R.J. Simon

Schaaf ermittelt


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aus. Ihr Kopf war komplett mit Klebeband eingeschnürt. Selbst über die Augen, bis hin zur Nase. Seitlich schauten unter der letzten Lage des Klebebandes kurze, blonde Spitzen der Haare hervor. Der Mund und der Hals lagen dagegen frei. Der Hals war mit unzähligen, längs gerichteten Schnitten übersäht, sodass jede Menge Blut diesen und das Dekollete verklebte. Das Klebeband, das ab Höhe der Schultern wieder begann und den Körper bis zu den Hüften weiter einschnürte, die Arme wurden somit fest an den Körper gepresst, war ebenfalls völlig mit Blut verspritzt. Es muss in Strömen geflossen sein, die sich als kleine braunrote Bäche zeigten, und die arme Frau war dabei wehrlos in dem Klebeband gefangen. Die Hände ragten am Ende hervor. Ihre Brüste waren ebenfalls frei und sichtbar. Insgesamt machte die verpackte Leiche den Eindruck, einer Mumie.

      Von der Hüfte an bis zu den Zehen war die Tote nackt. Wie vermutlich auch unter dem Klebeband, was die Gerichtsmedizin sicher bestätigen würde.

      „Das Klebeband auf jeden Fall auf Fingerabdrücke und DNA untersuchen und natürlich woher es stammen könnte“, gab der Kommissar eine kurze Anweisung.

      Welcher Verrückte war da am Werk gewesen? Ist es ein Fetischmord? Ein Sadist? Geht das auf die SM Szene zurück? Was treibt einen Menschen zu einer solch abartigen Tat? Schäfchen sah schon in unzählige schwarze, tiefe Abgründe menschlicher Seelen und die Auswüchse davon. Ihn konnte nichts mehr schocken. Es machte Schaaf aber immer wieder traurig wenn er erlebte, wie kaputt die Menschheit war und es ihm bewusst wurde, wie normale und brave Menschen leiden mussten, falls sie in die Fänge eines solchen Psychopathen gerieten.

      Sein harter Job, mit dem Tod und der täglichen Gewalt, hatten sein Mitgefühl noch nicht absterben lassen. Natürlich war Schaaf abgehärtet gegen das, was er in seinem Beruf mit ansehen musste. Aber dennoch blieb er ein mitfühlender Mensch, den das Schicksal der Opfer nicht unberührt ließ.

      Sein Assistent hinter ihm drehte sich mehrmals von der Leiche weg. Das spürte Schaaf genau. Aber Herr Busch gab keinen Ton von sich und lief auch nicht davon. Dafür erntete er schon eine gewisse Anerkennung von Schäfchen. Es waren nicht wenige Kollegen, die er in seiner langen Laufbahn beim Anblick ihrer ersten Leiche hatte umkippen sehen. Und dabei waren auch oft Tote, die aussahen, als schliefen sie nur. Seine allererste Leiche zu verkraften, die so zugerichtet war, wie diese Frau da vor ihnen, war schon starker Tobak.

      Der Kommissar sah sich alles genauestens an. Er versuchte dieses Bild als nüchterne Fakten in sich aufzunehmen, um es nicht zu sehr an sich heranzulassen. Er musste zur Aufklärung des Mordes alle Details kennen und genau, jeder Zeit abrufbereit, vor Augen haben, damit er den Täter, wenn er ihn vor sich hatte, auch erkennen konnte. Denn oft waren es nur winzige Kleinigkeiten die den Täter verrieten. Und wenn Schäfchen wusste, dass die Person vor ihm der Mörder war, dann fand er auch einen Weg ihn zu überführen. Bis jetzt brachte er jeden vor Gericht, von dem er überzeugt war, dass das der Täter war und keiner von denen wurde frei gesprochen.

      Eine kurze Bemerkung seines Assistenten Busch, der damit gegen die Anweisung ruhig zu sein verstieß, ließ Schäfchen dann aufhorchen. „Die konnte ja noch nicht einmal schreien, oder nur ganz kurz, so wie ihre Stimmbänder zerschnitten sind“, plapperte er unüberlegt los.

      Das könnte ein Anhaltspunkt sein. „Es geht um die Stimme“ kam eine erste, vage Vermutung in Schäfchen auf. Denn die Schnitte hatten eindeutig einen anderen Zweck, als dem Opfer nur die Kehle aufzuschneiden. In dem Falle wäre das auf andere Art, mit einem entsprechenden Schnitt einfacher und effektiver gewesen. Das hätte völlig anders ausgesehen. Die Überlegung von Busch war ein interessanter Aspekt. Den speicherte der KHK bei seiner Faktensammlung geistig mit ab.

      Im Umfeld der Leiche konnte der Kommissar nichts entdecken, was ihm weiterhalf oder ihm eine Idee vermitteln konnte. Keine markanten Fußabdrücke, keine Zigarettenkippen, Stofffetzen oder sonstige Anhaltspunkte, die ihm die Suche erleichterten. So weit er erkennen konnte, gab es noch nicht einmal abgeknickte Zweige an den Büschen. Aber die Kollegen von der Spurensicherung würden etwas finden, wenn es etwas gab. Da konnte sich Schäfchen blind darauf verlassen.

      Schaaf wartete geduldig ab, bis seine Kollegen von der Spurensicherung, der Fotograf und der Gerichtsmediziner ihre Arbeit erledigt hatten. Dabei stand Schaaf inmitten des Geschehens wie ein Poller in der stürmischen See: Ruhig, standfest und unbeeindruckt.

      Sämtliche Abdrücke und die Fotos waren gemacht und jeder noch so kleine Partikel, der zu finden war, in sterilen Plastiktüten gesichert. Hinter Schäfchen wartete brav sein Assistent Busch. Der besaß noch lange nicht die Gelassenheit von Schäfchen. Im Gegensatz zu ihm stand Busch unruhig auf der Stelle und es kostete ihn zunehmend große Mühe seine Ungeduld zu bändigen.

      Als der Spusi-Kollege als letzter am Kommissar vorbei schritt und ihm mit einem knappen Kopfnicken bestätigte, „Ich bin so weit fertig“, bedankte Schäfchen sich bei ihm und wartete noch einen Augenblick, bis der Kollege einige Schritte weiter weg war. Dann ging er selbst noch etwas vor, gefolgt von seinem Assistenten. Schaaf sah sich kurz um, ob auch die übrigen Kollegen mit der Tatortaufnahme fertig waren und abzogen.

      In der näheren Umgebung um die Leiche standen nur noch zur Sicherung zwei Polizisten, er selbst und Busch. „Lasst mich einen Moment mit ihr alleine“, sprach Schäfchen dann leise, aber für jeden verständlich. Alle um ihn herum befolgten seinen Wunsch, was eigentlich eine Aufforderung war, der sich keiner zu widersetzen wagte, sofort. Nur sein Assistent zögerte noch. Doch als sein Chef ihn kurz mit einem fragenden Augenaufschlag über die Schulter hinweg ansah, verstand er, dass diese Anweisung ebenso für ihn galt. Busch ging postwendend wieder ein Stück zurück, an die Stelle, wo sie zuvor gestanden hatten.

      Kriminalhauptkommissar Schaaf legte ganz langsam die kleine Distanz, die zwischen ihm und der Leiche noch bestand, zurück und näherte sich von der Seite her dem Leichnam, wobei er den Boden im unmittelbaren Umfeld genau im Blick behielt. Seinem geschulten und erfahrenen Auge entging dabei fast nichts. Auf der Höhe der Schulter verharrte er kurz, sah auf die tote Frau herab und ging dann neben ihr in die Hocke. Dabei musterte er ihr verklebtes Gesicht sehr genau. Mit einem starrenden Blick sah er sie dann noch eine Weile aus kurzer Distanz an, bis er leise flüsterte, sodass es keiner seiner Kollegen hörte: „Wer hat dir das angetan?“

      Schäfchen hielt dabei eine Hand der Toten und verharrte minutenlang bewegungslos. Dann nickte er der geschundenen Unbekannten zu und sagte nur leise, beinahe mitfühlend, „Gut“. Er stand auf und entfernte sich dann vom Fundort und gab das Kommando „Ihr könnt sie jetzt in die Pathologie bringen.“

      Busch war etwas verwirrt von dem Verhalten seines Chefs. Wobei er nur sah, dass der sich neben die Leiche hockte, ihre Hand hielt und am Ende kaum merklich nickte. Von dem Monolog, den Schäfchen abhielt, bekam Busch nichts mit. Doch schon das was er sah, konnte er nicht einordnen und wagte auch nicht nachzufragen, was er davon halten solle. Stumm wartete er, bis sein Chef bei ihm angekommen war und gemeinsam gingen sie zum Wagen zurück. Busch nahm seinen Platz hinter dem Steuer ein und fragte nur knapp: „Ins Kommissariat?“

      „Ja natürlich, wir haben jetzt noch einiges an Papierkram zu erledigen. Ich möchte dass diese leidigen Arbeiten immer gleich abgeschlossen werden, solange die Erinnerungen noch frisch sind. Egal um welche Tages- oder Nachtzeit es sich handelt. Merken sie sich das gleich.“

      „In Ordnung“, bestätigte Herr Busch den Wunsch und fand diesen Ansatz auch ganz vernünftig, denn später aus der Erinnerung einen Bericht zu tippen, barg natürlich die Gefahren von unrichtigen Daten, die dann zu Fehlern bei der Aufklärung eines Falles führen würden.

      Während der Rückfahrt verhielt er sich still und störte die Überlegungen seines Chefs bewusst nicht. Schäfchen saß stillschweigend, aber nicht angespannt neben ihm, knetete sein Spielzeug und verarbeitete wohl geistig was er sah und die Informationen, die er aufgenommen hatte. Währenddessen drückte und drehte Schaaf unentwegt die Knetkugel in seiner Hand, ohne dabei nervös zu wirken.

      Da Busch diese „In-Sich-Gekehrtheit“ des Chefs sofort erkannte, zog er es vor, sich ebenfalls ruhig zu verhalten, weil er dessen Gedankenarbeit natürlich nicht stören und schon gar nicht in den ersten Tagen unangenehm auffallen wollte. Es war eine Ehre für Schäfchen zu arbeiten und diese Chance, vom Besten zu lernen, wollte Busch