Malte Ubben

Weißschwarz


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Tom in seine Gedanken hinein.

      Die Ahornallee lag nur zwei Straßen von Toms Haus entfernt.

      Er winkte das nächste Taxi heran, versicherte dem Fahrer, dass er genug Geld für die Fahrt hatte und stieg ein.

      Das Taxi schlängelte sich durch den leichten Verkehr von Königsdorf und das Taxameter ging nach oben.

      Miesmutig zahlte Tom die siebzehn Euro fünfundneunzig und betrat dann das Grundstück der Schmidts. Darauf stand ein kleiner, grauer Betonbau, dessen Fenster von bunten Gardinen geziert wurden.

      Auf dem kleinen Rasenstück auf der Hausvorderseite lagen unzählige Blumen und Gedenkschleifen und Tom wurde bewusst, dass Frau Schmidt ihre gesamte Familie verloren hatte.

      Der Vater war tot, ebenso der Sohn, wie Tom vermutete.

      Ja, unterbrach Pharasen seine Gedanken.

       Holger ist tot. Unser Anführer ist durch ihn hindurchgegangen.

      Das war also der Beginn von allem, dachte Tom zurück.

       Der Beginn einer dunklen Zeit.

      Tom schritt langsam über den Pflasterweg, der zur Haustür führte. Er musste dreimal klingeln, bis jemand kam.

      Seine Knie schlotterten vor Nervosität.

      Reiß dich zusammen, mahnte Pharasen.

      Dann öffnete eine Frau die Tür.

      Sie hatte blonde Harre und trug schwarze Kleidung. Tränen liefen ihr noch immer über die Wangen.

      „Guten Tag Frau Schmidt, ich heiße Tom Becker. Entschuldigen Sie bitte die späte Störung. Ich weiß, dass alles sehr schwer für Sie ist, aber dürfte ich mich einmal in Holgers Zimmer umsehen? Es ist doch dort passiert, oder?“

      „Ja“, schluchzte sie, „dort ist es passiert, aber was willst du da? Ich lasse doch nicht wildfremde Leute in mein Haus!“

      „Wie Sie vielleicht wissen, verdächtigt die Polizei Holger des Mordes an seinem Vater.“

      „Holger war das nicht“, sagte Frau Schmidt fest und wollte dann die Tür zuschlagen, doch Tom schob seinen Fuß dazwischen.

      „Warten Sie, Frau Schmidt, ich will versuchen, Holgers Unschuld zu beweisen. Das hätte aber einen Haken“, rief Tom durch den Türspalt.

      Frau Schmidt machte die Tür wieder auf.

      „Was denn für einen Haken?“, fragte Holgers Mutter unsicher.

      „Ich müsste dann davon ausgehen, dass Ihr Sohn tot ist“, sagte Tom traurig.

      „Das ist immer noch besser, als wenn er ein brutaler, von zu Hause weggelaufener Mörder wäre. Ich bin einverstanden, aber Holgers Zimmer ist, wie dieser Kommissar - Koch hieß er, glaube ich - mir eingeschärft hat, ein Tatort. Ich weiß nicht, ob…“, sagte Frau Schmidt und schnäuzte sich mit einem besonders großen Taschentuch die Nase.

      „Keine Sorge, der Kommissar hat es mir erlaubt. Rufen sie ihn ruhig an!“, fügte Tom schnell hinzu und reichte die Karte mit Kochs Telefonnummer an Holgers Mutter weiter. Sie verschwand im Haus und kehrte einige Augenblicke später wieder zurück.

      „Also gut, komm herein. Holgers Zimmer ist die Treppe rauf

      und dann oben rechts…“, dann fing sie erneut zu weinen an und Tom beeilte sich, die Stufen hinter sich zu lassen.

      Holgers Raum war das am farbenfrohsten eingerichtete Zimmer, das Tom je gesehen hatte. Die Fenster waren mit Basteleien verhängt, auf der Tapete fuhren kleine Segelschiffe über haushohe Wellen, der Teppich war mit allen Farben des Regenbogens bestückt, ebenso wie Holgers Bett. Auf dem Schreibtisch stand ein großer Computer.

      Dann wollen wir mal überlegen. Holger hat wohl sehr oft am Computer gespielt. Lass uns den einmal hochfahren, meinte Pharasen.

      Ja, das Spiel, von dem in der Zeitung die Rede war, will ich gerne mal sehen, dachte Tom.

      Was denn für ein Spiel?, bohrte der Nachtwandler nach.

      Es fiel Tom wieder ein, dass sein neuer Begleiter ja nichts von dem Zeitungsartikel wusste.

      In der Zeitung stand, dass Holgers Verhältnis zu seinem Vater etwas gestört war. Er soll ein Spiel entwickelt haben, in dem man Figuren töten muss, die wie Holgers Vater aussehen.

      Da hat Sclair mal wieder ganze Arbeit geleistet, sagte Pharasen, wohl mehr zu sich selbst.

      Wer bitte?, fragte Tom.

      Unser Anführer. Du sagst, angeblich sei das Verhältnis zwischen Vater und Sohn schlecht gewesen? Dann lass uns mal nach etwas suchen, das diese Aussage widerlegt. Auf Computern sind doch oft Bilder drauf, oder?, fragte Pharasen forschend.

      Ja, erwiderte Tom.

      Er setzte sich an Holgers Schreibtisch und suchte auf der Benutzeroberfläche nach dem Bilderordner. Prompt fand er ihn. Es waren sogar Bilder vom Mordtag dabei (unter dem Titel „Beweis, dass mein Vater beim Mensch-ärgere-dich-nicht schummelt“). Tom sah sie sich an. Ihm war klar, dass die Bilder mit der Webcam, die auf dem Bildschirm stand, heimlich aufgenommen worden waren. Tom war erleichtert darüber, dass die Polizei den Computer schon wieder zurückgebracht hatte. Vermutlich war außer des Spiels nichts darauf zu holen gewesen.

      Dann konnte er leise Stimmen reden hören.

      Du hast gerade nichts gesagt, oder?, fragte Tom seinen Begleiter.

      Nein, antwortete Pharasen konzentriert, ich sehe mir gerade die Bilder an. Vergrößere das Erste mal.

      Okay, sagte Tom und konzentrierte sich nun auch auf den Bildschirm. Er klickte doppelt auf das erste Bild.

      Es zeigte Holger und seinen Vater beim Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Sie wirkten alles andere als angespannt, im Gegenteil, sie lachten sogar.

      Unglaublich, scherzte Pharasen, wie mordlüsternd Holger seinen Vater anschaut.

      Das ist nicht witzig, schimpfte Tom und fügte dann hinzu: Die Bilder sind wohl durch einen Zeitauslöser entstanden.

      Plötzlich waren Schritte auf der Treppe zu hören. Tom drehte seinen Stuhl und starrte auf die Tür.

      Die öffnete sich und schließlich schritt Juliet Filzer ins Zimmer. Toms alte Freundin hatte ihr braunes, glattes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trug einen schwarzen Mantel, den sie bis unters Kinn zugeknöpft hatte, wohl um ihre Trauer gegenüber Frau Schmidt auszudrücken. Sie trug außerdem ihre goldenen Ohrringe. Ihre braunen Augen funkelten überrascht, als sie Tom sah.

      Tom wusste, dass Juliet sich für das schönste Wesen auf Gottes Erden hielt, aber er musste zustimmen, dass es die Wahrheit war. Seit ihrer Dates hatte er fast vergessen, wie hübsch sie war.

      Tom wurde innerlich ziemlich wütend, als er bemerkte, wie Pharasen sich fast kaputtlachte und keuchte:

       Meine Güte ist da aber jemand verschossen. Da hat sich wieder einmal erwiesen, dass du froh sein kannst, dass ich diesen Peterson ums kleine Eck gebracht habe. Er hat euch, wie ich mir gerade anschaue, ja auseinander gebracht. Tolle Idee mit dem Hundemist, übrigens. Aber ich muss zugeben, dass du einen guten Geschmack hast.

      Tom musste sich bemühen, äußerlich ruhig zu lächeln, während er innerlich schnauzte, dass Pharasen sich aus seinem Privatleben herauszuhalten habe.

      Wieso kannst du auf einmal in meinen Erinnerungen lesen?, fragte er wütend in seinen Kopf.

      Das konnte ich schon die ganze Zeit, lachte Pharasen.

      Und wieso zum Donnerwetter musste ich dir dann das mit dem Zeitungsartikel nochmals erklären? Hättest du das nicht auch nachschauen können?, fauchte Tom.

      Natürlich, aber da hatte ich keine Lust, gähnte Pharasen scheinbar gelangweilt, aber Tom konnte schon wieder den Anflug eines Lachens