R.J. Simon

Schaaf ermittelt


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      Angesichts der Tatsache, dass er eine tote Frau mit Misshandlungsspuren gefunden hatte, war er völlig verstört, so dass es ihm wie eine kleine Ewigkeit vorkam, bis der Sprecher auf der anderen Seite endlich sagte: „Ich schicke mal eine Streife vorbei.“ Wie als ob der Kerl dachte, er will ihn verarschen oder einfach nur Aufmerksamkeit mit seinem Anruf bewirken.

      „Sind sie jetzt zu Hause Herr Bundschuh?“

      „Ja klar!“

      „Dann bleiben sie dort, die Kollegen kommen zu ihnen und dann können sie ihnen alles erzählen.“

      Es dauerte eine ganze Weile, bis es endlich klingelte und die Polizisten bei ihm eintrafen. Für die Situation, in der er sich nach seinem Leichenfund befand, viel zu lange. Wegen der Anspannung unter der er stand, wurde jede Sekunde zur Stunde und schien endlos. Am liebsten hätte er zu seiner Beruhigung einen Cognac genommen, aber er befürchtete, dass wenn die eintreffenden Polizisten eine Alkoholfahne bei ihm erschnupperten, sie seine Meldung erst recht auf übermäßigen Alkoholgenuss geschoben hätten und noch weniger ernst nahmen.

      Also quälte er sich ohne alkoholische Beruhigung durch die zähe Wartezeit. Herr Bundschuh war an diesem Abend alleine, seine Frau hatte Nachtdienst im Pflegeheim, sodass er auch niemanden hatte, mit dem er hätte reden können. Das einzige Wesen, mit dem er sich über die letzten Minuten und seine Verfassung unterhalten konnte, war sein Hund. Der hörte ihm auch geduldig und stumm zu und legte, als einzige Reaktion, gelegentlich den Kopf schief und stellte seine Ohren auf, wenn ihm eines der leise gesprochenen Worte besonders gut gefiel. Trotzdem tat ihm der Monolog mit seinem treuen Gefährten gut.

      Als das erlösende Klingeln die Wartezeit beendete, öffnete er sofort die Tür. Davor standen zwei Streifenpolizisten in Uniform, die ihn freundlich anlächelten und einen schönen Abend wünschten. „Sind sie Herr Bundschuh?“

      „Ja.“

      „Können wir rein kommen?“

      „Klar“, bejahte er und gab die Tür zum Eintreten frei. Die beiden Polizisten folgten ihm ins Wohnzimmer, wo sie sich dann noch einmal versicherten, dass er wirklich glaubte, eine Leiche gefunden zu haben. Während der eine mit ihm sprach sah sich der andere in dem Raum um. Herr Bundschuh bestätigte seinen Fund abermals und es gab von seinem Verhalten her keinen Grund an seinem Geisteszustand zu zweifeln.

      „Na dann kommen sie mal mit und zeigen uns, was sie entdeckt haben“, entschied dann der Ältere. Die Art wie er das sagte, glich der, wie man mit einem Deppen sprach.

      Sofort zog Herr Bundschuh sich, ohne etwas zu erwidern, seine Jacke über und ging mit den beiden Polizisten aus dem Haus. Obwohl er sie darauf hinwies, dass der Park und der Fundort nur wenige Meter entfernt lagen, sagten sie, er solle zu ihnen in den Streifenwagen einsteigen und sie fuhren zum Park.

      Der Fahrer steuerte den Wagen direkt in den Eingangsbereich, sodass seine Lichtkegel den mit Bäumen gesäumten Weg ordentlich erhellten. Die Scheinwerfer ließen sie eingeschaltet. Der Ältere der beiden öffnete ihm die Tür, sodass auch er aussteigen konnte.

      „So, nun zeigen sie uns doch mal, wo die Leiche liegt.“

      In dieser Aufforderung lag für seinen Geschmack schon wieder etwas Sarkastisches und Hohn. Er sah den jüngeren der beiden Polizisten, der das so abwertend und ungläubig sagte, kurz schräg an, gab aber keine Antwort und ging, gefolgt von den beiden Beamten, in den Park hinein. Ihm war schon etwas mulmig dabei, denn er wusste ja schon, was ihn erwartete. Den Anblick der Toten würde Herr Bundschuh sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen. Und er hatte nicht vor, sich das noch einmal ansehen zu müssen.

      Ungefähr zwanzig Meter vor der Stelle, wo die Frauenleiche lag blieb Herr Bundschuh stehen und deutete darauf. „Dort vorne liegt sie“.

      „Ich sehe nichts“, stichelte der Jüngere.

      „Dann gehen sie doch einfach mal ein Stückchen weiter“, sprach Herr Bundschuh ein wenig gereizt. Er selbst bewegte sich keinen Zentimeter weiter und demonstrierte deutlich, dass er nicht gedachte dorthin zu gehen.

      Der Ältere knipste seine große Taschenlampe an, zog seinen jüngeren Kollege sanft am Unterarm und lief weiter in die angegebene Richtung. Der Jüngere folgte ihm, aber nicht ohne vorher den Zeugen in scharfem Ton aufzufordern: „Sie warten hier!“

      `Hauptsache ich muss nicht mit´, dachte er still und vermutete, dass ihnen ihr Leichtmut in wenigen Metern schnell vergehen würde.

      Nach einigen Sekunden, in denen er noch hörte, wie die Polizisten sich unbeschwert unterhielten kündigte ein kurzer, scharfer Schrei an, dass sie die Leiche entdeckt hatten. Dass dieser Schrei von dem Jüngeren stammte, wusste er, als er den Älteren, erschrocken aber gefasst, sagen hörte „Oh mein Gott. Geh zum Wagen und hol die Absperrungen, schnell.“

      Der Jüngere spurtete sofort los. Während er rannte jammerte er immer wieder Unverständliches vor sich hin. Er war sichtlich mit dem Anblick und der Situation überfordert. Als er auf seinem Weg zurück zum Streifenwagen an Herr Bundschuh vorbeihuschte, rief er ihm nur zu „Sie warten noch und rühren sich nicht vom Fleck.“

      `Keine Sorge ich werde dir nicht helfen. Du hast ja scheinbar alles fest im Griff‘ grinste Herr Bundschuh in sich hinein.

      Dann rannte der Polizist mit den Absperrutensilien in die Nähe der Leiche und sicherte den Fundort ab. Währenddessen verständigte sein Kollege die Wache und forderte die Spezialisten der Mordkommission an. Er blieb während seines Telefonats in unmittelbarer Nähe der Leiche, fast, als wolle er sie bewachen.

      Danach standen die Beiden noch einen Moment eng beisammen und beruhigten sich gegenseitig. Herr Bundschuh blieb geduldig an seinem Platz stehen und wartete ab. Der Jüngere kam dann direkt auf ihn zu. Mit sichtbar zitternden Händen, erschrockenem Blick und bleich, wie die Scheibe des Vollmondes, sagte er dann zu ihm, dass er nach Hause gehen und abwarten soll. Wenn bis in zwei Stunden niemand bei ihm war, konnte er schlafen gehen. Dann würde er morgen von den Kollegen aufgesucht werden.

      „Das ist meine erste Leiche“, entschuldigte er sich abschließend beinahe schon und klang versöhnlich. Sein Hochmut war komplett verflogen.

      „Meine auch!“

      Herr Bundschuh war erleichtert weggeschickt zu werden und machte sich sofort auf den Heimweg. Dort angekommen begrüßte sein Hund ihn überschwänglich und er gönnte sich dann doch einen Cognac für die Nerven. Herr Bundschuh trank sehr selten Alkohol, war eigentlich schon fast dagegen, aber in der Situation tat der Schluck wirklich richtig gut. Dann saß er auf der Couch, seinen Hund halb auf dem Schoß, und zappte durch die Programme im Fernsehen, um Ablenkung zu finden und die Zeit bis zum Eintreffen der Beamten der Mordkommission zu überbrücken. Obwohl gar nicht sicher war, dass ihn überhaupt noch jemand aufsuchte.

      Erst in dieser Nacht wurde Herr Bundschuh bewusst, wie viele Krimiserien und Spielfilme gezeigt wurden, in denen es um Mord und Totschlag ging. Beinahe auf jedem Sender stieß er auf Tote und Ermittler, die den Tätern auf der Spur waren. Es wurde geschossen, erstochen und gemeuchelt. Wenn man gerade selbst in einen Mordfall hineingestolpert war, nicht gerade die passende Unterhaltung. Herr Bundschuh gönnte sich, auf diese Erkenntnis hin, gleich noch einen kleinen Cognac. Das war eine groteske Situation. Er entschied sich für einen Bericht über Wölfe, die sich im Osten wieder ansiedelten und ausbreiteten.

      Es dauerte dann tatsächlich beinahe zwei Stunden, bis es wieder an der Tür läutete. Für Herr Bundschuh eine kleine Ewigkeit. Vor der Tür standen zwei Beamten in Zivil, die sich auch ordentlich auswiesen.

      „Guten Abend. Ich bin Kriminalhauptkommissar Schaaf und das ist mein Kollege Herr Busch.“

      Der Kriminalhauptkommissar hielt ihm seinen Ausweis, gut sichtbar in Augenhöhe entgegen. Seine Stimme klang beruhigend und weckte Vertrauen. Schon durch sein Erscheinungsbild wirkte der Kriminalhauptkommissar sehr vertrauenswürdig. Er bewegte seinen erheblichen Leibesumfang gemächlich und ohne Hetze und sein Haarschopf war, bis auf einen grau melierten Kranz, um seine Glatze herum reduziert. Von der Körpergröße erreichte er nur knapp die Höhe von Herrn Bundschuhs Kinn und war somit