfannen entsorgte er ohne weiter darüber nachzudenken. Overkill! Overkill! Overkill!

      Allein für das Einsammeln und Wegbringen der Flaschen brauchte er eine Stunde. Unterwegs kaufte er ein belegtes Brötchen und ein Croissant. Anschließend packte er den Sperrmüll in seinen geliebten, gelben sechsundsiebziger Kadett mit schwarzen Rallyestreifen, den er zärtlich Biene nannte, und fuhr ihn in drei Etappen zum Werthof.

      Er brauchte neue Bettwäsche, die alte würde bis heute Abend nicht mehr trocken werden. Sollte er Mutter um welche bitten? Blöde Idee. Wozu gab’s den Schweden?

      Rein ins Land der glücklichen Mitarbeiter, sich von Zwanzigjährigen duzen lassen, Bettwäsche kaufen, gleich das Federbett dazu, neues Kissen. Das Beste von allen. Echte Daunen, Du! Danke, Du! Expresskasse, schnell noch den fünfzigjährigen Aufpasser geduzt, da musste der durch. Du, Herr Keller, schau mal, hab ick det richdich jemacht? Charlies Krähen. Herr Keller ziemlich angepisst. Geil! Laune steigt. Mach’s gut, Herr Keller! Brummen.

      Jetzt noch Einkaufen. Waschmittel, Geschirrspülmittel, frisches Brot, Obst, Wurst, Käse und ein Stück gesalzene Butter. Lecker. Ein Salat wär klasse. Und Hähnchenbeine. Rindfleisch für Frings. Der wartete im Auto.

      Als Charlie gegen halb drei auf die frisch bezogene Matratze plumpste, roch es in der Wohnung wieder sauber. Er hatte gelüftet, gewischt und abgestaubt, sogar das Klo geschrubbt. In der Schüssel baumelte ein gelber, zitrusduftverströmender Klostein. Das reichte fürs Erste. Don’t sweat it, get it back to you!

      Nach dem Essen fuhr er noch einmal los, um eine neue Kaffeekanne zu besorgen. Als er auf dem Rückweg in die Gontermann einbog, stand auf der Straße weiter vorn ein kleiner Pulk Menschen um einen Umzugswagen. Einige der Männer trugen gelbe Westen mit der Aufschrift eines Möbelpackerdienstes. Einer von der Hausverwaltung hatte eine rote Weste über seinen schlecht sitzenden Anzug gezogen und versuchte, den anderen Anweisungen zu geben. Soweit Charlie das aus der Ferne beurteilen konnte, hörte keiner auf den Mann, was dem Idioten gar nicht schmeckte. Um dessen Unbill noch zu vergrößern, schob Charlie eine Kassette in den altmodischen Player seines Kadetts. Wieder Motörhead. Brüllend laut. Diesmal Ace of Spades.

      Frings fiepte und sprang nach vorn auf den Beifahrersitz, um dem tosenden Lärm aus den Lautsprechern hinter der Rückbank zu entgehen. Charlie lachte aus vollem Hals, kurbelte die Scheibe runter und grölte, If you like to gamble, you know that I’m your man, you win some, you lose some, it’s all the same to me. Dabei klopfte er den Takt außen auf die Tür seiner Biene. Wie erwartet fror dem Hausverwalter das Lächeln ins Gesicht. I don’t share your greed, the only card I need is the Ace of Spades, the Ace of Spades!

      Erst als im Schatten des riesigen Umzugswagens der grüne Jaguar in Sicht kam, verebbte Charlies Freude. Daneben stand die Blonde, auf dem Arm das weiße Hündchen. Ihre Miene zeigte keinerlei Regung.

      Hektisch kurbelte Charlie sein Fenster hoch. Es verhakte sich auf halber Strecke und blieb schief in der Führungsschiene hängen. That’s the way I like it Baby, I don’t want to live forever…. Die Musik! Mit aller Kraft presste er einen Daumen auf Eject. Von der plötzlichen Stille wurde er fast ohnmächtig. Frings begann ein infernalisches Gebell, das für seine übliche Stimmlage viel zu hoch war. Draußen fand der Typ in Rot den Mut, sich bebend vor Zorn dem Wagen zu nähern. Im Rückspiegel sah Charlie, wie die Blonde im Eingang der Zweiundfünfzig verschwand.

      But don’t forget the joker! Frings hatte sich beruhigt, atmete aber noch stoßweise. Kurz bevor Rotwestchen den Kadett erreichte, fuhr Charlie im Schritttempo los. Gerade etwas zu schnell für seinen Verfolger. Der Depp begann tatsächlich zu rennen! Charlie wieherte hysterisch und wischte sich mit der flachen Hand übers Gesicht. Kurz bevor er vorn an der Ecke zum Werner-Voß-Damm aus dem Blickfeld der Gontermann verschwand, hupte er noch dreimal.

      Zurück blieb ein Gefühl, das er aus Kindertagen kannte. Er hatte mit ein paar Jungs aus dem oberen Wedding Fußball gespielt und dabei die Scheibe eines Nachbarn mit zertrümmert. Es war zwar lustig zu sehen, wie die Katze hinter der Scheibe, sich und einen danebenstehenden Blumentopf vor dem Geschoss in Sicherheit brachte, aber das anschließende Gespräch mit seiner Mutter, hätte er sich lieber erspart. Und es kam schlimmer als gedacht. Hatte doch Mutter damals tatsächlich seinen Alten angerufen!

      ZWEI

      

      So I turned myself to face me

      But I've never caught a glimpse.

      Bowie, Changes, 1971

       Dabei begann der Tag so verheißungsvoll.

       Sie liegen im Bett und die Sonne erhellt ihr Gesicht bis knapp unter die Augen. Sein Herz setzt für eine Millisekunde aus. In dem sinnlosen Versuch, in ihr zu versinken, presst er seinen Körper in ihre Wärme.

       »Wenn du so weitermachst, kannst du das Spiel vergessen!«, lacht sie mit einer vom Schlaf noch ganz zerknautschten Stimme.

       Es wäre tatsächlich besser, sich zu beherrschen. Aber da sie hat sich bereits zu ihm umgedreht.

      Für die kurze Strecke bis zu seiner Bleibe machte Charlie sich nicht die Mühe, die verrutschte Autoscheibe wieder in Position zu bringen. Stattdessen öffnete er auch das Fenster auf Frings Seite, damit der Hund seinen Kopf hinausstrecken konnte. Ganz langsam fuhren sie auf das menschenleere Areal.

      Hinten stand schon Bogdan, ein vierschrötiger Rumäne, vor seiner Kfz-Werkstatt und hob die ständig ölverschmierte Pranke zum Gruß. Der Riese restaurierte alte Mini Cooper. Wie er es schaffte, an so kleinen Schrauben herumzufingern, ohne sie zu zerstören, war sein besonderes Geheimnis. Wie sein unwesentlich älterer Bruder Valentin einen Wagenverleih für Luxuskarossen am Flughafen unterhalten konnte, konnte sich auch niemand