drei bis vier Tage abgefahren. Das war für ein Vereinshaus natürlich eine Unmöglichkeit. Wenn die Tonne vor der Abfahrt voll war, musste der Inhalt manchmal im Garten eingegraben werden. Eine reichlich gefüllte Tonne führte zu Auseinandersetzungen mit den Abfuhrleuten. Wir mussten dann mit Zigarren und Trinkgeldern nachhelfen. Als im Jahre 1904 das Haus renoviert wurde, bekamen wir zwei Spülklosetts, eins unten, eins oben. Durch einen kleinen Umbau wurde auch eine Teeküche für die Bewirtung der Heimbesucher eingerichtet. Der Nähverein konnte in dem großen Saal untergebracht werden, so dass wir unsere Wohnung endlich für uns hatten.
Am 3. November 1901 wurde unsere Elisabeth geboren. Es war an einem Sonntag. Am Vormittag hatte ich noch mit dem Chor der St. Pauli-Kirche geübt, und am Nachmittag veranstalteten wir einen Musiknachmittag im Altenheim. Als ich den Chormitgliedern sagte, dass ich inzwischen Vater eines zweiten Kindes geworden sei, wollten sie es nicht glauben. Niemand hatte bemerkt, dass bei uns ein solches Ereignis bevorstand, nicht einmal die Damen vom Nähverein, die sonst alles sehr schnell spitz bekamen, was bei uns im Hause passierte.
Meine Frau war jetzt mit beiden Kindern reichlich überfordert, zumal sie abends auch noch in den Vereinen tätig war. Der Vorstand hatte ein Einsehen und stellte uns die Mittel für die Anstellung einer Reinigungskraft zur Verfügung. So vergingen 10 schöne Jahre.
Wir hatten einen wundervollen Garten hinter dem Hause, und so blieb es unseren Kindern erspart, die Straße als Spielplatz benutzen zu müssen. Schwer war es allerdings für unsere Kinder, mit ansehen zu müssen, wie andere Eltern sonntags mit ihren Kindern spielten, während ich immer dienstlich gebunden war. Zum Ausgleich habe ich mich immer bemüht, den Montag als „Pastorensonntag“ für meine Familie frei zu halten, den wir vielfach zusammen mit anderen Berufskollegen und deren Familien verlebten.
Bedrückend war für uns, dass unsere Tochter eine Gehbehinderung hatte, die nur von einem „berühmten Arzt“ in Hannover kuriert werden konnte. Die Trennung fiel unserem Kind sehr schwer. Auch die Kosten für die Heilung waren sehr erheblich, aber die Innere Mission hat uns eine großzügige Unterstützung gewährt, zumal ich ja nur ein geringes Gehalt bekam. Unsere Tochter konnte anschließend mühelos größere Wanderungen mit uns unternehmen.
Unser Sohn kam mit 6 Jahren in die St. Pauli-Kirchspielschule. Sein erster Lehrer hieß Wilhelm Hax, der Sohn des ersten Stadtmissionars in der Süderstraße. Auch von der Lehrerin war er so begeistert, dass er sie vom Fleck weg heiraten wollte. Später besuchte er eine private Vorschule zur Vorbereitung auf die höheren Schulen in der Brautstraße. 1920 kam er in die neu eröffnete Realschule der Neustadt, und da er gute Anlagen zeigte, später auf das Realgymnasium in der Kaiser-Friedrich-Straße. Mit unserer Tochter ging mir der Schulunterricht nicht schnell genug und ich wurde oftmals sehr ungeduldig. Meine Frau sagte dann immer: „Geh du man an deine Arbeit, und lass mich das machen.“ Ich merkte dann, dass ich für diese Aufgabe zu ungeduldig war. Mit vereinten Kräften schafften wir es dann doch, dass sie in die Vietor-Schule aufgenommen wurde, in welcher sie sich bald zu einer der besten Schülerinnen empor arbeitete. Später kam sie auf das Oberlyzeum und wollte gern Lehrerin werden. Das war die erste Serie unserer Kinder.
1911 und 1915 kam die zweite Serie hinzu. Die Großen waren über die Neulinge sehr erstaunt, aber bald nahmen sie sich unserer Kleinen mit Liebe an. Sie haben uns bei der Erziehung fleißig unterstützt und hingen mit großer Liebe an ihren Geschwistern. Wir Eltern, die wir ja unsere Arbeit in der Gemeinde hatten, sind ihnen dafür zu großem Dank verpflichtet.
Sorgen machten uns oft die Kinderkrankheiten, zumal es damals noch nicht, wie heute, die geeigneten wirksamen Medikamente gab. Ich selbst konnte die Sorge nicht los werden, wie weit ich unsere Kleinen noch ins Leben hineinführen könnte, zumal ich damals ja bereits 46 Jahre alt war und meine Gesundheit auch nachließ. Vermehrt wurden unsere Sorgen dadurch, dass ihre Jugend gerade in die Kriegszeit 1914-1918 fiel. 1916 war ein Hungerjahr, und ich fuhr oft mit meinen Kindern mit einem Handwagen auf die Parzelle, um etwas Gemüse zu ernten. Meine Frau musste bei vier Kindern das Brot sehr genau einteilen.
Mit meiner Gesundheit stand es nicht zum Besten. Ich litt an einer Magen- und Darmstörung. Der Arzt schickte mich zu einer Kur nach Bad Meinberg, aber hier verschlimmerte sich mein Leiden durch die schwefelhaltige Quelle noch mehr. Professor Dr. Stoevesandt stellte mir dann ein geeignetes Diätrezept zusammen, so dass ich dadurch viele Jahre ohne Beschwerden war.
1939 holte ich mir einen Beckenbruch, als ich beim Anbringen der angeordneten Verdunkelung von der Leiter fiel. In den vielen kalten Nächten im Luftschutzkeller holte ich mir 1944 eine Lungenentzündung. Seltsamerweise blieb ich dann in meinen späteren Lebensjahren bis ins hohe Alter hinein völlig gesund.
Philipp Schmidt als Stadtmissionar
Meine Arbeit als Stadtmissionar
Bei den Jubiläen und anderen besonderen Feiern wurde in den Kreisen der Inneren Mission scherzhaft gesagt, ich sei keine „Posaune“ gewesen, ich habe nicht „tönen“ wollen, und damit hat man wahrscheinlich die Wahrheit getroffen. Es lag mir nicht, „zu predigen“. Gewiss habe ich auch predigen müssen, sehr oft in den Vereinen, in den Bibelstunden, in den Kinderstunden und anderen Veranstaltungen der Bremer Kirchengemeinden. Aber mir lag mehr an einem schlichten, warmherzigen Zeugnis, als an forschen Predigten. Mir ging es darum, die Kreise christlich fundierter Gemeinschaft in freundschaftlicher Art zusammenzuhalten und darin Gottes Wort schlicht und zeitgemäß zu verkündigen.
In meiner Arbeit wurde ich stark unterstützt von meiner Frau und später von den heranwachsenden Kindern, die sich in die große Hausgemeinschaft der Süderstraße 30 a mit einfügten. In diesem Bestreben wurde ich in meinen Kreisen verstanden. Ich stellte nie meine Führerschaft heraus. Sie wurde aber in all den Jahren meiner Wirksamkeit auch nie übersehen oder angezweifelt. So sind alle meine Arbeitskreise mit mir durch die Krisen der Zeit hindurch gegangen, ohne dass es zu irgendwelchen Problemen kam. Unser ganzes Gemeinschaftsleben war durchdrungen von einem Geist gegenseitiger Hilfsbereitschaft, der sich auch zu Hause auswirkte. Auch die Vereine unterstützten sich untereinander gegenseitig. Hatte der Jungmännerverein eine Feier, so half der Chor selbstverständlich mit seinen Liedern. Die Jungen dagegen begeisterten die anderen Vereine gerne mit Aufführungen oder turnerischen Darbietungen. Die Kinderkreise erfreuten „die Alten“. Jeder diente mit der Gabe, die ihm beschieden war.
Als das Haus zerstört war, hat mir mancher, der hier eine starke Bereicherung seines Lebens gefunden hatte, gesagt, wie lieb ihm diese Gemeinschaft geworden war. Der ganze Zuschnitt der Arbeit hatte etwas Konservatives an sich. Die Kinder, die den Kindergottesdienst besucht hatten, gingen später über die Vereine, haben hier auch vielfach den Partner fürs Leben gefunden und schickten später wieder ihre Kinder zu uns, so dass aus manchen Familien schon die dritte Generation bei uns war.
Kindergottesdienst
In den ersten sieben Jahren hatte ich an zwei Stellen Kindergottesdienst zu halten, am Vormittag in der Süderstraße, am Nachmittag in der Hohentorstraße. Im Johann-Heinrich-Stift hatten wir mehrere Räume zur Verfügung und konnten 200 bis 250 Kinder aufnehmen. Hier half Frau Baronin von Uexküll sehr fleißig mit. In der Süderstraße hatte ich nur einen Raum, musste die Kinder allein unterrichten und hatte nicht gern mehr als 40 bis 50 Kinder dabei. Es lag mir daran, dass die Kinder neben der kirchlichen Unterweisung erst einmal viele Lieder lernten, die sie später auch ins Leben mitnehmen konnten. Es kamen vielfach Kinder aus den ärmsten Schichten zu mir, aus den Häusern und Gängen der Neustadt, deren Familien vielfach keinerlei Verbindung mehr mit der Kirche hatten. So war es mein Bemühen, sie in dem entsprechenden Alter den Pastoren der St. Pauli-Gemeinde für den Konfirmandenunterricht zuzuführen. Vielfach bekamen dadurch auch die Eltern Verbindung mit der Kirche. Beim Ausscheiden aus dem Kindergottesdienst bekamen die Kinder ein Neues Testament oder ein Gesangbuch von mir. Meinem Vorgänger Hax passierte einmal, dass zur Weihnachtszeit die Kinder ein kleines Büchlein und einen kleinen Klaben bekamen. Während seine Frau oben im Raum die Geschenke austeilte, stand Hax bei den wartenden Kindern vor der Tür. Da kam ein Junge die Treppe herunter und rief den anderen