Jasmin Schneider

Fußball für Frauen


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CDs durchkämmte. Ihre Entscheidung fiel auf Bowie, Hunky Dory. »Wie war das nun? Oder möchtest du nicht drüber sprechen?«

      Er setzte sich und wartete, bis sie die Gläser gefüllt hatte. »Wenn es dich nicht langweilt?«

      »Hätte ich sonst gefragt?«

      Charlie konzentrierte seinen Blick ausschließlich auf ihre Rippen. Viel zu mager, gar nicht weiblich. Er hob sein Glas und prostete ihr zu. Nadsch trank ihres gleich halb aus.

      »Das erste kannst du wohl nicht leiden, was?«, lachte er.

      »Das erste?«

      Er deutete auf das Glas. »Wie das letzte Mal, du hast die erste Flasche einfach weggekippt, so wie das Glas gerade.«

      Wieder der Roséton und das tonlose ›Oh‹ auf den Lippen.

      Charlie atmete scharf ein und nahm selbst noch einen Schluck. Schmeckte gut das Zeug. »Tut mir übrigens leid wegen deiner Lieblingspatientin.«

      Sie nickte. »Danke.«

      Ein Zigarettenkunde unterbrach den Anfang, den Charlie gerne gemacht hätte. Den Anfang der Fußballgeschichte.

      Rote Gauloises. Immer noch im Trend. Ach, und ein Bier wolle er auch noch mitnehmen. Es war so ein dicker Nerd mit Bart – keiner der modernen Sorte –, wohnte noch nicht lange hier. Sein Gesicht war aufgedunsen, die Haare seit Tagen nicht gewaschen. Hielt ihn jedoch nicht davon ab, die Kleine anzugaffen. Auf ihrem Oberteil hingen Hundehaare, genau da, wo vermutlich ihre Brustwarzen waren. Dazu Bowies Gesang, Oh! You Pretty Things! Don’t you know you’re driving your Mamas and Papas insane…. Gleich würde ihm Speichel aus dem Mund tropfen!

      Charlie verstellte ihm die Aussicht. »Noch was?« Viel zu scharf für den Anlass.

      Der Nerd erschrak, wurde noch blasser. Hilflos schüttelte er den Kopf, packte alles in einen Rucksack mit Star Wars Aufdruck und zahlte. Vorn bei der Tür, drehte er sich noch einmal um, stierte lüstern auf die Hundehaare und bedachte Charlie mit einem wissenden Grinsen. Dreckschwein!

      »Der arme Kerl«, meinte Nadsch im Anschluss, »sollte mal in die Sonne gehen!«

      Charlie zwang sich zu lächeln. »Sport soll da auch helfen. Schau mich an«, er zog seine Show ab, Muckimann, Dandy, Charlie. »Macht aus dem letzten Freak nen Traummann!«

      Sie lachte ganz zauberhaft, die Augen geschlossen, den Kopf im Nacken. Ihre Schultern bewegten sich im Takt mit den Hundehaaren und der Musik.

      Charlie trank einen großen Schluck, bevor er weitersprach. »Es ist keiner gekommen und meinte, hey Du da, willste bei den Berlinern spielen. So aufregend war das nicht.« Chips würden jetzt gut passen. Er nahm eine Tüte aus der Auslage und riss sie auf. »Eines Tages kam ein freier Agent zu einem Jugendspiel, besprach sich mit meinem damaligen Trainer; der wiederum sprach mit meiner Mutter. Sie war es also, die mich gefragt hat. Ganz unspektakulär.«

      »Wie alt warst du da?« Nadsch bediente sich an der Tüte, schob sich eine ganze Ladung in dem Mund und zerdrückte den Chipsberg mit der Zunge am Gaumen

      Charlie kratzte sich am Kinn und sah in eine andere Richtung. Über der Tür hingen Spinnweben, musste er gleich morgen Misses Paschke auf die Nase binden. »Neun.«

      Sie hielt beim Kauen inne. »Neun? So jung?«

      »Jung?«, er lachte. »Das ist nicht jung. Meistens werden die Jungs schon mit sechs, sieben Jahren zu den Vereinen gerufen. Wenn einer Talent zeigt, versucht man ihn einzustellen. Von Anfang an, bevor du andere Interessen entdeckst. Es gibt zum Beispiel Kids, die können einen Ball auf der Fußspitze balancieren, die geilsten Sachen damit anstellen, haben aber null Talent zum Spiel.« Er setzte sich wieder hin. »Bei mir war es die Geschwindigkeit. Ich war wendig, nicht so groß wie die anderen. Außerdem kam ich aus dem Wedding, ich mähte einfach alle nieder, die mir im Weg standen, das hat denen gefallen.«

      Wieder das hübsche Lachen. Schöne Zähne hatte sie. Ganz gerade und regelmäßig.

      »Jedenfalls hat man meiner Mutter vorgeschlagen, mich auf einer Sportschule anzumelden. In Wolfsburg haben sie mich direkt genommen. Mutter musste wegen meines Talents nicht mal was drauflegen. War das Beste, was uns passieren konnte. Mein Alter war schon lange weg und wir hatten keinen Heller zu viel. Bin ich also dahin.« Er streckte sich, weit genug, dass sein Shirt hochrutschte. »War schon seltsam, nicht mehr im Wedding und so. Hab mich aber schnell dran gewöhnt. Hey, ich war neun und spielte so ziemlich den ganzen Tag Fußball. Was kann einem Jungen Besseres passieren?«

      »Hast du deine Mutter nicht vermisst, die Schule, deine Freunde?« Nadsch zwischen zwei Händen voll Chips.

      Charlie kräuselte die Lippen. »Denke schon. Aber das waren bloß Gefühle. Die lassen sich mit Sport unter Kontrolle bringen, das lernst du ganz schnell.« Er winkte ab wie ein alter Hase. »Das war immerhin mein Job, meine Art, Mutter was zurückzugeben. Sie war hammerstolz auf mich!« Bei der Erinnerung grinste er breit. »Hat geflennt wie ein Schlosshund, als sie mich zum ersten Mal bei den Berlinern hat spielen sehen. Allein dafür hat sich’s gelohnt, weißte?«

      Sie lächelte, sagte eine Weile nichts und leckte gedankenverloren Chipsaroma von den Fingerspitzen. »Wann bist du zurückgekommen?«

      Er dachte kurz nach. »Mit Achtzehn. Ich hatte vorher schon bei Wolfsburg und anschließend bei Leverkusen gespielt. Eigentlich wollte mich Mönchengladbach kaufen, aber als das Berliner Angebot kam, hab ich meinen damaligen Trainer gedrängt, mich denen zu geben. Hat geklappt.« Er hob sein Glas, prostete ihr kurz zu und leerte es.

      Nadsch folgte seinem Beispiel. Für das zweite hatte sie wesentlich länger gebraucht. »Du magst die Berliner, oder?«

      Charlie lachte wie ein Kind. »›Nur der Verein‹ und ›In guten wie in schlechten Zeiten‹, mit solchen Sprüchen bin ich aufgewachsen. Soziale Brennpunkte haben ihre eigene Dynamik. Das ist, was die Leute nicht verstehen. Sie finden den Wedding asozial und wenn dort das ganze Jahr über die Deutschlandfahnen draußen hängen, denken sie an Rechtsruck oder Menschen ohne Hirn. Is aber nicht so. Die Spieler sind ihre Helden, weil sie teilweise – wie ich – aus ihrer Schicht kommen. Der Fußball fragt dich nicht nach deinem Zeugnis oder wie viel Kohle deine Ollen aufm Konto haben, nicht woher du kommst und ob du auch gut deutsch sprichst. Fußball ist Fußball«, er klopfte mit der flachen Hand auf den Tisch, als könnte er damit das wohlmeinende Gefühl im Raum ersticken. »So einfach ist das.«

      Sie legte den Kopf schief. »Nur der Verein, was?«

      Fand sie irgendwie cool, glaubte er und grinste. »Richtig. Nur der Verein!« Charlie musste dringend damit aufhören, sie so anzustarren, sollte aufstehen, den Kreis verlassen, bevor er sich gegen seinen Willen schloss. »Als wir abgestiegen sind, hab ich allerdings bei Werder weitergekickt.« Endlich riss er sich los, stand auf, ging nach vorn zur Tür und wieder zurück, alles mit den Händen in den Hosentaschen. Nutzte nicht viel. Er fühlte sich noch immer wohl in ihrer Gegenwart. »Und du? Bist nicht aus Berlin, oder?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich komme aus Frankfurt.« Dann rutschte sie vom Hocker und strich sich die Kleider glatt. Ihr fielen die Hundehaare auf dem Oberteil auf, und sie begann sie einzeln abzuzupfen. »Wenn ich mich vom Acker machen soll, sag einfach Bescheid.«

      Es wäre tatsächlich besser, wenn sie jetzt ging. Dann könnte er zum Sport übergehen. War dringend notwendig, seine Rübe war schon ganz weichgespült. »Wenn du nichts Besseres vorhast, kannst du gerne noch bleiben. Ich pack hier alles zusammen und dann schauen wir, was noch so geht. Hast du Hunger? Döner oder so?«

      »Solange es auch Falafel gibt, bin ich dabei.« Sie lächelte.

      »Vegetarierin?«

      »Genau. Auch das noch!« Dann wieder die wie gemeißelte Kinnpartie erhoben, den Kopf im Nacken, die angenehme Frequenz ihrer Lachmelodie.

      Er mochte Nadsch. Gefährliches Terrain. Vergleichbar mit dem gegnerischen Strafraum. Rennt man besser nicht kopflos rein. Vielleicht würde er nächste Woche diese Krankenschwester anrufen, die ihm vor ein paar Tagen ihre Telefonnummer aufgedrängt hatte.