Malte Ubben

Weißschwarz


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gut, ich glaube dir, dass du es nicht bewusst gemacht hast, vielleicht standest du ja unter Drogen…“

      „Papa!“

      „Na gut. So sehen die Tatsachen aus: Du bist mit deinem Baseballschläger durchs Haus gerannt, hast einen Teil der Einrichtung und zwei Türen planiert. Dann bist du zum Haus der Radners gegangen und hast dich in einen ihrer Scheinwerfer geworfen. Die Birne ist geplatzt und hat dich einige Meter weit in den Garten geschleudert.“

      „Und was führt dich zu der Annahme, dass ich, einfach weil ich Lust darauf habe, in fremder Leute Flutlichtanlagen springe? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!“

      „Zugegeben, wir verstehen es doch auch nicht“, schluchzte jetzt Toms Mutter, „aber es muss so gewesen sein.“

      Pharasen, gibt es denn keine Möglichkeit, meinen Eltern zu beweisen, dass ich nichts damit zu tun habe?, flehte Tom in seinen Kopf.

      Die gibt es, erwiderte der Nachtwandler.

      Und welche? Lass dir das doch nicht alles aus der Nase ziehen! schrie Tom innerlich.

       Erstens habe ich keinen Körper mehr und somit auch keine Nase und zweitens brauchst du mich nicht immer so anzuschreien. Aber gut, ich hab ja keine andere Wahl. Dieses Spurenverwischen haben wir uns schon zu dem Zeitpunkt beigebracht, den deine Rasse Steinzeit nennt. Damals wart ihr noch, verzeih mir, dumm wie Stroh. Die Technik der Verwischung hat sich nicht verändert, im Gegensatz zu eurer Entwicklungsstufe. Heute könnt ihr mit euren Methoden Ungereimtheiten feststellen.

      Ich werde es mal versuchen, meinte Tom.

      „Wieso schweigst du andauernd?“, fragte Albert.

      „Gab es irgendwelche Ungereimtheiten? Außer der Tatsache, dass ich dazu nicht im Geringsten fähig wäre?“, wollte Tom wissen.

      Sein Vater seufzte.

      „Du solltest vielleicht mit der Polizei sprechen. Wir wissen auch nur, was die uns erzählt haben.“

      Tom überlegte.

      „Da ist noch etwas, stimmt’s?“

      „Ja, da ist noch etwas. Entschuldige, aber wir müssen uns erst einmal sammeln. Erzähl dem Kommissar einfach deine Seite der Geschichte…“

      Seine Eltern standen auf und verließen zitternd das Zimmer.

      Statt ihnen betrat ein junger Mann den Raum. Er hatte braunes, kurzes Haar und trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte.

      Er zog einen Schreibtischstuhl hinter sich her und setzte sich vor Toms Bett.

      „Nun denn, junger Mann, ich bin Kommissar Axel Koch. Ich bin zuständig für die ganzen Selbstmordfälle und die ganzen Jugendlichen, die im Moment verschwinden“, begann er das Gespräch.

      „Ich heiße Tom Becker. Was genau wollen Sie denn von mir?“, fragte Tom unruhig.

      „Liegt das nicht auf der Hand? Du bist bis jetzt der einzige Überlebende, mein erster Zeuge.“

      „Aber warum reden Sie denn von so vielen Selbstmordfällen? Gibt es noch mehr? Ich weiß nur von Holger Schmidt.“

      „Es sind letzte Nacht genau sechsundzwanzig Kinder und Jugendliche verschwunden und weitere dreiundzwanzig haben Selbstmord begangen. Die jüngste Betroffene war zwei Jahre alt und hat es irgendwie geschafft, aus einem Fenster im ersten Stock ihres Wohnhauses zu springen. Dazu muss ich sagen, dass das erste Stockwerk ihres Hauses kindersicher abgesperrt ist. Es sind des Weiteren zwölf Erwachsene tot aufgefunden worden, die bei ihren Schützlingen waren. Das alles hat vorletzte Nacht mit Holger angefangen und wir vermuten, dass noch weitere Taten folgen werden“, erklärte der Kommissar.

      „Ich will wissen, was du gesehen und erlebt hast, egal, wie absurd das war.“

      Tom holte Luft und fragte:

      „Die Wahrheit? Sind Sie sich da wirklich sicher? Was ich gleich erzählen werde klingt ziemlich verrückt!“

      Koch bejahte und Tom fing an zu erzählen, nachdem ihm Pharasen erklärte, dass man ihm kein Wort glauben würde und er sich nur lächerlich mache:

      „Ich war in meinem Zimmer, so gegen acht Uhr, als ich zu Walter Petersons Haus hinüberschaute.“

      „Dein Nachbar, der sich mit einem Samuraischwert aus seinem Wohnzimmer das Leben genommen hat?“, hakte Koch nach.

      „Ich würde nicht sagen, dass er sich selbst getötet hat. Auf einmal stieg ein dunkler Nebel auf und gelangte irgendwie in Walters Zimmer…“

      „Der schwarze Nebel wurde noch von anderen Leuten beobachtet, ich dachte mir schon, dass er etwas mit dieser Sache zu tun hat“, fuhr der Polizist erneut dazwischen.

      Du nervst, mein lieber Freund, meinte Pharasen.

      Ungeachtet dessen erzählte Tom weiter:

      „Glauben Sie mir, er hat nicht nur etwas mit der Sache zu tun,

      er ist die Ursache. Gerade als ich mich noch über die Suppe

      wunderte, bildete sich in Walters Zimmer eine schwarze Kugel, dann wurde daraus ein riesiger Ritter.“

      Toms Gegenüber runzelte die Stirn.

      „Junge, wir leben in einer modernen Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass hier nachts irgendwelche Irren in Ritterkostümen durch die Gegend rennen, schwarze Rauchbomben werfen und dann von niemandem bemerkt werden.“

      „Ich weiß, ich dachte auch erst, dass ich durchdrehe oder Halluzinationen bekomme, aber dann wurde Walter von dem Viech niedergemetzelt. Das Ding hatte nämlich ein schönes, großes Schwert dabei.“

      „Aha“, machte der Kommissar.

      „Jedenfalls ist es danach bei mir erschienen, jetzt war es aber ein anderes Monster. Es hatte mich quer durchs Haus gejagt. Ich konnte mich aber noch mit einem Baseballschläger verteidigen.“

      Die Jagd hat Spaß gemacht, lachte die Stimme in Toms Kopf.

      „Dann habe ich es mit meinem Baseballschläger in einen Scheinwerfer der Radners geschlagen, es ist danach verschwunden. Ich bemerkte eine Fleischwunde an meinem Arm und wurde ohnmächtig.“

      „Tolle Geschichte, Junge, aber das hilft mir auch nicht sonderlich weiter. Ich glaube…“, setzte der Kommissar an, doch Tom hatte sich schon wütend hochgerappelt.

      „Ich wusste gleich, dass sie mir nicht glauben würden. Aber es ist die Wahrheit!“, schrie er.

      Langsam hatte er es satt, dass ihm niemand glaubte.

      Dann erkannte er es. Den Fehler. Die Ungereimtheit.

      „Herr Kommissar, ich soll mich doch in den Scheinwerfer geworfen haben, oder?“, sprach Tom ruhig weiter, doch ihm

      war klar, dass man ihm die Erregung anhören musste.

      „Das hast du“, bestätigte Axel Koch.

      „Dann bitte ich Sie, nach draußen zu gehen und eine Glühbirne anzufassen.“

      „Verkauf mich nicht für dumm! Da würde ich mir ja die Finger... – verdammt.“

      Der Kommissar begriff schlagartig, doch Tom machte weiter:

      „Was denken Sie, würde passieren, wenn Sie die Hand, oder in meinem Fall den ganzen Körper, auf eine Glühbirne legen, die schon zwei Stunden brennt und über einen Quadratmeter groß ist?“

      „Stimmt, du müsstest ganz schön verkohlt sein. Aber du hättest das Flutlicht auch mit dem Schläger zerstören können.“

      „Nein, erstens wäre der Schläger mindestens angekokelt und zweitens lag in dem Scheinwerfer doch bestimmt Glas mit meinem Blut drauf, das nur auf einem Weg dahin gekommen sein kann: Etwas mit meinem Blut muss den Scheinwerfer zertrümmert haben. Sie haben kein solches Objekt gefunden, oder?“