Kendran Brooks

Justice justified


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des Lebens, sorgten eher für eine zusätzliche Belastung.

      »Dieser Ausritt war eine echt gute Idee, Jules.«

      Chufu hatte sich etwas zurückfallen lassen, ritt nun neben seinem Adoptivvater. Der Philippine fühlte sich pudelwohl auf seinem Gaul. In Brasilien hatte er gelernt, mit echten Rinderpferden umzugehen und sie auch für Viehtriebe einzusetzen. Die Tiere wurden in der heutigen Zeit jedoch weit behutsamer als früher an ihre Arbeit herangeführt. Sie reagierten auf jede noch so leichte Bewegung der Zügel, ja selbst die richtige Gewichtsverlagerung eines guten Reiters zeigte den Tieren exakt an, was er von ihnen verlangte. Pferd und Mensch verschmolzen zu einer Einheit, die auch ohne bösartigen Druck tadellos funktionierte.

      Ähnlich dem Prozess der Teambildung in modernen Unternehmen. Man schweißte das mittlere Management mit ihren Untergebenen zu einer echten Einheit zusammen, belohnte und bestrafte sie gemeinsam, sorgte damit für gehörigen Gruppendruck und holte so mehr aus jedem Individuum heraus.

      Jules schüttelte über diesen Gedanken unwillig den Kopf, so als wollte er ihn gleich wieder wegwischen. Doch Chufu hatte die Übersprunghandlung von Jules beobachtet.

      »Was ist?«, fragte er ein wenig besorgt.

      »Ach nichts. Nur ein dummer Gedanke, der mir gerade kam. Aber ich gebe dir Recht. Einen schöneren Ausritt wie heute kann man sich kaum vorstellen. Der blaue Himmel, die kleinen, weißen und doch so dichten Wolken, dazu dieses malerische Tal mit dem Grau der Felsen und Gelb der Erde, dem Grün der Pflanzen. Herrlich. Und alles ohne störenden Motorenlärm.«

      Wie als Entgegnung hörten sie in diesem Moment ein Fahrzeug weiter oben aufheulen. Wenig später kam es die Straße hinunter gebraust. Es war ein weißer Pickup mit Firmenaufschrift. Der Lenker musste die unbefestigte Straße recht genau kennen, denn er zeigte wenig Respekt vor dem rutschigen Schotter. Wenigstens bremste er angesichts der Pferdekarawane ein wenig ab, wich ihnen auch soweit als ihm möglich nach rechts aus. Hinter dem Steuer konnte man das stoische Gesicht eines Mannes erkennen, der vielleicht froh darüber war, von diesem einsamen Ort endlich wegzukommen, dies jedoch nicht offen zeigte, weil er häufiger hier oben zu tun hatte und er ihn deshalb gewohnt war.

      Eine ganze Weile lang ritten Chufu und Jules stumm nebeneinander, blickten voraus und auf die Rücken der anderen vor ihnen. Wiederum hatte sich Mei der kleinen Alina angenommen, die diesmal auf einem ausgewachsenen Pferd reiten durfte, da im Mietstall kein Pony zur Verfügung gestanden war. So hoch oben fühlte sich die Kleine noch weit wichtiger, schaute sich von Mei beständig ab, wie diese mit ihrem Tier umging, versuchte sie in allem zu kopieren. Die Chinesin zeigte ihr geduldig die Tricks, mit denen man seinem Reittier entsprechende Hilfen gab, damit es leichter verstand, was man von ihm erwartete.

      »Wenn du nach rechts abbiegen willst, solltest du nicht an den Zügeln ziehen. Das ist gar nicht nötig und dein Pferd ist das wahrscheinlich auch nicht gewohnt. Schau mir zu. Ich verlagere bloß mein Gewicht etwas nach rechts und führe auch die Hand mit den Zügeln in diese Richtung. Das Tier spürt nun das Lederband leicht auf der linken Seite seines empfindlichen Halses und weiß darum, wohin du willst. Und nun geht’s entsprechend wieder zurück nach links. Probiere das ruhig selbst ein paar Mal aus und reite ein wenig im Slalom.«

      Auch bei Alina klappte das Manöver auf Anhieb ausgezeichnet und sie freute sich riesig, tätschelte dem Tier liebevoll den Hals.

      »Weißt du, Alina, das Maul eines Pferdes ist äußerst empfindlich. Früher quälte man viele Tiere mit der sogenannten spanischen Kandare. Das waren Gebissstangen, die dem Tier sehr weh im Maul taten, wenn man am Zügel riss. Man zwang das Pferd im Grund genommen zum Gehorsam, machte es zu seinem Sklaven. Heute dagegen versuchen wir, eher der Freund und Partner der Tiere zu sein. Solange das Pferd tut, was wir von ihm erwarten, wenden wir keinen Druck an.«

      »Aber warum hat man früher denn die Pferde so gequält? Man hätte sie doch auch damals als Freunde behandeln können?«

      Mei überlegte eine Sekunde, bevor sie der Kleinen antwortete.

      »Vielleicht war das Leben damals ganz einfach zu hart für die Menschen. Und so übertrugen sie ihre Mühsal auch auf den Umgang mit den Tieren. Heute sind wir in dieser Hinsicht einfach klüger geworden.«

      Oder verweichlicht und schwach, dachte Jules zynisch, als er den Erklärungsversuch von Mei vernahm.

      Wie geplant kamen sie gegen Mittag auf der Passhöhe an, ritten vom Schotterweg ein Stück weit weg, fanden einen schönen Rastplatz zwischen Felsen und Bäumen, die für Mensch und Tier Schatten spendeten. Wiederum hatten sie sich einen Imbiss mitgebracht, verzehrten die Sandwichs aus dem Tankstellenshop mit großem Genuss.

      »Das höchste Glück auf Erden, liegt auf dem Rücken der Pferde«, fasste Mei ihre ausgezeichnete Stimmung und das kameradschaftliche Gefühl zusammen.

      »Pferde fliegen ohne Flügel und Siegen ohne Schwert«, doppelte Chufu philosophisch nach.

      »Männer und Pferde, beide sind teuer. Doch wähle die Pferde, denn sie sind treuer!«, meinte Mei nun augenzwinkernd zu ihrem Freund hinüber und lachte ihn über das ganze Gesicht an. Chufu war aber um eine Erwiderung alles andere als verlegen: »Einem Wallach kannst du befehlen. Einen Hengst musst du bitten. Mit einer Stute musst du jedoch ständig diskutieren!«

      Mei zog eine beleidigte Schnute, die übrigen Erwachsenen lachten und Alina hörte und schaute ihnen staunend zu, hatte nicht verstanden, was an diesem Wortgefecht lustig war.

      »Das größte Glück der Pferde, ist der Reiter auf der Erde«, gab Jules nun auch noch seinen Senf dazu. Diesmal lachte auch Alina mit.

      *

      Wie fast jeden Sonntag waren Reginald und Silver auch an diesem Tag kurz vor Mittag vorgefahren, hatten sich im Speisesaal von Bedfort Castle eingefunden und ihre üblichen Plätze an der langen Tafel eingenommen, mussten diesmal jedoch auf das Erscheinen von Oldman McPhearsen warten. Butler Jeremy hatte ihnen geöffnet, war ihnen in den Saal voraus geschritten, hielt ihnen dort die Türe auf, hatte sich dann mit einer Entschuldigung entfernt und dafür einen livrierten Diener zu ihnen geschickt, der ihnen nun die bestellten Drinks servierte, einen Dry Martini ohne Olive für Reginald, einen Americano für Silver. Reginald griff gierig nach dem Kelchglas, stürzte den Drink mit einem einzigen Schluck in den Rachen und streckte dem Bediensteten gleich wieder auffordernd das leere Glas entgegen.

      »Noch so einen, Shaggy.«

      Der junge, etwas verschüchtert wirkende Mann von Mitte zwanzig hieß nicht Shaggy, sondern Francesco. Doch mit seinem dunkelbraunen, dichten Haar und dem langgezogenen Gesicht mit dem etwas eigenwillig wuchtigen Kinn erinnerte er Reginald an Norville „Shaggy“ Rogers, eine der Hauptfiguren aus der Comicreihe Scooby Doo. Reginald war verheiratet und seine Frau Brook hatte ihm vor vielen Jahren zwei Söhne geboren. Darum hatte sich Reginald fast zwangsläufig im Alter von gut fünfundvierzig Jahren mit der für seine Generation recht fremden Welt des Zeichentricks beschäftigen müssen. Einiges war trotz Desinteresse bei ihm hängen geblieben und dieses unnütze Wissen wandte er seitdem dort an, wo es keine Rolle spielte, zum Beispiel für Scherznamen der Dienstboten.

      Reginald war seit fast dreißig Jahren verheiratet, lebte jedoch die letzten fünf glücklich getrennt von seiner Ehefrau Brook. Die Cambridge Studentin hatte sich damals Hals über Kopf in den Milliarden-Erben verliebt und ihn noch vor ihrem Uni-Abschluss geheiratet, hatte ihm wie im Ehevertrag vereinbart zwei Kinder geschenkt, hatte sich nie über die zahlreichen Affären ihres Ehemannes aufgeregt, war stattdessen ihren eigenen Neigungen nachgegangen. Wie viele Paare warteten auch Reginald und Brook die Volljährigkeit ihres Jüngsten ab, bevor sie sich auch offiziell trennten. Eine Scheidung kam jedoch für beide nicht in Frage. Brook wollte den Namen behalten, Reginald die Abfindung einsparen. Auch seine beiden Söhne traf Reginald nicht mehr oft. Die Kinder lebten irgendwo in London, schimpften sich Künstler, bekamen monatlich ihre Schecks aus Papas Büro zugesandt, konnten auf dieser Grundlage ihre Lebensillusion weiterhin träumen, mussten nicht aus ihnen herauswachsen und Eigenverantwortung übernehmen.

      Als Francesco, der junge Diener aus Malta, den zweiten Drink serviert und den Speisesaal verlassen hatte, ging er leise