R.J. Simon

Schaaf ermittelt


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in der rechten Hand. Zumindest sah das Teil aus, wie ein kleiner, roter Luftballon mit der Größe einer Orange, der aber nicht mit Luft, sondern mit Sand befüllt war, sodass er die Eigenschaften einer Knetmasse besaß. Er behielt auch immer beim Öffnen der Hand des Chefs seine zuvor zusammengedrückte Form bei, wie Busch beobachten konnte, bevor Schäfchen ihn drehte und wieder zusammenquetschte. Diese Eigenart des Chefs wurde Busch bereits auch schon vorangekündigt und nun konnte er sie direkt verfolgen. Angeblich soll es dem Chef bei den Überlegungen behilflich sein, seine Konzentration fördern und ihn beruhigen.

      In ihrem Büro im Kommissariat zeigte Schaaf seinem Assistenten dann auch gleich, wie er die Berichte wünschte. Er hatte sich ein ganz eigenes System in den Jahren zurechtgelegt. Zu Anfang eines Berichtes verlangte er, dass die Grunddaten und Fakten, so weit bekannt, übersichtlich aufgelistet sind. Dabei gab es einige Punkte zu beachten, die für den Chef sehr wichtig waren. An dem vorliegenden Fall demonstrierte er Herrn Busch ganz genau und ausführlich, wie er es wollte. Bis er verstanden hatte, worauf es seinem Chef ankam, dauerte es eine ganze Weile. Doch gegen Morgengrauen war der Bericht so, wie Schäfchen ihn gerne wollte, verfasst.

      Während der gesamten Zeit sprachen die beiden kein einziges privates Wort. Kommissar Schaaf war völlig auf den Fall fixiert. Es gab kein Abweichen. Der Chef war nur darauf konzentriert und tauchte mit seinem ganzen Geist, fast schon fanatisch, darin ein. Ganz winzige Details in dem Bericht waren ihm wichtig. Jeder Satz wollte er so geschrieben haben, dass es keinerlei Verwechslungen oder Missverständnisse geben konnte. Alles musste eindeutig zu verstehen sein. Sie verfassten ihren Bericht zusammen und hielten alle Fakten sowie die Eindrücke am Computer und zuletzt als Ausdruck in Papierform fest. Streng nach den Vorgaben, wie Schaaf sie aufstellte.

      „So, ich denke wir haben jetzt alles“, beendete Kriminalhauptkommissar Schaaf die Arbeit bei Morgengrauen. „Sie gehen jetzt nach Hause, schlafen aus und heute Nachmittag statten sie den Hundebesitzern im Park zuerst einen Besuch ab, dann kommen sie ins Büro.“

      „In Ordnung. Gehen sie auch heim, oder bleiben sie gleich hier? Denn wenn sie weiter arbeiten, würde ich selbstverständlich auch bleiben.“

      Mit einem Aufhorchen nahm Schäfchen die Bemerkung seines jungen Kollegen zur Kenntnis. An Arbeitseinsatz und Fleiß fehlte es ihm nicht! Tugenden, auf die er sehr viel Wert legte, von denen er aber wusste, dass wenn sie nicht vorhanden waren, man sie nicht erzwingen konnte. In dem Punkt fand die Einstellung von Busch schon einmal seine Anerkennung.

      „Nein, ich gehe auch wieder nach Hause. Im Moment können wir in diesem Fall nicht wirklich etwas tun. Wir brauchen erst alle Auswertungen, bevor wir mit der Routinearbeit beginnen können. Wir brauchen ja schließlich erst Anhaltspunkte, wen wir befragen können. Bis jetzt wissen wir gar nichts über die Tote. Die Zeit wird kommen, wo wir mehr Arbeit haben, als uns Zeit zur Verfügung steht!“

      „Gut dann gehe ich jetzt. Schlafen sie gut, bis heute Nachmittag.“

      „Danke, sie auch.“

      2.

      „Hier ist der Bericht des Fallanalytikers.“

      „Ja, leg ihn zu den Akten“.

      „Willst du es wieder nicht lesen?“

      „Bert, ich habe es dir doch schon so oft erklärt: Ich will mich nicht durch so etwas beeinflussen lassen. Ich verlasse mich lieber auf meine eigene Nase, auf das, was ich sehe, die Fakten, meine Erfahrung und mein Gespür. Was ist, wenn der Herr Analytiker sich irrt und mir zum Beispiel einen Mann Anfang 20 beschreibt. Dann suche ich den und lasse vielleicht den wirklichen Täter außer Acht, weil der in Wirklichkeit über 40 ist.“

      „Na gut, du bist der Boss.“

      Bert war ein Mitarbeiter der ersten Stunde von Schäfchen. Als er seinerzeit die Stelle als Kommissar antrat, wurde ihm Bert zur Seite gestellt. Schon damals kannten sie sich bereits viele Jahre. Sie hatten ihre Ausbildung gemeinsam erlebt und auch ihre Dienstzeit von Anfang an zusammen durchgestanden. Inzwischen entwickelte sich daraus eine gute tiefgründige und feste Freundschaft. Schäfchen verließ sich auf Bert und teilte ihm oft innerhalb eines Falles Arbeiten zu, die er dann selbständig erledigte. Sie wirkten schon wie ein altes Ehepaar. Jeder kannte den anderen wie sich selbst; wusste, wie er tickte und was er dachte. Bert war der einzige Kollege im gesamten Kommissariat, der es sich erlauben durfte, eine leise Kritik an dem Chef anklingen zu lassen.

      „Ja ich weiß, du willst nicht den Tunnelblick bei deinen Fällen bekommen.“

      „Eben genau deswegen“, dann musste Schäfchen lachen und fügte hinzu: „Und das sagst du einem, der aus dem Tunnel kommt“.

      Seinem Freund und Kollege Bert wurde erst dadurch bewusst, was er da ausgesprochen hatte. Der neue Herr Busch verstand diesen Insidergag nicht und das Unverständnis glänzte regelrecht aus seinem Blick. Der Chef verließ gleich darauf das Büro, weil er sich mit dem Pathologen noch einmal über die Spuren an der Leiche unterhalten wollte, was Busch die Gelegenheit gab, den Kollegen Bert zu fragen, was es mit dem Tunnel auf sich hatte.

      „Wie meinte der Chef das eben mit dem Tunnel?“

      „Weißt Du das noch nicht? Er wohnt in einem Tunnel. Vor einigen Jahren wurde eine Umgehungsstraße geplant, die durch den Berg gehen sollte. Mit dem Ziel den Verkehr aus den Städten umzuleiten und so den Bewohnern mehr Ruhe zu gönnen.

      Es wurde eine Straße, am Rande der Rheinebene im Odenwald, nähe Weinheim zu dem Berg hin gebaut und begonnen, den Tunnel in den Fels zu bohren. Irgendwann ging das Geld aus, die veranschlagten Kosten waren viel zu tief angesetzt und aus Sparmaßnahmen wurde dieses Vorhaben dann komplett gestoppt. Die Bohrung war bereits fast 30 Meter in den Berg vorangetrieben worden. Über den Innenminister, den der Chef bei einer Tagung kennenlernte, bekam er die Möglichkeit den Tunnel zu kaufen, tat das auch und baute den innen zu einer Wohnung aus.“

      „Ne, oder? Du willst mich verarschen?“

      „Wirklich! Ich erzähle dir keinen Mist. Das ist eine echt abgefahrene Wohnung. Auf der einen Seite ist sozusagen der Flur und auf der anderen geht es in die Zimmer. Mit den rauen Felswänden sieht das echt toll aus. Den gesamten Flur entlang sind beiderseits an den rauen Wänden Lampen angebracht, die die Form von altertümlichen Fackeln haben. Das sieht super aus!

      Die Einrichtung hat seine Frau ausgesucht und die passt ganz genau zu dem Flair, das in dem Tunnel herrscht. Natürlich gibt es in der Wohnung keine Fenster, aber die Beleuchtung ist hervorragend gelöst und es gibt ein erstklassiges Belüftungssystem. Es ist viel mit indirekter Beleuchtung gemacht. Da gibt es Nischen in denen Leuchtkörper sitzen, die mit Milchglasscheiben abgedeckt sind und die Tische werden mit Spots erhellt. Du wirst diese außergewöhnliche Wohnung sicherlich einmal sehen können.“

      „Meinst du? Würde ich mir so etwas echt gerne mal ansehen.“

      „Ja klar. Der Chef macht zum Jahresende hin immer ein Essen privat, um sich bei seinen Leuten für die Arbeit im vergangenen Jahr zu bedanken. Dazu lädt er jeden aus seiner Abteilung in sein außergewöhnliches Heim ein. Also wirst auch du das nächste Mal dabei sein.“

      „Klasse! Da freue ich mich drauf. Und das sind richtige Räume in dem Tunnel?“

      „Ja. Es geht durch eine massivhölzerne Tür, fast wie in einer Ritterburg in den Tunnel hinein. Dann kommt man in eine Vorhalle, die etwas von einem Burgverlies hat, wegen der rauen Wände, die bis hin zur gewölbten Decke reichen. Anschließend erstreckt sich der Flur bis zum Ende der Tunnelbohrung. Von dem aus geht es dann in die einzelnen Räume. Die Küche und das Esszimmer sind offen gebaut und die Arbeitsplatte ist als Theke ausgearbeitet. Echt toll, das sieht ähnlich aus, wie in einer Burg der Festsaal! Der Boden ist mit Naturstein ausgelegt und es gibt, so viel ich weiß darunter eine Fußbodenheizung. Das Klima in dem Tunnel ist unglaublich angenehm. Man fühlt sich darin richtig wohl“, schwärmte Bert weiter.

      „Dann hat der Chef also auch gute Beziehungen zum Innenminister, wenn der ihm ermöglichte den Tunnel zu kaufen?“

      „Soweit ich weiß