Henny Frank

Himmelslandtourist


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      Paul ist der schönste Mensch, den ich je gesehen hab und wie schön wird er erst sein, wenn er eines Tages geheilt ist!

      Was nun aber mein Aussehen betrifft - na ja.

      Aber ne Schönheit war ich sowieso noch nie und da muss ich ja nicht ausgerechnet jetzt, wo ich so krank bin, damit anfangen.

      O Mann. Ich seufze wieder.

      Wie sehr ich mir wünsche, dass mein Aussehen mein einziges Problem wär…

      Es ist aber nicht das einzige; es ist noch nicht mal ein Problem.

      Ich denke aber so oft daran, weil es doch schön wäre, wenn es ein Problem sein würde

       So, Schluss jetzt…

      Ich setze meinen MP3Player auf und höre Distillers.

      Mir ist nach Punk.

      I. 5.

      Ein paar Stunden später bin ich mit meinem Eltern im Cafe und rühre in meinem Tee rum. Vorher sind wir durch den Fasa-Park gegangen, doch plötzlich hatte es wieder angefangen zu regnen und nun sitzen wir also hier.

      Später wollen wir noch mal versuchen, zu den Hirschen zu gehen.

      Ich weiß, dass sie sich um diese Tageszeit oft auf der offenen Wiese aufhalten und ich will sie heute ja unbedingt füttern.

      Merkwürdig genug, aber meine Mutter hat mir gar nicht widersprochen, als ich diesen Wunsch vorgetragen hab. Ich glaube fast, dass mein Vater noch mal mit ihr geredet und ihr erklärt hat, dass es absolut nicht so viel bringt, wie sie denkt, wenn sie mich jetzt in Watte packen.

      Außerdem ist es doch auch so, dass mir das Rotwild noch nicht ein einziges Mal geschadet hat.

      “Ein Glück, dass es Henny wieder besser geht”, bemerkt meine Mutter gerade. Anschließend beißt sie in das Stückchen Apfelstrudel auf ihrer Gabel. Die letzten Tage haben meine Eltern damit verbracht, in gespielter Heiterkeit an meinem Bett zu sitzen und sich ihre Sorgen nicht anmerken zu lassen.

      “Ja, mir geht’s wieder gut”, erkläre ich und trinke einen Schluck Tee.

      Tatsächlich fühle ich mich, seit ich hier im Fasa-Park bin, noch besser und die letzten drei Tage liegen wie ein dunkler Schatten hinter mir.

      Wie so ne trübe Düsternis, an die man nicht gern zurückdenkt.

      Es gibt halt solche Tage, an denen mir mein Körper deutlich zeigt,

      wie krank ich bin.

      Dass ich überhaupt was hab, hab ich damals daran gemerkt, dass ich immer so müde war und außerdem meine Nase ständig geblutet hat.

      Hinzu kamen Zahnfleischbluten, Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen, immer wiederkehrende Infekte, blaue Flecken und ein merkwürdiges, undefinierbareres Krankheitsgefühl.

      Blass war ich schon immer, weshalb mein blutleeres Gesicht zunächst auch niemanden beunruhigte.

      Meine Eltern nahmen an, dass ich an einer Anämie litt und schickten mich zum Arzt.

      Zunächst wurde nichts auffälliges gefunden, doch mein Zustand besserte sich nicht. Es wurden mehr Blutproben genommen und schließlich fand man die Ursache: akute myelosische Leukämie.

      Zunächst war es nur ein Verdacht, doch nach einer Knochenmarkpunktion gab es schließlich Gewissheit.

      Ich hab tatsächlich Blutkrebs.

      Ich weiß kaum noch, wie ich auf die Diagnose reagiert hab.

      Daran zurückzudenken, ist wie in ein schwarzes Loch zu starren. Selbstverständlich war ich geschockt und hatte furchtbare Angst -

      Angst, dass ich sterben muss und auch vor der Behandlung.

      Wisst Ihr, die Knochenmarkpunktion hatte ziemlich weh getan und wer wusste schon, was jetzt noch kommen würde?

      Dass ich eine Chemotherapie machen muss, war mir bereits damals klar und ich fand das schlimm. Mit Nebenwirkungen wie Übelkeit, Fieber Müdigkeit hatte ich auch tatsächlich zu kämpfen, doch es gibt auf der Station jede Menge Patienten, die viel schlimmer dran sind als ich.

      Jedenfalls hab ich keine Organblutungen oder ne Blutvergiftung bekommen. Mein Magen macht mir zwar ziemliche Probleme, doch der kriegt sich irgendwann schon wieder ein.

      Hoffe ich zumindest.

      Inzwischen musste ich ziemlich oft eine Knochenmarkpunktion, die fast immer wehtut, machen und mir wird ständig Blut abgenommen.

      Des Öfteren bekomme ich auch Bluttransfusionen und gelegentlich Blutplättchenübertragungen.

      Die meiste Zeit muss ich im Krankenhaus verbringen, und wenn ich dann doch mal nach Hause darf, bekomme ich entweder Fieber

      oder am besten gleich einen Infekt, meine Blutwerte gehen in den Keller oder ich erleide so einen dämlichen Kreislaufzusammenbruch wie neulich im Garten. Krebs ist eine grässliche Angelegenheit und ich beneide jene Leute, die glauben, irgendwelche positiven Erfahrungen oder gar einen Sinn darin finden zu können.

      Ja, einerseits beneide ich diese Leute.

      Andererseits aber gehen die mir auch ziemlich auf die Nerven.

      Ich frag mich nämlich, was denn diese positiven Erfahrungen oder der Sinn sein sollen.

      Ich jedenfalls kenne nur Schwäche und Schmerzen, das Gefühl, die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren und dieser Krankheit völlig ausgeliefert zu sein.

       Und Angst. Todesangst.

      Na ja, vielleicht hab aber auch bloß ich so negative Gefühle und bin zu doof oder nicht positiv genug, um so was nachempfinden zu können. Überhaupt können die allermeisten damit bestimmt viel besser umgehen als ich.

      Ehrlich gesagt glaub ich das aber nicht so recht.

      Außer mit Paul rede ich nie mit jemanden über solche Sachen.

      Auf der Station sind wir im Moment die Jüngsten. Fast hätte man uns sogar noch auf der Kinderkrebsstation untergebracht und abgesehen von diesen Clowns, die da regelmäßig auftauchen, wäre das bestimmt auch lustiger gewesen.

      Die schönere Einrichtung und die bessere Betreuung gibt es jedenfalls dort… Aber ich komme vom Thema ab.

      Eins verstehen Paul und ich allerdings beide nicht:

      diese Sache mit dem Krebs als Sinnstifter und so.

      Wir jedenfalls finden, dass Krebs absolut keinen Sinn macht und könnten wir auf irgendwas in unserem Leben verzichten, wäre der das erste.

      Paul hatte es vor der Krankheit sehr schön und ich selbst bin vielleicht einfach bloß verbittert.

      So schön hatte ich es auch vor der Leukämie nicht.

      Meinen Eltern war ich nie gut genug. Ständig nörgelten die an einem rum und in der Schule durfte ich mich mit meinen gemeinen Mitschülern rumplagen.

      Die meiste Zeit hing ich - so wie auch jetzt - allein rum und dachte immer wieder darüber nach, was das alles, mein Leben und so, überhaupt soll.

      Ich fühlte mich aber so verletzt und unsicher, dass mir dazu nie was einfiel.

      Der Unterschied zwischen Paul und mir vor der Krankheit war jedenfalls, dass alles, was er anfasste zu Gold und alles was ich in die Finger bekam, zu Rost wurde.

      Dann kam die Leukämie und machte uns beide auf gewisse Art gleich. Dieser Krebs zeigt einem, dass es ihm egal ist, wer man vorher war oder was man hatte, denn wenn er da ist, dann hat er einen ganz.

      Das Leben dreht sich nur noch um ihn und Leader wie Loser hängen gleichermaßen an ner Chemoinfusion, haben Schmerzen, Angst und kotzen.