Weltteilen liegen zu Hunderten die Briefe von Leuten vor, die im Seemannsheim Zuflucht gefunden hatten, und welche nicht genug Worte des tiefen Dankes finden können, wie das Ehepaar Titze ihnen seinerzeit einmal geholfen hat. Die Deutsche Kolonie verliert an dem Verschiedenen einen ganz vortrefflichen Mann, der so nicht nieder zu ersetzen sein wird, denn Herr Titze hat mit nimmermüdem und freudigem Herzen das Deutsche Seemannsheim volle 17 Jahre lang geleitet.
Unter sehr großer Beteiligung wurde der Seemannsvater am 10. August nachmittags 4 Uhr zur letzten Ruhe bestattet. Der Deutsche Sängerbund zu Valparaiso gab der Feier noch durch ein passendes Lied im Hause ein würdiges Gepräge. Bei strömendem Regen- wurde der Leichnam dann hinausgetragen – „ein echtes Seemannsgrab“. –
Auf den Deutschen Friedhof zu Playa, Ancha sprachen Pastor Schmidt und der Generalkonsul Dr. Soehring ergreifende Worte. Letzterer hob besonders hervor, dass Herr Titze Tausenden von Landsleuten an der ganzen Westküste, so auch drüben in der Heimat unvergesslich bleiben wird, und schilderte in schlichten Worten das Leben und Wirken des so früh Dahingeschiedenen.
Mögen viele seiner, treuen Freunde bei ihrer Durchreise hinaufgehen nach Beinar Ruhestätte und ihn nicht vergessen!
Valparaiso, im August 1929
Erinnerungen des Stadtmissionars Philipp Schmidt
Philipp Schmidt – geboren am 17.06.1869 – Eintritt am 11.09.1893 – Einsegnung am 1.05.1899 – verstorben am 24.07.1957
Im Internet: https://sites.google.com/site/rauheshausdiakone/schmidt-philipp
http://rauheshausbruder.klack.org/seite1.html
http://rauhes-haus-diakon.npage.de/schmidt-philipp.html
Jugendjahre
Als ich 6 Jahre alt war, besuchte ich die Volksschule in unserem Nachbarort Grebenroth. Alle Klassen wurden gleichzeitig in einem Raum von einem Lehrer unterrichtet. Mein erster Lehrer hieß Datz und soll recht tüchtig gewesen sein, war aber sehr jähzornig. Wenn er in Fahrt kam, konnte er an einem Ende anfangen und einen nach dem anderen über die Bank ziehen und verprügeln. Zum Glück hatten wir ihn nur zwei Jahre lang. Dann wurde er versetzt. Der neue Lehrer war vorher an einer städtischen Fortbildungsschule gewesen, so dass wir gut mit den Stadtschülern mithalten konnten.
In unserer Freizeit führten wir die üblichen Jugendstreiche durch: Selbst gefangene Forellen und Krebse schätzten wir als besondere Leckerbissen. Wir ärgerten den Müller, indem wir das Wehr des Wasserwerkes abstellten, und wir mussten dann schnell sein, wenn er mit seinen Hunden kam. Außerdem mussten wir uns mit dem Feldhüter herumärgern, denn der hatte auf das Obst aufzupassen.
Jeden Herbst, wenn es kalt wurde, kehrte ein alter Rheinflößer in unser Dorf ein. Er hatte sein Leben auf dem Rhein zugebracht und konnte jetzt nicht mehr arbeiten. So schlug er sich den Winter über bei den Bauern durch. Für uns Kinder waren seine Erzählungen an den Winterabenden sehr spannend. Im Frühjahr verschwand er dann wieder stillschweigend.
Ich erinnere mich auch an einen Handwerksburschen, der bei uns betteln kam und den mein Vater zur Drainierung der Wiesen einsetzte. Er war uns Kindern ein guter Kamerad, da er uns nicht nur Geschichten erzählte, sondern aus Weidensträuchern auch Flöten und Schalmeien bastelte.
Zum Konfirmationsunterricht mussten wir ins Nachbardorf. Er dauerte nur 4 Monate, von Februar bis Pfingsten. Dieser Unterricht hat mir nicht viel gegeben, da er gerade in die Zeit eines Pfarrerwechsels fiel. Zur Konfirmation ging der Förster mit uns in den Wald, und wir mussten Birkenstämme abhauen, mit denen die Kirche geschmückt wurde, so dass sie einem Birkenwald glich. Meine Konfirmation war keine große Festlichkeit. Lediglich von den Patenonkeln und -tanten erhielt ich ein Geschenk von 5 Mark.
Nun kam die Berufsfrage an mich heran. Ich wäre gerne Lehrer geworden, aber für einen Landjungen war es schwierig, auf das zuständige Seminar in Usingen zu kommen. Unterbringung und Schulgeld für das Seminar konnten meine Eltern nicht bezahlen. So musste ich bei meinen Eltern in der Landwirtschaft helfen. Von unserem Lehrer erhielten wir mit mehreren jungen Leuten abends etwas Fortbildungsunterricht. Von einem alten Kellner, der in Frankreich tätig gewesen war, lernten wir etwas Französisch. In dieser Zeit starb meine Mutter, was mir sehr nahe ging. Da mein Vater Kirchenvorsteher war, half ich dem Pastor sonntags bei der Kinderlehre. An den langen Winterabenden kamen wir auch mit den Mädchen in den üblichen Spinnstuben zusammen. Es wurden Geschichten erzählt und Volkslieder gesungen. Dazu gab es Kartoffelpuffer. Inzwischen war ich 17 Jahre alt geworden und musste daran denken, einen Beruf zu ergreifen. Vom Freundeskreis der Anstalt Scheuren bei Nassau ging eine pietistische Bewegung aus, die auch durch die sogenannten Stundenhalter in unser Dorf kam. Unter dem Einfluss unseres Pastors fasste ich den Entschluss, Missionar zu werden. Ich bewarb mich als Missionsschüler bei der Baseler Mission. Es wurde mir jedoch mitgeteilt, dass ich noch zu jung sei. Man riet mir, mit dem Eintritt bis zu meinem 20. Lebensjahr zu warten. Die Missionsgesellschaft legte Wert auf Männer, die sich bereits in einem praktischen Beruf bewährt hatten.
So ging ich dann mit meinem Vater die sieben Stunden Fußweg nach Wiesbaden, um eine Lehrstelle als Stellmacher zu suchen. Wir ließen uns in Wiesbaden von einem Diakon Kaiser beraten, der ein Freund meines Vaters war. Ich war kaum ein Vierteljahr in der Lehre, da bekam ich Anfang März die Nachricht, dass mein Vater schwer erkrankt sei und nach mir verlange. Trotz Schnee und Glatteis im März machte ich mich auf den Weg. Nach Mitternacht traf ich im elterlichen Haus ein. Als mein Vater mich sah, sagte er „endlich“, streckte sich aus - und war tot. Nun war ich 17 Jahre alt und hatte weder Vater noch Mutter.
In meiner Lehrstelle hatte ich es verhältnismäßig gut. Mit den Gesellen kam ich auch gut zurecht. Morgens um 5 Uhr stand ich auf und ging in die Werkstatt. Um 6 Uhr gab es Morgenkaffee, um 10 Uhr Frühstück, und um ½ 1 Uhr wurde zu Mittag gegessen. Nachmittags um 4 Uhr gab es noch eine Tasse Kaffe und eine Schnitte Brot. Dann wurde bis abends um 8 Uhr durchgearbeitet. Abends ging ich meistens noch etwas in die Stadt. Samstags war von 8 bis 10 Uhr Fortbildungsunterricht in Zeichnen, Rechnen und Deutsch.
Öfter ging ich in den Jünglingsverein, den ein Diakon Zimmermann aus Krischona leitete. Die Form des Umganges dort gefiel mir jedoch nicht so sehr. Wir wurden nicht gefragt: „Wie geht es dir?“, sondern „Wie geht es deiner Seele?“ Hier habe ich für meinen späteren Beruf gelernt, wie man es nicht machen soll. Meine Lehrzeit von 2 ½ Jahren ging zu Ende, und ich musste als Gesellenstück vier Kutschenräder anfertigen. Sie wurden für gut befunden, und ich wurde frei gesprochen.
Inzwischen war ich auch in dem Alter, dass ich meiner Militärpflicht genügen musste. Bei der Musterung wurde ich für tauglich befunden und sollte zur Feldartillerie. Aber ich war bereits überzählig und wurde in diesem Jahr nicht mehr eingezogen. So fuhr ich zu einer befreundeten Familie nach Wuppertal. Im Frühjahr wollte ich mit meinem Freund Wilhelm auf Wanderschaft gehen.
In dieser Zeit lernte ich meine spätere Frau Lina kennen. Wir ahnten damals noch nicht, dass wir 10 Jahre warten müssten, bevor wir heiraten könnten. Im Frühjahr marschierte ich mit meinem Freund Wilhelm über Nassau, Ems, Koblenz bis nach Köln. Wir haben uns nirgends lange aufgehalten. In Bonn schliefen wir in einer sehr schönen, sauberen und nett gehaltenen Herberge. In Köln bekamen wir beide Arbeit, ich in einer Wagenfabrik, Wilhelm in einer größeren Tischlerei. Wir bewohnten gemeinsam ein Zimmer. Später wanderten wir nach Düsseldorf. Ich nahm dort Arbeit in einer Wagenfabrik an. Hier machte ich auch die erste Bekanntschaft mit den Gewerkschaften, da die älteren Gesellen mich in die Versammlungen mitnahmen.
Im Januar 1891 erreichte mich plötzlich der Befehl, mich beim Infanterieregiment in Diedenhofen in Lothringen zu melden. Ich verließ Düsseldorf und nahm meinen Weg über die Heimat. In Koblenz besichtigte ich eine Filiale der Scheurener Anstalten in Langau, wo Lina inzwischen als Gehilfin eingetreten war. Nach einem Fußmarsch von 10 Stunden erreichte ich Wiesbaden, wo ich mich bei der Bezirkkommandantur