Malte Ubben

Weißschwarz


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Es kreischte, als sein Körper sich in den Qualm auflöste, aus dem er entstanden war.

      Die Laternen flammten wieder auf, Tom konnte erkennen, dass auch das Licht in seinem Zimmer wieder brannte. Der Nebel verflüchtigte sich. Tom schaute an seinem Arm herab und bemerkte erst jetzt die Wunde, die ihm der Kobold während seines letzten Sprunges zugefügt hatte. Realisierend, dass sein ganzer Arm aufgerissen war, brach er auf dem gepflegten Garten der Radners zusammen.

      Langsam begann die Welt um ihn herum zu verschwimmen und löste sich schließlich ganz auf, bis nichts mehr übrig war.

      Toms Gliedmaßen ertaubten und langsam wurde alles bedeutungslos.

      Seine Eltern, der Nebel, das Licht, alles war unwichtig.

      Er wusste nicht, was passieren würde und trotzdem hatte Tom keine Angst. Er hatte immer gedacht, dass er sich fürchten würde, wenn er dem Tod ins Auge blickte.

      Doch es gab keine Furcht. Nicht mehr.

      Das Bündnis

      Tom badete im Licht. Für kurze Zeit wusste er nicht mehr, wer er war. Er konnte seine Augen nicht öffnen, fühlte aber seinen gesamten Körper durch die mollige Wärme, die ihn umgab.

      Aber was war das? Wo war er?

      Tom konnte sich diese Fragen nicht beantworten. Er konnte nicht einmal mehr normal denken, denn manchmal fühlte es sich an, als würde die Zeit nicht fließen, sondern ihm in kleinen Stückchen serviert werden.

      Er strengte sich erneut an, wünschte sich, die Augen zu öffnen. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, gelang es.

      Helles Licht umfloss seinen Körper und hielt ihn warm.

      Tom hatte schneeweiße Kleidung an, sodass er nicht sehen konnte, wo sein Körper endete und wo der Raum um ihn begann.

      Bin ich tot?

      Diese Frage durchzog nur den Bruchteil einer Sekunde seine Gedanken, doch auf verzerrte Art und Weise konnte er den Nachhall der Worte durch diese Welt hören, wie ein Echo, das ihn verhöhnen wollte.

      Wie eine Antwort erschütterte den Ort ein unheimliches Dröhnen und von einem Moment zum anderen durchzog den Platz, an dem er war, eine Veränderung. Das Licht formte Wände und einen Untergrund, hell und weiß wie Schnee.

      Nach und nach wuchsen marmorne Säulen aus dem gerade entstehenden Boden empor in die Unendlichkeit, geräuschlos, als würden sie nur Schatten sein, bis Tom sich in einer riesigen Säulenhalle befand.

      Dieser Ort war ganz und gar surreal und dennoch, irgendwie kam er Tom als das Natürlichste vor, was er je gesehen hatte. Er wollte zwischen den Säulen hindurchgehen, denn er hoffte, an der anderen Seite etwas zu finden.

      Nein, er ahnte sogar, dass seine Suche nicht ergebnislos bleiben würde.

      Doch immer noch konnte er sich nur schwer bewegen. Tom konzentrierte sich und plötzlich stand er am anderen Ende der Halle. Die Wand vor ihm war bedeckt mit seltsamen Zeichen und Symbolen, kleinen Zeichnungen und Formeln. Er versuchte, sie zu berühren, doch mit einem Mal spürte Tom etwas hinter sich. Er drehte sich um und suchte nach dem Ursprung dieses unheimlichen Gefühles. Dann sah er es.

      Verborgen hinter einer Säule stand ein Schreibtisch. Tom rieb sich die Augen, doch es blieb dabei: Ein Tisch aus weißem Holz war ganz deutlich zu sehen. Er schritt um die Säule herum darauf zu. Jetzt konnte er noch etwas erkennen: Hinter dem Tisch saß ein Wesen, das die Form eines Menschen hatte, jedoch nur aus blauem Leuchten bestand, das flimmernd hinter dem Tisch auf und ab schwebte.

      Tom konnte das Ding nicht einmal sehr lange direkt ansehen, da seine Augen nach ein paar Sekunden schmerzten. Er war sich sicher, dass das Geschöpf einem weit entfernten Ort entstammte. Dann begann es zu sprechen und es war, als ob die Worte aus der Ewigkeit selbst stammten. Obwohl es langsam redete, wirkte es keineswegs träge oder schläfrig, sondern strömte eine Vollkommenheit aus, die nicht einmal ein perfekter Kreis besaß.

      „Wer bist du? Zu diesem Zeitpunkt wird niemand erwartet.“

      Tom fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte und entschied schließlich, dass er improvisieren sollte:

      „Ich…ich bin ein wenig früher dran.“

      „Nichts ist zu früh oder zu spät. Jeder hier weiß, wann es Zeit ist, vor mir zu erscheinen und wieder zu gehen, alles ist geregelt“, meinte das Ding hallend.

      „Wenn ich unerwünscht bin, kann ich auch sofort wieder verschwinden“, schlug Tom vor und wollte sich umdrehen, doch er konnte sich keinen Zentimeter bewegen.

      „Nein, ich wusste nicht, dass du kommen würdest. Also musst du hier bleiben. Ich muss wissen, wer du bist.“

      Tom fing an, unruhig zu werden.

      „Ich heiße Tom Becker. Aber ich will wieder dahin zurück, wo ich herkomme. Meine Eltern haben bestimmt schon Angst um mich.“

      Er konnte sich noch immer nicht rühren und so beschloss er, vom Thema abzulenken.

      „Haben Sie dieses Nebelwesen geschickt?“

      Der Lichtfleck beachtete ihn nicht.

      Tom kam der Gedanke, dass er vielleicht Gott persönlich oder einem ähnlichen Wesen gegenüberstand und beschloss, den Mund zu halten. Er hatte sich schon oft in schlechte Situationen gebracht, weil er zu vorlaut war.

      „Nicht Gott“, kam es von dem Lichtwesen.

      Tom sah das Wesen an und gab auf. Was sollte er schon tun? Wenn es Gedanken lesen konnte, waren Lügen zwecklos. Er konnte nur warten.

      Nach einer Weile fragte er noch einmal:

      „Wo bin ich?“

      Plötzlich dröhnte das Wesen hochkonzentriert:

      „Aus welcher Welt kommst du und wie ist dein Code?“

      „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich Tom Becker heiße! Was wollen Sie von mir?“, rief Tom panisch. Doch das Wesen fuhr ungerührt fort und jetzt mischte sich Ärger in seine Stimme.

      Langsam wuchs es zur Größe eines Kleinwagens an.

      „Ich muss wissen, welches Abstraktum du bist und aus welcher Welt du kommst, oder ich muss nachsehen.“

      „Was…?“, stotterte Tom.

      Plötzlich wurde ihm warm. Er sah das Lichtwesen, welches inzwischen zu vibrieren angefangen hatte, über den Holztisch schweben und in seine Richtung gleiten. Die Konturen seines Gegenübers verschwammen noch mehr, soweit das möglich war, und dann drang das Wesen in seinen Kopf ein.

      Tom spürte einen stechenden Schmerz auf seiner Stirn, der langsam größer wurde und sich über seinen Körper ausbreitete. Für einen Moment dachte er, er würde ohnmächtig werden.

      Dann war es vorbei.

      Das Lichtwesen schwebte wieder vor ihm und als Tom sich die Schläfe massierte, sprach es, als würde man eine Kassette vorspulen, irritiert und eindeutig unzufrieden.

      „Du gehörst nicht hierher, du musst hier verschwinden. Ich werde dafür sorgen, dass sich dein Bewusstsein vom Körper spaltet, dann bist du hier richtig, aber du bist noch in deiner Hülle, das ist unmöglich, wie kann das passieren, ist ein Fehler im System aufgetreten? Unmöglich, das System ist perfekt, durchgeplant, eingeteilt, deine Anwesenheit muss vorherbestimmt sein, sie muss, oder aber sie ist es nicht und es ist ein Fehler aufgetreten, dennoch sind Fehler unmöglich, oder ich wurde nicht informiert, dann wäre ich ein Teil des Kreislaufes, aber ich weiß, dass ich es nicht bin, diese Welt wurde ausgeschlossen, es ist unmöglich, es darf diese Anomalie nicht geben. Sie muss um jeden Preis vernichtet werden. Ich muss sie auslöschen, ich muss sie zerstören.“

      Tom hatte aufgehört seine Schläfe zu bearbeiten. Das Wesen vor ihm lief Amok, wie ein Roboter, dessen Programmierung auf einmal keinen Sinn mehr ergab und das war eindeutig nicht