Malte Ubben

Weißschwarz


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dass du ihn verstehst. Das, was ihr Seele nennt, heißt hier ‚Abstraktum‘.“

      „Moment, das hat dieses Vieh vorhin doch auch gesagt.“

      „Der Wächter? Ja, das hat er. Es ist normalerweise die übliche Prozedur: Der Wächter weist den gerade gestorbenen Seelen ihre neuen Körper zu. Er kennt den Todeszeitpunkt jedes einzelnen Wesens.“

      Langsam verstand Tom.

      „Ich glaube, ich verstehe. Er wusste, dass keine Seele kommen würde, aber trotzdem erschien ich. Deshalb die Verwirrung. Aber es sterben doch andauernd Leute und wenn du sagst, ich hätte sterben müssen, hätte der Wächter doch eine Zeit lang auf mich gewartet und schon dann Lunte gerochen.“

      „Zeit verläuft hier anders als bei euch“, sagte das Nebelwesen nur.

      „Aber jetzt wurde die Bestimmung durcheinander gebracht. Will der Wächter mich deshalb töten, um die Bestimmung wieder irgendwie ‚einzurenken’? Kann ich überhaupt noch einmal sterben?“

      Das Wesen sah ihn nur seltsam an.

      Die Erkenntnis traf Tom wie ein Hammerschlag.

      „Ich bin nicht tot, oder?“, fragte er langsam.

      „Nein. Und der Wächter wollte dich nicht töten. Er will deine

      Seele aus der Existenz löschen.“

      Als das Wesen Toms fragenden Blick bemerkte, fügte es hinzu: „Die Existenz ist der Überbegriff für alles, was existiert, alle Welten. Aber ich möchte jetzt dazu kommen, warum ich dich gerufen habe.“

      „Das wäre wohl angebracht. Ich frage mich ohnehin schon die ganze Zeit: Warum zum Teufel hast du mir geholfen?“

      „Als es dir gelang, mich zu vernichten, wurde ich aus der Existenz hinausgeschleudert.“

      „Das geht?“

      „Offensichtlich. Ich weiß nicht wie und warum es geschah, aber Fakt ist, dass es passierte. Bevor dies hier geschehen ist, war ich ein durch und durch böses Wesen. Doch nachdem ich zurückgekommen bin, habe ich mich verändert. Ich bin kein Teil der dunklen Welt mehr.“

      „Du bereust also, was du getan hast?“, bohrte Tom.

      „Ja, auch wenn ein Teil von mir nicht begreift, wieso. Wir sind jetzt beide aufeinander angewiesen. Du musst dem Wächter entkommen und ich möchte hier auch nicht gerne bleiben.“

      „Du kannst doch einfach gehen. Ich werde immer vor dem Wächter davonlaufen müssen“, sagte Tom unsicher.

      „Irrtum. Ich kann hier nicht weg. Im Gegensatz zu dir bin ich gestorben. Das hier ist die Unterwelt, dir wahrscheinlich besser bekannt als „Hölle“. Außerdem kann der Wächter dir außerhalb dieser Orte nichts mehr antun. Seine Macht reicht nicht aus. Aber es gibt einen Weg, wie uns beiden geholfen werden kann“, flüsterte die Nebelkreatur.

      „Wie? Wie können wir beide entkommen?“, fragte Tom mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.

      „Ich werde mich in deinem Kopf niederlassen. Dann bringe

      ich uns hier heraus.“

      „Wie bitte? Willst du mich irgendwie übernehmen oder was?“

      „Nein. Aber ich werde dir Ratschläge geben können“, erklärte das Geschöpf.

      „Ratschläge? Wofür? Und wie lange?“, fragte Tom.

      „Das, was die Bestimmung verändert hat, ist mächtiger als alles, was du dir vorstellen kannst. Wir müssen die Restlichen meiner Art aus deiner Welt vertreiben, sie gehören dort nicht hin. Ich werde wahrscheinlich immer in deinem Kopf sein. Aber du wirst nach der Verschmelzung besondere Fähigkeiten haben. Dir sollte klar sein: Wenn wir uns nicht verbünden, werden wir beide übel enden“, antwortete das Wesen.

      „Da stimme ich dir zu. Aber erst will ich noch wissen, wie du heißt.“

      „Ich habe viele Namen. Aber ich würde es vorziehen, wenn du mich Pharasen nennst. Doch du solltest wissen, dass ich mein Wissen über alles jenseits der Existenz verlieren werde. Ich werde alles vergessen, was sich zwischen meinem Rauswurf bis zur Ankunft in der Unterwelt ereignet hat. In einer Hinsicht kann ich dich aber beruhigen, ich werde nicht wieder böse werden“, erklärte Pharasen.

      „Habe ich denn eine Wahl?“, seufzte Tom.

      „Nein“, stellte sein neuer Begleiter fest und fügte dann hinzu: „Ich werde nun beginnen.“

      „Halt, ich möchte wissen, wer diese Schatten sind“, rief Tom

      neugierig.

      „Das sind Seelen, die bestraft werden. Sie müssen hier bis in

      alle Ewigkeit verweilen. Aber jetzt fange ich an.“

      Tom schloss die Augen, er fühlte, wie sein Gehirn zu pochen begann, als der Schatten in ihn eindrang. Dann hörte er Pharasens unverkennbare Stimme in seinem Kopf.

       Bist du bereit, zurückzukehren?

      Ja, bin ich, entgegnete Tom.

      Dann merkte er, wie sein Körper sich in die Unendlichkeit löste, mit der Umgebung verschmolz und schließlich durch eine unbeschreibbare Wandlung in seine Welt zurückwich. Während er fühlte, dass sein Körper äußerst glücklich darüber schien, wieder zurückzukommen, verlor er erneut das Bewusstsein.

      Im Krankenhaus

      Heftige Schmerzen machten sich in Toms Kopf breit. Auch sonst tat ihm alles weh. Sein Arm pochte wie verrückt und seine Beine fühlten sich an, als wären sie gerade zu Wackelpudding verarbeitet worden.

      Tom schlug die Augen auf, doch nur Dunkelheit umfing ihn. Wo zum Teufel war er jetzt schon wieder gelandet?

      Er erinnerte sich an den verwirrenden Traum, den er gehabt hatte. Säulen waren darin vorgekommen, genauso wie viel Licht und noch mehr Dunkelheit. Und Tom hatte mit schwarzem Nebel gesprochen. Was für ein Stuss.

       Du denkst also, ich sei Stuss. Das ist höchst beruhigend. Ich bedanke mich vielmals.

      Verdammt, das ist doch jetzt nicht wahr, stöhnte Tom innerlich.

      Aber natürlich ist es wahr. Oder denkst du, du wärst einfach mal schnell schizophren geworden?, tönte es in seinem Kopf.

      Ich ziehe das gerade in Betracht, dachte Tom zurück.

      Verdammt, ich muss ganz schön was auf die Birne bekommen haben.

      Um genau zu sein, hast du mich in die Birne bekommen. Aber das hat auch gute Seiten. Abgesehen von den Kopfschmerzen hast du gewisse Fähigkeiten, wie ich bereits sagte. Die Migräne bleibt vermutlich nur ein bis zwei Stunden, meinte Pharasen.

      Was für Fähigkeiten?, fragte Tom.

      Zur Antwort wurde der Ort, an dem er sich befand, auf einen Schlag hell.

      Tom war in einem schlicht eingerichteten Zimmer.

      Er lag in einem weiß gestrichenen Bett, dessen Lack schon abzubröckeln begann, eindeutig in einem Krankenhaus. Das verriet auch der Geruch nach Sterilität, den Tom jetzt wahrnahm. An der gegenüberliegenden Wand hing ein einfallsloses Bild, nur mit ein paar bunten Farbklecksen versehen. Neben ihm war ein Fenster in die Wand eingelassen, doch Tom konnte aus seiner jetzigen Position nicht nach draußen sehen.

      Ich kann also die Nacht zum Tage werden lassen, stellte Tom fest.

      Nein, du kannst nur in der Nacht wie am Tage sehen, kommentierte Pharasen.

       Toller Effekt, was?

      Unglaublich, staunte Tom begeistert.

      Aber, wieso bin ich hier?

       Nachdem ich dich angegriffen habe, warst du ein wenig verletzt,