Sabine von der Wellen

Die Hoffnung aus dem Jenseits


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      Ellen hat noch etwas an meinen Haaren auszusetzen und versucht die widerspenstigen Locken über meiner Stirn in einem angedeuteten Seitenscheitel auf eine Seite zu bringen.

      Mir wird immer übler.

      Ellen huscht zu Carolin hinüber, die immer noch in der Obhut der Friseurin ist, die sie auch schminkt.

      Mein Vater kreuzt wieder auf und sagt uns Bescheid, dass der Wagen bereitsteht.

      Welcher Wagen? Ich dachte, wir nehmen den von meinem Vater?

      Ich sehe Daniel verunsichert an, der nur grinst.

      Tief durchatmend trete ins Treppenhaus, mir die Smoking Jacke über meine Weste ziehend, als bei Ellen die Tür aufgeht. Vorsichtig und schüchtern sehe ich Carolin heraustreten. Unsere Blicke treffen sich und mir stockt der Atem. Sie ist im wahrsten Sinne atemberaubend. Sie hat ein enges weißes Kleid an, das aus einer mit Perlen bestickten Korsage und einem bauschigen Rock besteht, der ihr vorne knapp über die Oberschenkel reicht und hinten in einer langen Schleppe bis zum Fußboden reicht. Durch ihre hohen, weißen Schuhe kommen ihre Beine unglaublich zur Geltung, die in einer seidigen Strumpfhose stecken, die Perlmutt schimmert. Ihre Schultern sind frei und sie trägt als Schmuck nur meine Kette und meine Ohrringe. Aber sie hat lange Handschuhe an, die ihr bis über die Oberarme reichen und genauso verziert sind, wie ihre Korsage. Ihre Haare sind an einer Seite hochgesteckt und fallen an der anderen in Locken bis auf ihre Schulter. In ihrem Haar glänzt ein Diadem.

      Ich bin überwältigt und stehe nur da wie angewachsen.

      Sie kommt langsam auf mich zu und sieht mir dabei in die Augen. „Schatz?“, haucht sie leise, als sie vor mir ankommt.

      „Du bist wunderschön“, stammele ich und komme mir blöd vor.

      „Du auch!“, sagt sie und ihre rosa Wangen werden noch einen Hauch farbiger.

      Ich strecke ihr meine Hand entgegen, die sie nimmt. Ich kann nicht anders und hauche ihr einen Kuss auf ihre Finger. Dabei sehe ich, dass einer in einer Schlinge steckt, die den Armstulpen aus weißer Spitze über dem Handrücken an passender Stelle hält. Ihre Fingernägel sind weiß lackiert und zieren irgendwelchen kunstvollen Malereien mit winzigen Steinchen.

      Mein Herz wummert dumpf in meiner Brust, als mir klar wird, dass es nun gnadenlos losgeht. Langsam gehen wir die Treppe hinunter, während ich Carolins Hand fest in meiner halte.

      Meine Eltern stehen unten am Treppenabsatz und sehen uns entgegen. Während meine Mutter mich anstarrt, lächelt mein Vater Carolin an.

      Ich verstehe seinen hingerissenen Blick. Carolin ist wirklich unglaublich schön und ich wage nicht Daniel anzusehen, solange wir auf der Treppe sind. Aber ich will seinen Blick sehen. Ihm soll wohl mittlerweile ein Licht aufgehen, dass ihm heute eine schwierige Aufgabe zuteilwird, die er nicht vermasseln darf. Als Trauzeuge muss er auf Carolin aufpassen.

      Was ich nicht wusste, was er mir aber vor kurzem sichtlich belustigt mitgeteilt hatte, das sind die seltsamen Bräuche auf Hochzeiten. Da gibt es den, dass die Braut von jungen Männern entführt wird und in eine Kneipe gebracht wird, wo sie auf Kosten den Bräutigams trinken, was reingeht. Der Bräutigam muss sie finden und die Zeche zahlen, sonst bekommt er seine Braut nicht wieder.

      Ich hatte Daniel sofort klargemacht, wenn Carolin noch einmal in meinem Leben entführt wird, warum auch immer, dann gibt es Tote.

      Der andere Brauch ist der mitternächtliche Schleiertanz. Da tanzt man unter einem Schleier und jeder, der Geld oben in den Schleier wirft, darf die Braut oder den Bräutigam küssen, während unter dem Schleier mit ihnen getanzt wird.

      Das wurde sofort aus unserem Repertoire gestrichen und war wohl der Hauptgrund, warum wir um diese Zeit, nämlich vor Mitternacht, das Fest verlassen werden. Keiner küsst meine Braut. Selbst das andere sie im Arm halten und mit ihr tanzen ist mir schon zu viel. Lauter no go´s.

      „Carolin, du bist so eine schöne Braut“, sagt meine Mutter und mein Vater bestätigt das, was Carolin erneut einen Hauch Rosa in ihr Gesicht zaubert.

      Wir gehen nach draußen und ich kann mich zu Daniel umdrehen, der mir mit leuchtenden Augen den erhobenen Daumen zeigt.

      Auf unserem Hof steht ein dunkelgrauer Bentley mit einem riesigen weißen Blumenbukett und weißen Bändern, die sich von den Blumen über die mächtige Kühlerhaube bis zu den Spiegeln ziehen und dort zu Schleifen gebunden wurden.

      Ich sehe meinen Vater perplex an, der mit glänzenden Augen mit beiden Händen einladend auf das Auto zeigt, in das wir einsteigen sollen. „Euer Brautwagen“, sagt er dabei und ich nicke. Das war mir schon klar.

      Der Fahrer kommt um das Auto herum. Er ist ein junger Bursche in einer schnieken Uniform, der uns die Tür aufhält, nachdem er sich als „Timo“ vorstellte.

      Carolin sieht mich nur an, als verstehe sie die Welt nicht mehr und ich schenke ihr ein Lächeln. Alles was jetzt passiert, werden wir überstehen. Und eigentlich hat mein Vater recht. Dies ist das richtige Gefährt für unseren Tag.

      Auf dem Vordersitz finden wir den Brautstrauß, den Carolin von dem Fahrer entgegennimmt, der uns aufmunternd entgegenlächelt.

      Ich werfe Daniel einen schnellen Blick zu, der mich nur seltsam mustert. Weiß er, was in mir und Carolin vorgeht? Ahnt er, dass ich langsam in Panik ausbreche?

      Ich setze mich neben Carolin, die verlegen wirkt. Als die Türen des Autos sich hinter uns schließen, atme ich auf. Endlich sind wir einen Augenblick allein.

      In dem sauberen und nach Leder riechenden Wagen sitzend, der in seiner eleganten schwarzen Lederausstattung und dem vielen Holz wie ein Wohnzimmer wirkt, nimmt sie meine Hand. „Das ist wie im Märchen“, sagt sie leise und klingt erschreckend verunsichert.

      „Ich wusste das mit dem Auto auch nicht. Ich dachte, wir nehmen Papas Merc.“

      „Und die Blumen darauf. Unglaublich! Jeder wird wissen, dass wir zu unserer Hochzeit fahren.“

      Ich sehe mich um und raune: „Aber die Scheiben sind getönt. Es sieht so aus, als wenn hier irgendein König mit seiner Königin zu seiner Hochzeit fährt. Und du bist meine Königin.“ Ich sehe ihr in die Augen und küsse ihre Fingerspitzen.

      „Oh Mann, Erik, ich weiß nicht, ob ich das überstehe!“

      Ich kann ihr nur ein etwas verlorenes Lächeln schenken. „Wir haben schon viel Schlimmeres überstanden. Und denk immer daran, dass dies der einzige Weg ist, das zu bekommen, was wir wollen: Uns!“

      Ich spüre durch diese ganze Situation langsam etwas in mir hochkriechen, dass sich warm und weich anfühlt und voller säuselnder Gefühle nach außen drängt. Etwas, das weder ich noch sonst jemand in dieser Welt in mir vermuten würde. Nur dieses wunderschöne, zarte Wesen neben mir weiß um diesen Umstand, denn sie hat dieses Etwas zutage gefördert.

      „Ich liebe dich!“, sage ich und sie erwidert leise und mit leicht zittriger Stimme: „Ich dich auch.“

      Die Fahrertür wird geöffnet. Der Fahrer steigt ein und lässt die Tür ins Schloss fallen. Er dreht sich nicht um, sieht uns aber durch den Rückspiegel an.

      „Endlich mal ein junges Paar“, sagt er und grinst. „Ich dachte schon, die Romantik wäre bei den jungen Leuten vollends ausgestorben. Aber es gibt sie noch, sehe ich.“

      Ich werfe Carolin einen schnellen Blick zu. Der hält uns für schwer romantisch. Wenn er wüsste, dass dieser Traum gar nicht unserer ist …

      „Fahren wir direkt zum Rathaus?“, frage ich ihn, um das Thema nicht weiter zu vertiefen.

      „Ist so geplant. Aber der Weg ist verdammt kurz.“ Der junge Mann dreht sich zu uns um und fragt verschmitzt: „Ihr könnt jetzt wählen. Sofort zum Rathaus und zu euren Gästen und eurer Familie oder noch einen kleinen Abstecher durch die Stadt.“

      Wie aus einem Mund sagen Carolin und ich: „Wir nehmen den Abstecher.“

      Unser Chauffeur lacht, was seine blauen Augen funkeln