Henny Frank

Himmelslandtourist


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rätselte jetzt darüber, ob ich auch in den Momenten zuvor wach gewesen war.

      Sollte ich nämlich nicht geschlafen haben, dann hätte ich das Erscheinen von Jesus ja gar nicht geträumt, sondern…

      Dann wäre er wirklich bei mir gewesen, so ganz in echt.

      Das ist ein ziemlich erhabener Gedanke und in den nächsten Tagen hatte ich mich so angestrengt, davon überzeugt zu sein, dass ich schließlich fast tatsächlich daran glaubte.

      Inzwischen ist das aber wieder anders und ich gehe davon aus, dass ich wohl doch geträumt hab.

      Warum sollte Jesus auch gerade mir erscheinen, wo er ja sonst so gut wie nie jemanden erscheint. Schließlich bin ich kein Heiliger oder so,

      und besonders gefestigt in meinem Glauben bin ich auch nicht.

      Wenigstens aber versuch ich nun davon überzeugt zu sein, dass Jesus mir diesen Traum geschickt hat und jedes Mal, wenn ich wieder so verzweifelt bin, dass ich den ganzen Tag nur heulen könnte, erinnere ich mich daran.

      Wisst Ihr, verzweifelt bin ich zur Zeit ziemlich oft. Selbst Musik mag ich dann nicht hören und das will bei mir wirklich was heißen.

      Ich hasse diese Leukämie, die alles zerstört so sehr, dass es weh tut.

      Ich hasse sie dafür, dass sie Paul einfach aus seinem bis dahin glücklichen Leben gerissen und bei mir alles noch viel schlimmer gemacht hat.

      Früher hätte ich das niemals für möglich gehalten - aber im Ernst,

      wie gern würd ich jetzt zur Schule gehen!

      Zwar ist es furchtbar dort, aber immerhin besser als hier im Krankenhaus.

      Und Angst hab ich, das ist kaum auszuhalten.

      Bevor die Leukämie kam, hab ich mir manchmal gewünscht,

      dass ich sterben würde… Ach, ich weiß auch nicht, was ich will.

      Jetzt jedenfalls macht mir der Tod Angst und sollte ich das mit dem Sterben damals tatsächlich ernst gemeint haben, dann dachte ich wohl doch eher an einen kurzen und schmerzlosen Tod und nicht an einen,

      der qualvoll und langsam vor sich hin mäandert, bis er einen schließlich erreicht hat.

      Vielleicht werd ich auch wieder gesund - wer weiß das schon?

      Ich hab jedenfalls heute beschlossen, nicht mehr so ängstlich zu sein und ganz verwegen zu tun - (auch wenn s schwerfällt…)

      Und nein, diese Psycho-Heinis von der Krankenhausseelsorge brauch ich auch nicht mehr. Gebracht haben sie mir sowieso nicht viel, aber das werf ich denen nicht vor. Manchmal nützt eben alles Gerede nichts mehr.

      Paul ist am zweiten Februar gestorben und am siebten war seine Beisetzung.

       O Mann, wenn ich mich daran erinnere, vergeht mir das mit dem Verwegen tun gleich wieder…

      Ich brauch bloß an diese Urne zu denken, die da langsam in die Erde gelassen wurde und wie unheimlich und unangenehm mir dieser Anblick war. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, dass dies alles war, was von Pauls Körper geblieben ist - so wenig, dass er nun komplett in dieses kleine Ding reinpasste.

      Hinzu kam noch, dass ich die ganze Zeit über daran denken musste,

      dass es wohlmöglich nicht mehr allzu lange dauert und ich selber lande auch in so einem Teil.

      Ich hätte viel lieber daran gedacht, wie ich Paul damals kennen gelernt hab und was wir alles miteinander erlebt und worüber wir gesprochen haben. Doch diese anderen Gedanken waren übermächtig und ich konnte nichts dagegen tun.

      Ich fand diese Urne so was von schlimm und ich hatte solche Angst,

      bald sterben zu müssen, dass ich kaum noch an mich halten konnte.

      Bestimmt hatten meine Eltern und die von der Krankenhausseelsorge das gemeint, als sie gesagt haben, ich solle mir gut überlegen, ob ich wirklich zu Pauls Beisetzung gehen will und dass er wohl Verständnis dafür gehabt hätte, wenn ich im Krankenhaus bleibe.

       Aber da ist es ja auch nicht viel angenehmer….

      Ich ging also und stand dann ziemlich verkniffen auf dem Friedhof rum.

      Irgendwie fand ich auch, dass einige Leute dort mich so merkwürdig ansahen. Im Ernst, mir war, als könnte ich denen geradewegs ansehen, was die dachten.

      Und zwar: Na, der wird wohl demnächst auch fällig sein…

      Für so ne Urne nämlich. Dass ich krank bin, sieht man ja auf den ersten Blick.

      In Pauls Stammschuppen, wo wir nach der Beisetzung noch waren, lächelte ich so unbefangen wie möglich in die Runde; immer dankbar, wenn jemand mein Lächeln auffing und erwiderte.

      Trotzdem aber hatte ich das Gefühl, dass ich vielen da suspekt blieb.

      Wisst Ihr, sie schienen ne ganz merkwürdige Form von Respekt vor mir zu haben und wenn einer mit mir sprach, ging es auch fast nur um diese bekloppte Krankheit.

      Doch vielleicht bilde ich mir das mit diesem komischen Respekt und dem ganzen anderen Kram auch bloß ein und bin mir lediglich selbst suspekt.

      Ich weiß nicht.

      Es scheint übrigens üblich zu sein, dass bei so ner Trauerfeier drei Lieder gespielt werden können. Paul hat sich seine noch selbst ausgesucht; es waren Boneflower von Avatarium, Taking Back My Soul von Arch Enemy und Bomber von Motörhead.

      Bomber ist auf Motörhead-Konzerten immer der letzte Song und so soll es bei ihm auch sein, meinte Paul.

      Dann war da noch so ein Trauerredner, weil Paul nicht in der Kirche war und so eben kein Pastor gesprochen hat. Ich fand zwar ganz gut, was der erzählt hat, aber ich glaub, wenn ich sterbe, dann will ich vielleicht doch lieber fünf bis sieben Lieder spielen und gar keiner soll da rumquatschen. Bei mir gibt’s auch nicht so viel zu erzählen.

      Ich hab übrigens beschlossen, mit der Geschichte weiterzumachen.

      Das hab ich Paul, dort wo er nun ist, letzte Nacht versprochen.

      Bevor ich Euch jetzt wieder von Tibor und Carsten erzähle, erklär ich aber erst mal den Unterschied zwischen lymphatischer und myeloischer Leukämie - oder nee, ich erklär bloß, was ne akute myeloische Leukämie ist. Das andere weiß ich nämlich auch nicht so genau.

      Also, akute myeloische Leukämie ist ne Form von Leukämie,

      bei der unreife (myeloische) Blutzellen wachsen und sich unkontrolliert vermehren. Myeloische Zellen sind Vorläufer verschiedener Blutzellen und deren unkontrolliertes Wachstum führt nun dazu, dass die normalen Blutzellen (weiße und rote Blutkörperchen, Blutplättchen) verdrängt werden.

      So einfach ist das - also zumindest der theoretische Vorgang.

      Ich weiß nicht, warum ich Euch das gerade jetzt erklären musste.

      Ist ein wenig deplaziert, aber immerhin hatte ich ja angekündigt,

      dass ich diese Erklärung noch nachreichen werde und wenn ich es auch nicht geschafft hab, den Unterschied zwischen myeloisch und lymphatisch zu erklären, so hab ich doch zumindest dem ersten Teil entsprochen. -

      Seit dem letzten Chemozyklus vor einer Woche sind die Ärzte sehr zufrieden mit mir. Mein Blutgehalt ist gestiegen und die Zahl der Krebszellen gesunken.

      Dr. Wegener ist glücklich darüber, dass diese Chemotherapie so gut bei mir angeschlagen hat und gesagt, ich solle so weitermachen.

      Ja, hab ich geantwortet, ich tu, was ich kann.

      Schließlich soll ich ja noch ne Weile leben. Das wiederum hab ich Paul versprochen und was Dr. Wegener betrifft, also ich glaub,

      der