Henny Frank

Himmelslandtourist


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Grunde ist es ja geradewegs eine Zumutung, findet er,

      dass sie ihm überhaupt mit so was kommt wie er solle sich “einen ernstzunehmenden Ausbildungsplatz” suchen.

       Als ob er das notwendig hätte…

      Nein, die Musik ist seine Arbeit und dafür braucht er keinen Ausbildungsplatz. Überhaupt ist sie mehr als bloß Arbeit.

      Sie ist seine Passion, seine Liebe, sein Herzblut - ach, sie ist sein ganzes Leben.

      Es ist auch nicht so, dass sich niemand dafür interessieren würde und er so ein peinlicher Möchtegern-Rockstar ist.

      Nein, so ist es nicht, ganz bestimmt nicht, da braucht er ja nur an den letzten Auftritt Woche zurückzudenken.

      Der Mitte-der-Welt-Club, in dem er mit seiner Band gespielt hatte,

      war gerammelt voll und draußen vor der Tür standen noch etliche Leute, die nicht mehr in den Club reinpassten, rum.

      Manche waren sogar extra aus Debrecen nach Tiszafüred gekommen.

      Sie waren wegen ihm hier. Warum sonst sollte sich jemand in diese Einöde verirren?

      “Ich hab mit Papa besprochen, dass ich mich ab jetzt nur noch auf die Musik konzentrieren will und vielleicht kannst auch du das endlich mal zur Kenntnis nehmen”, zischt Tibor seiner Mutter zu.

      Sein Blick gefriert zu gletscherblauem Eis.

      “Und falls nicht, dann behalts für dich. Du bist ja sowieso bloß eingeschnappt, weil ich keinen Bock mehr hatte, ausschließlich Klavier zu spielen.” Dabei belässt er es und geht so schnell, dass die Mutter gar nicht mehr dazu kommt, was zu erwidern aus der Küche.

      Macht nichts. Tibor hat ja ohnehin keinerlei Lust auf irgendwelche Kommentare. Überhaupt findet er es sehr großzügig von sich, dass er sich jetzt noch zu diesem Statement herabgelassen hat -

      ursprünglich hatte er das nämlich gar nicht vor.

      Es ist nun aber auch nicht so, dass Tibor was gegen das Klavier hätte;

      im Gegenteil. Ich hab ja schon erwähnt, dass er sehr vielseitig ist.

      Neben dem Klavier und der Gitarre spielt er noch Sitar, Mundharmonika, Spinett und vor allem Kirchenorgel.

      Auch seine musikalischen Vorlieben sind breit gefächert und er findet seine Inspiration bei verschiedenen Musikrichtungen.

      Überwiegend wohl im Metal, aber auch bei klassischer und geistlicher Musik, Rock, Indie und der Musik der Roma.

      Ja, all diese Musik berührt Tibor; sie hat seine Entwicklung als Musiker beeinflusst und genau diese Vielfalt ist es ja auch, die ihn so einmalig und besonders macht.

      Aber davon hat seine Mutter keine Ahnung.

      Zwar beeindruckt es sie insgeheim schon ein wenig, dass er so viele Instrumente spielen und die unterschiedlichsten Musikstile miteinander verknüpften kann.

      Vor allem aber findet sie, dass Tibor so was wie eine gerade Linie; der berühmte rote Faden, fehlt.

      Das wiederum will Tibor nicht; er will frei sein, in seiner Musik.-

      Nun bleibt er erst mal auf dem Treppenabsatz der Pastorenvilla stehen, kramt in der Jackentasche nach seinen Zigaretten und als er sich gerade eine der Kippen zwischen die Lippen gesteckt hat, sieht er seinen Vater über die Wiese kommen.

      Es ist Samstag Abend und der Pastor war noch in der Kirche, um dort den Sonntagsgottesdienst vorzubereiten.

      Nun hat der Vater erreicht.

      “Na, Tibi, willst du heute noch in den Proberaum?”, fragt er.

      “Oder willst du in die Kirche - zum Orgelspielen?”

      Tibor denkt nach. “Erst geh ich in die Kirche, dann in den Proberaum und um elf ins Mitte der Welt”, erklärt er.

      Der Vater nickt. “Aha.”

      Er reicht Tibor den Kirchenschlüssel herüber und lächelt ihm zu.

      “Eine schöne Zeit! Aber bring mir den Schlüssel wieder zurück,

      bevor du in den Proberaum gehst.”

      “Klar”, meint Tibor und in solchen Dingen kann man sich tatsächlich auf ihn verlassen.

      In Gegensatz zu mir… O Mann, ich kann mir richtig vorstellen, wie ich an seiner Stelle selbstverständlich vergessen würde, den Schlüssel zurückzubringen, um ihn dann später im Suff auch noch zu verlieren. Tibor aber ist da ganz anders.

      Wisst Ihr, langsam bekomm ich ernsthaft Minderwertigkeitskomplexe, doch bestimmt hab ich nichts besseres verdient.

      Es ist halt so; es gibt solche Leute wie Tibor, die schön, selbstbewusst und begabt sind. Und es gibt solche wie mich - verklemmte Loser,

      die nichts auf die Kette kriegen, dauernd Schlüssel verlieren und auch sonst nichts können.

      Tibor ist auch kein oberflächlicher Blender, wie Ferenc immer meint,

      sondern ein beispielloser Individualist mit Tiefe.

      Okay, diese ruppig-arrogante Attitüde hat er schon, aber irgendwelche Fehler hat doch wohl jeder.

      Ja, irgendeinen Fehler hat in der Tat jeder - aber ich - ich hab ein paar zuviel und als ob das nicht schon schlimm genug wär, musste ich auch noch krank werden. Aber lassen wir das.

      Letztendlich ist es um einen wie mich sowieso nicht schade und außerdem will ich jetzt lieber erzählen, wie es weitergeht.

      “Was gibt es zum Abendbrot?”, fragt der Pastor gerade.

      Tibor zieht an seiner Zigarette. “Marta (die Haushälterin) hat heute Mittag so ne Frühlingssuppe gekocht, davon ist noch ne ganze Menge übrig.”

      Sein Vater nickt erfreut. “Sehr gut. Meine Güte, hab ich einen Hunger…” Er klopft seinem Sohn auf die Schulter und geht anschließend ins Haus.

      “Tschüss”, murmelt Tibor hinter ihm her.

      Wenn er ehrlich ist, muss er zugeben, dass er seinen Vater, der immer so ruhig, ausgeglichen und ernsthaft an dem, was er, Tibor, tut interessiert ist, sehr gern hat.

      Hohles Gemecker kommt bei ihm jedenfalls nicht vor und Tibor hat auch nicht vergessen, dass der Vater ihm seinen Proberaum verschafft hat -

      ein kleineres Gebäude, das sich im hinteren Teil des Kirchengrundstücks befindet. Früher wurde es als Gästehaus genutzt, doch jetzt dient es nur noch Tibors Musik.

      Es ist geräumig dort, die Wände sind schallisoliert und vieles, was für die Band von Belang ist - die Anlage und die meisten von Tibors Instrumenten - ist dort untergebracht.

      Sein Augenstern, die Kirchenorgel, allerdings nicht.

      Dass er Kirchenmusik darauf spielen kann, weiß Tibor ja längst.

      Mit neun Jahren hatte er angefangen, dieses Instrument zu lernen und seit einiger Zeit weiß Tibor auch, wie hervorragend sich die Orgel in seine Musik integrieren lässt.

      Früher haben übrigens auch die Konzerte im Proberau stattgefunden, doch dafür ist er längst zu klein geworden und dieser Club in Tiszafüred ist es eigentlich auch.

      Tibor zieht an seiner Zigarette und lächelt vor sich hin.

      Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er dieses Kaff verlassen und in Debrecen spielen wird. Und den Plattenvertrag gibt es gleich dazu.

      Das weiß er. -

      Mein Album (Colours In The Dark von Tarja) ist zu Ende und ich spiele mit Pauls Tuch herum.

      Ich kann die große weiße Kirche genau