Jasmin Schneider

Fußball für Frauen


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viel Zeit für ihre beiden Töchter gehabt. Nach dem Abi sei sie nach Berlin abgehauen, habe einfach ihr Sparbuch genommen und sich aus dem Staub gemacht.

      »Dann bist du Ärztin?« Es war recht kühl geworden und er legte ohne darüber nachzudenken einen Zahn zu. Immer Frings hinterher, der den Weg kannte und unterwegs dringende Geschäfte verrichtete.

      Nadsch konnte kaum Schritt halten. Ihre Zähne klapperten, als sie sagte, nein, sie sei bloß Krankenschwester. »Mochten meine Alten ja gar nicht.« Das anschließende Lachen kam stoßweise.

      Er blieb stehen, »entschuldige, das mit deinem Wollzelt hatte ich schon wieder total vergessen«, zog seine Jacke aus und legte sie um ihre Schultern. »Zu viele Kopfbälle, weißte?« Das anschließende Lachen blieb ihm im Halse stecken. Es war der Duft. Die Quelle waren offenbar die Haare. Irgendwie süßlich und angenehm herb zugleich. Stimulierte sein limbisches System, das mit der Ausschüttung von Endorphinen nicht mehr hinterherkam. »Jetzt besser?«

      Sie nickte, schaute ihn nicht an.

      Diesmal passte er seinen Schritt an ihren an. Ob sie den Langen hier in Berlin kennen gelernt hätte?

      Ja, sie habe eine Zeitlang in seiner WG gewohnt. Bis Daddy sie gefunden und ihr eine Wohnung gekauft habe. In Kreuzberg am Fraenkelufer. Ja genau, Bonzentochter. In ihrem feudalen Heim stehe sogar ein Klavier. Wäre ein Festessen für Sarotti gewesen.

      »Wart ihr zusammen?« Hinter der nächsten Abzweigung kam schon die Metalltür in Sicht. Charlie fixierte jeden seiner Gedanken auf das mächtige Schloss. Die Schlüssel steckten in der Innentasche seiner Jacke. Er würde Nadsch berühren müssen, um sie da raus zu nehmen.

      »Sarotti und ich?«, lachte sie, »wie soll das gehen? Abgesehen davon, dass er nicht die geringste Faszination auf mich ausübt, müsste ich mir ja einen Kran kaufen.«

      Jetzt waren sie da, standen vor seiner Tür und Charlie druckste herum. Ob sie ihm wohl die Schlüssel aus seiner Jacke geben würde. Ja, richtig, da in der Innentasche.

      Sie fielen gleich zweimal hin. Beim ersten Mal stießen sie mit den Köpfen zusammen. Vertrautes Gelächter. Ihm standen die Haare zu Berge. Als er den Schlüsselbund zum zweiten Mal fallen ließ, rief er laut: »Hab ihn!« bevor er auf den Boden klimperte.

      Endlich war die Tür auf. Nicht die geringste Faszination. Nicht die geringste!

      Frings war schon in die Küche gelaufen. Das machte es einfach, die nächsten Schritte zu planen. Napf auswaschen, Rindfleisch zerkleinern, es mit Vitaminflocken mischen. Alles ein wenig zu schnell.

      Coole Wohnung! Echt? Ne alte Malerwerkstatt? Oh wow! So viele Hanteln und Stangen überall. Ob er Bodyweight trainierte?

      Konnte es sich nicht nehmen lassen, ein bisschen anzugeben. Front- und Backlever, Human Flag, das übliche eben. Dabei bemerkte er, dass er das Shirt wechseln könnte. Er tat es, darauf bedacht, dass sie sein Tattoo sah. Tiefschwarzes Muster unter dem linken Rippenbogen, fein gearbeitet, halbrund der Körperform folgend. Was tat er da eigentlich?

      Sie wandte sich ab. Eine Brücke könne sie machen. Ja, aus dem Stand. Nee, jetzt wär blöd. Ihr Rücken sei nicht warm. Aber Handstand. Käme vom Yoga, mehrmals die Woche, mache ihren Kopf frei.

      Sie zog die Schuhe aus, wurde rot, als es beim ersten Mal nicht klappte. Dann stand sie auf den Händen, verlagerte ihr Gewicht und schaffte es sogar auf die Ellbogen und in einer schönen Biegung in den Skorpion. Beeindruckend! Charlie sagte es ihr.

      Ja. Ginge doch ganz gut mit dem Rücken. Mal sehen, vielleicht schaffe sie sogar…, sie unterbrach sich und setzte vorsichtig die Füße auf den Boden, direkt vor ihren Kopf.

      Er hielt den Atem an. Jetzt wurde es richtig heikel. Kantig und rund zugleich, wo sollte er hinsehen? Seine Körperfunktionen machten sich selbständig.

      Gott sei Dank kam Frings, gab den Seehund. Besorgte Töne. Hatte wohl Angst, sein Mädchen könne auseinanderbrechen. Sie lachte, versuchte es wenigstens, verdreht wie sie war. Charlie war baff, als sie sich beim Rauskommen einfach von hinten nach vorne auffaltete, als sei das überhaupt nichts.

      »Ich wusste gar nicht, dass man so was beim Yoga lernt«, er musste sich zwingen was zu sagen, die Löcher in seiner Abwehr waren zu offensichtlich. Wenn sie jetzt zu ihm rüberkäme, könnte er für nichts mehr garantieren.

      Tat sie aber nicht. Lächelte nur und griff nach ihren Schuhen. »Hab nen tollen Lehrer. Denis. Eigentlich ist er Chiropraktiker.«

      »Und ein guter Geschäftsmann«, fügte Charlie hinzu, »erst die Leute verbiegen und dann Kohle fürs Einrenken nehmen.«

      Sie lachten beide. Unsicher, wie es jetzt weiterging.

      Charlie klatschte in die Hände. »Wollen wir?«

      Sie nickte. Streichelte den Hund. Irgendwie unschlüssig.

      »In dem Schrank da vorne beim Eingang findest du meine Jacken, vielleicht passt dir ja eine davon.«

      Nadsch entschied sich für seine alte Levis, abgewetzte Ellbogen, keine Aufschrift, bloß ein dezenter Vereinsaufnäher vorn. War ihr zwar auch zu groß, aber im Gegensatz zur Strickjacke stand sie ihr ausgezeichnet. »Nur der Verein«, kicherte sie und strich über das Wappen. »Ist es weit bis zur Döner-Bude?«

      »Hunger?«

      »Das auch.«

      »Was noch?«

      Sie machte eine Schnute. »Na ja, ich muss mal.«

      Die fehlende Tür. »Ich warte draußen. Sieh zu, dass dir der Dicke nicht hinterherrennt. Ist nicht gern alleine hier.« Er tätschelte Frings Kopf. »Bis später, Brauner!«

      Schon bevor sie den Imbiss erreicht hatten, war ihr Gespräch verebbt. Anschließend hatte er sie noch zum Bahnhof begleitet. Es dauerte zwanzig Minuten, bis sie endlich Anschluss bekam. Die Zeit zog sich wie Kaugummi. Ihr war kalt, aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Charlie hätte sie gerne in den Arm genommen, wollte aber nicht noch mehr Öl ins lodernde Feuer gießen. Er musste nach Hause, die Turnschuhe anziehen und laufen gehen. Danach Gewichte stemmen, bis alle Gedanken an Nadsch aus seinem Kopf verschwanden.

      Als er mitten in der Nacht von der sportlichen Tortur zurückkam, fühlte er sich wie ausgepresst. Sogar seine Kiefer taten weh. Wenigstens schlief er sofort ein.

      Der Wecker bimmelte gefühlt eine Minute später. Beim Aufstehen ein wohlvertrautes Gastspiel aus Muskelkater und Kopfschmerz. Heiße Dusche, starker Kaffee, ein halber Liter Wasser. Keine Besserung. Er schluckte zwei Tabletten.

      Draußen regnete es in Strömen und jemand hatte versucht in den Kiosk einzubrechen, war aber nicht durch das Gitter gekommen. Nur die untere rechte Scheibe der Ladentür war zertrümmert.

      Er rief die Polizei. Drinnen fanden sie eine laienhaft zusammengebastelte Brandbombe. Sie hatte sich nicht entzündet, war auf dem Lottoteppich vor dem Tresen verglüht. Das Laminat darunter war an der Stelle etwas dunkler geworden.

      Im Laufe des Vormittags kamen mehr Kunden als sonst. Sprach sich schnell herum, der versuchte Einbruch. Die auffällig blonde Krankenschwester mit dem großen Busen, die ihm ihre Telefonnummer gegeben hatte, saß mit aufgeworfenen Lippen über ihrem Cappuccino am Hochtisch neben der Theke. Ob er denn heute Abend schon was vorhabe?

      Manchmal war das Schicksal gnädig mit den Seinen!

      Am Nachmittag kam Charlie endlich zu den Anrufen, die er dringend erledigen musste. Glasermeister, Versicherung, am Schluss eine Nummer im Wedding.

      Nach fünf Mal Klingeln hob ein Mann ab. Im Hintergrund dröhnten Maschinen.

      »Tach Ralle, hier ist Butz, alles prächtig?«

      Nach einer kurzen Gedankenpause kam das Getriebe auf der anderen Seite in Gang. »Mensch Butz, alter Schwede, dass du dich mal beim Fußvolk meldest! Wie geht’s? Brauchsten Fernseher?« Grollendes Lachen.

      Charlie spielte mit. Ließ ein paar lockere Sprüche los, feixte, krähte. Ralle mochte ein Krimineller