Malte Ubben

Weißschwarz


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Du brauchst dich nicht beschweren, ich war TOT.

      Was greifst du mich auch an!

       War Bestimmung, schon vergessen?

      Ach ja, Bestimmung. Der Kreis. Fang nicht wieder damit an, ich habe schon genug Kopfschmerzen.

      Wie du meinst. Du solltest jetzt erst einmal schlafen, sagte Pharasen.

      Wieso, ich bin nicht besonders müde, meinte Tom.

      Ich aber. Jetzt schlaf endlich. Ich vermute, dass morgen ein anstrengender Tag sein wird, gähnte das Wesen in Toms Kopf.

      In Ordnung, knurrte dieser und döste schon wieder weg.

      Am nächsten Morgen wachte Tom erneut im Krankenhaus

      auf. Das empfand er als Fortschritt. Schließlich hatte er keine Lust, jedes Mal irgendwo anders zu sich zu kommen.

      Das Licht blendete Tom, seine „Nachtsicht“ war anscheinend noch aktiv. Nach einigen Versuchen gelang es ihm schließlich, sie abzustellen.

      Durch das Fenster wurde der Raum mit hellem, gleißenden Sonnenlicht geflutet.

      Die Kopfschmerzen waren bereits abgeklungen, alle anderen Schmerzen waren zu Toms Leidwesen aber noch da.

      Man kann nicht alles haben, dachte er.

      Stimmt, flötete Pharasen.

      Plötzlich wurde die Tür geöffnet und ein ungewöhnlich großer Arzt kam zusammen mit zwei Krankenschwestern ins Zimmer. Der Mediziner begrüßte Tom, indem er sich vorstellte.

      „Guten Tag, junger Mann, ich bin Dr. Eisenhauer, der behandelnde Arzt. Es freut mich außerordentlich, dass du endlich aufgewacht bist. Zuerst dachten wir, wir hätten dich verloren. Wir haben dich in ein künstliches Koma versetzt, es ist ziemlich seltsam, dass du schon aufgewacht bist. Aber noch verwunderlicher ist es, dass du bei vollem Bewusstsein und bei ziemlich guter Gesundheit zu sein scheinst. Verstehe mich nicht falsch, aber das ist meinen Kenntnissen nach unmöglich…“

      Der ist ja ziemlich von sich eingenommen. So ein Exemplar habe ich lange nicht mehr gesehen, scherzte Pharasen in Toms Kopf und auch Tom musste lachen.

      Dr. Eisenhauer und die beiden Krankenschwestern sahen ihn stirnrunzelnd an.

      Der Arzt schien zu überlegen, ob er Tom als geisteskrank einstufen sollte oder nicht.

      Schließlich sagte er:

      „Deine Eltern warten draußen. Sie wollen dich sehen.“

      „Deine Mutter ist ziemlich aufgelöst“, fügte die Krankenschwester an Dr. Eisenhauers linker Seite hinzu.

      „Was ist denn passiert?“, fragte Tom, jetzt sehr verwirrt.

      Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn.

      „Ich kann dir nur sagen, was passierte, nachdem Herr und Frau Radner dich fanden. Über das davor wird die Polizei mit dir sprechen.“

      „Die Polizei? Stimmt, ich muss sicher eine Aussage machen“, erwiderte Tom, als er sich an Walters Tod erinnerte.

      „Wie du meinst. Jedenfalls musste ich eine Notoperation durchführen. Für einen kurzen Moment warst du sogar klinisch tot. Aber irgendwie bist du dann zu den Lebenden zurückgekehrt.“

      Das war, als du bei mir und dem Wächter warst, erklärte Pharasen.

      Aber das war doch über einen langen Zeitraum, wie konnte ich nur ein paar Momente tot sein?, wunderte sich Tom.

       Ich sagte doch bereits in der Halle der Dunkelheit, als wir uns trafen, dass du nicht tot wärst.

      Und wann war ich dann ‚tot’?

      GAR NICHT!, schrie Pharasen genervt, fuhr dann aber nach einer kurzen Beruhigungspause fort:

       Nur weil ihr Menschen jemanden für klinisch tot haltet, ist er das nicht unbedingt. Es gibt so vieles, was ihr nicht versteht…

      Aber wie bin ich so plötzlich wieder aufgewacht?, rätselte Tom.

       Ich habe dich geheilt, war ein wenig anstrengend, aber was will ich machen. Wir sitzen schließlich im selben Boot.

      Danke, dachte Tom.

       Gern geschehen.

      „Ich muss dich jetzt untersuchen“, sagte Dr. Eisenhauer.

      „Hebe einmal deinen linken Arm.“

      Tom tat es. Der Arm schmerzte ein bisschen, aber das war kein Vergleich zu dem, was er die letzte Nacht gefühlt hatte.

      Beeindruckend, sehr beeindruckend, staunte Tom.

      „Ungewöhnlich!“, stammelte Dr. Eisenhauer.

      „Du hast eine Fleischwunde an der linken Schulter, die bis an den Knochen reicht.“

      Jetzt nicht mehr, du Quacksalber, freute sich Pharasen.

      Dr. Eisenhauer drehte Tom um und konnte ein Stück makelloser Haut bewundern.

      Er wich erschrocken zurück. Dann stammelte er:

      „Das habe ich in meiner zwanzigjährigen Karriere - eine facettenreiche, erfolgreiche Karriere, wenn ich das mal sagen darf - noch nicht erlebt. Unmöglich. Ich glaube, ich sollte deine Eltern hereinlassen, während ich die Testergebnisse noch einmal durchgehe.“

      Der perplexe Arzt verließ erschrocken mit den Schwestern das Zimmer.

      Dafür kamen Toms Eltern herein. Seine Mutter hatte scheinbar geweint und das Gesicht seines Vaters war aschfahl.

      „Was hast du dir dabei gedacht, Junge?“, stöhnte er.

      Tom war jetzt noch verwirrter. Seine Mutter zog ein Stofftaschentuch aus ihrer Jackentasche und schnäuzte sich die Nase.

      „Warum hast du das getan? Haben wir nicht immer gut für dich gesorgt? Hasst du uns?“, flüsterte sein Vater jetzt.

      „Wovon zum Teufel redet ihr eigentlich?“, fragte Tom völlig

      verwirrt, er verstand nicht ein Wort.

      „Wovon wohl? Von deinem Selbstmordversuch natürlich! Hattest du Alkoholprobleme oder…“

      Tom erstarrte. Was war hier los? Er fragte energisch:

      „Was für ein Selbstmordversuch denn? Ich wäre fast ermordet worden.“

      Sein Vater sah ihn an. Seine Mutter weinte noch immer.

      „Tom, du hast versucht, dich umzubringen.“

      „Nein, eindeutig nicht. Es sei denn, es ist jetzt Selbstmord, wenn man von irgendeinem…“

      Er überlegte. Würde er Pharasen erwähnen, war ihm ein lebenslanger Aufenthalt in der Königsdorfer Klapsmühle gewiss, deshalb fuhr Tom diplomatisch fort:

      „…wilden Tier attackiert wird, das ganz eindeutig vorhat, einen umzubringen?“

      „Du wurdest von einem wilden Tier attackiert? Was soll das denn für ein Tier gewesen sein? Ein Bär? Oder ein tollwütiger Fuchs vielleicht?“

      Nachtwandler, du Idiot, rief Pharasen erzürnt.

      Wie bitte? Was ist denn das?, fragte Tom.

      Und was geht hier vor?

       Ich bin ein Nachtwandler. Wir sind das Böse, die Dunkelheit. Wir können die Gestalt von den tiefsten Ängsten unserer Opfer annehmen. Damit ermorden wir sie dann. Mehr kann ich dir auf die Schnelle nicht sagen… später wirst du es sicher erfahren. Nach den Anschlägen sieht meist alles so aus, als hätte es einen Selbstmord gegeben. Du kannst deinen Vater ja fragen, was passiert ist. Er wird das bestätigen.

      Es gibt mehr von deiner Art?

       Ja, war dir das nicht klar?