Henny Frank

Himmelslandtourist


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für Paul im Internet starten werde.

      Ich weiß ja, dass seine Freunde das zwar schon getan haben, doch ich muss es einfach versuchen.

      Irgendwo da draußen wird es diesen genetischen Zwilling bestimmt geben - ich muss ihn nur finden.

      Ich öffne die Augen einen Spalt und sehe auf meinen Laptop.

      Was für ein Glück, dass es heute, im Gegensatz zu 1989, so was gibt.

      Zwar gab es auch damals schon längst Computer, doch privat hatte,

      glaub ich, kaum jemand einen. Höchstens so ne Comodore-Teile, diese gigantischen Kästen mit den riesigen Bildschirmen.

      Internet gab es damals aber überhaupt nicht, doch heutzutage kann ich hier von meinem Krankenzimmer aus den Typisierungs-Aufruf für Paul starten und er wiederum konnte mir vor ein paar Tagen die Bilder von Tiszafüred rüberschicken.

      Ein Smartphone hab ich allerdings nicht. Für nen Siebzehnjährigen bin ich erstaunlich technikinaffin.

      Bei Facebook oder so bin ich auch nicht. Ich glaub ich bin der einzige in der ganzen Klasse, der da nicht ist.

      Na ja, was soll’s.

      Soll ich Euch lieber mal erzählen, wie es in Tiszafüred so aussieht?

      Ja, das werd ich - in spätestens ein paar Tagen.

      Jetzt muss ich erstmal den Aufruf für Paul starten.

      Ich will dabei unbedingt Musik hören und ich greife nach meinem Mp3Player, der auf dem Nachtisch liegt.

      Wisst Ihr, mir ist gerade nach Björk. Deren schöne und außergewöhnliche Musik hat mir schon immer gefallen und ich glaub fast, heut ist mal wieder Zeit für Medulla.

      Medulla heißt soviel wie Mark; also auch Knochenmark und darum soll es jetzt ja schließlich gehen.

      I. 7.

      Ich hätte euch ja alles noch genauer erzählt. Doch ich kann nicht.

      Paul ist tot. Heute haben sie ihn mitgenommen und in jenen Raum im Untergeschoß gebracht. Ihr wisst wohl, welchen Raum ich meine.

      Dort wird er bleiben, bis der große schwarze Wagen kommt.

      Es ist erst ein paar Tage her, dass ich Paul wieder was von Tibor erzählt hab - und diesmal auch von Carsten.

      Paul wollte so gern wissen, wie es mit den Beiden weitergeht.

      Doch es wurde einfach kein passender Spender gefunden und meine eigene Aktion war beendet, bevor sie überhaupt angefangen hat.

      Zwar durfte Paul ja eigentlich nach Hause, doch auf einmal ging es ihm so schlecht, dass seine Eltern ihn zurück ins Krankenhaus gebracht haben.

      Es war furchtbar schwer, mit ansehen zu müssen, wie seine Schmerzen immer schlimmer wurden und wie das Leben aus ihm wich.

      Nun ist er tot.

      Als sie s mir gesagt haben, bin ich raus gerannt, in den Krankennhauspark. Ich kann Euch nicht beschreiben, was ich fühlte… Einerseits war ich wie betäubt, doch da stieg auch ein seltsamer Schmerz in mir auf.

      Es regnete in Strömen und ich hatte die ganze Zeit über A Moment von Paramaecium im Kopf.

      Die Taubheit ließ allmählich nach und ich spürte die Verzweiflung in all ihrer Heftigkeit. Alles schien still zu stehen und ich schrie den Schmerz hinaus. Danach konnte ich endlich weinen.

      Steven, der Krankenpfleger, war mir nachgegangen und als er mich schließlich zusammengekauert auf der Bank unter der Buche fand, setzte er sich zu mir.

      Nach einer Weile gingen wir ins Krankenhaus zurück.

      Steven brachte mich auf mein Zimmer und redete dort sehr lange mit mir.

      Überhaupt kümmern sich alle um mich. Sie wissen ja, wie viel Paul mir bedeutet (hat).

      Ja, das tut er, und in diesen Tagen spüre ich das heftiger als je zuvor.

      Seine Eltern und seine Schwester haben mir erzählt, dass er ganz ruhig gestorben ist. Letzte Nacht wurde er so schwach, dass sein Herzschlag langsam versiegte und die Atmung schließlich aussetzte.

      Ich habe noch nie jemanden sterben sehen, doch ich bin froh, dass Paul nicht allein war, als es passierte und er gegangen ist - gehen musste.

       Gott im Himmel, wie ich diese Leukämie hasse…

      Ich weiß nicht, ob ich meine Geschichte nun noch weitererzählen werde. Ohne Paul kommt mir alles so sinnlos vor.

      Ich habe den Tod, der auf dieser Station ohnehin allgegenwärtig ist, gespürt - näher als je zuvor.

      Er hat Paul mitgenommen - und auch einen Teil von mir.

      Nichts wird ihn mir wieder zurückbringen.

      Paul nicht und den Teil von mir auch nicht.

      I. 8.

      Inzwischen sind drei Wochen vergangen.

      Ich hatte Geburtstag und bin jetzt achtzehn; volljährig also.

      Wenigstens das hab ich geschafft…

      Aber Paul… Mir kommen die Tränen und ich zupfe verzweifelt an meiner Decke rum.

      In letzter Zeit hab ich viel gebetet; dass heißt, zumindest hab ich’s versucht. Ich habe nach einer halbwegs plausiblen Erklärung für Pauls Tod gesucht. Ich weiß, dass er krank war, doch selbst an einer Leukämie muss man heutzutage ja nicht mehr zwangsläufig sterben.

      Bei Paul schlug aber nichts mehr an und das mit der Transplantation ging auch nicht, weil sie keinen passenden Spender gefunden haben.

      In einem solchen Fall kann man auch heute nicht mehr viel tun.

      Jesus hat mir versprochen, dass Paul es dort, wo er jetzt ist,

      viel besser hat, als er es hier auf der Erde jemals hätte haben können,

      und ich hab beschlossen, ihm zu glauben.

      Ich hab Jesus allerdings auch gefragt, warum manche denn krank werden und sterben, oder warum wir so ganz allgemein überhaupt erstmal auf der Erde rumhängen müssen, wenn es bei ihm sowieso viel schöner ist.

      In meiner Verbitterung hab ich jedoch keine Antwort abgewartet.

      In dem Moment hätte mir Jesus auch sonst was erzählen können.

      Es wäre einfach nicht zu mir durchgedrungen.

      Dann aber hab ich geträumt. Fast war es so, als würde mir Jesus persönlich erscheinen. Mitten in der Nacht stand er an meinem Bett im Krankenhaus und sagte, dass er solche bescheuerten Krankheiten eben auch nicht verhindern kann. Allerdings könnte er einem wenigstens so halbwegs die Verzweiflung darüber nehmen - wenn man sich denn darauf einlassen kann.

      Das Problem sei aber, dass es kaum jemand kann und das fände er sehr schade, sagte Jesus - und “du kannst das ja auch nicht, Henny“,

      oder so was ähnliches.

      Dann seufzte er und im nächsten Moment war er verschwunden.

      Ich sah ihm nach und bemerkte, dass meine Augen offen standen.

      Wirklich, ich konnte alles um mich herum deutlich erkennen;

      ich musste also wach sein.

      Oder war ich bloß tot und meine Seele schwebte hier rum…

      Nein, ich lag ja im Bett und konnte die Bettdecke auf mir spüren,

      ich