Henny Frank

Himmelslandtourist


Скачать книгу

      Und mittlerweile sind sie völlig enthemmt und testen unentwegt,

      ob Carsten nicht vielleicht doch irgendwann er Kragen platzt.

      Das wird aber nicht passieren und vielleicht stimmt diese Theorie auch gar nicht.

      Ist ohnehin egal. Ich kann mich sowieso nicht wehren, denkt Carsten.

       Erstens traue ich mich nicht. Und zweitens wüsste ich auch gar nicht,

       wie ich mich wehren sollte…

      Und so lässt er sich weiterhin alles gefallen.

      Wenigstens muss er jetzt nicht mehr ganz so oft heulen.

      Hin und wieder passiert ihm das zwar noch, doch so schlimm wie früher ist es zum Glück längst nicht.

      Bereits während seiner Grundschulzeit hatten die anderen Kinder Carsten ständig gehänselt und herumgeschubst.

      Carsten hatte sein Schicksal damals als selbstverständlich genommen.

      Es war nun mal so, dass die anderen ständig gemein zu ihm waren.

      Doch heute ist er 16 Jahre, schließlich kein Kind mehr und inzwischen kann er es immer weniger verstehen.

      Zwar denkt Carsten oft, dass er, wäre er jemand anderes, sich vermutlich auch nicht leiden könnte, aber zumindest würde er sich in Ruhe lassen.

      Vielleicht bin ich wirklich merkwürdig, denkt er.

       Und uncool bin ich auch. Mir fällt nie was lustiges oder schlagfertiges ein, wenn einer was doofes zu mir sagt.

       Schlimmer noch - ich werde rot und fange an, rumzustottern,

       wenn ich überhaupt angesprochen werde.

       Ich schäme mich ständig vor den anderen und irgendwie hab ich auch Angst vor denen…

      Und genau dies wirft ihm der Vater nun in allen Einzelheiten vor.

      Diese Angst vor den anderen, Carstens Unsicherheit und seine ewig gebückte Haltung.

      Als der Vater schließlich mit ihm fertig ist und sich wieder voll und ganz seinem Korn widmet, schleicht Carsten wie ein geprügelter Hund die Treppe hinauf.

      Aus seinen Augen tropft es und vor ihm verschwimmt alles.

      Ihm ist schwindelig und Carsten muss sich am Gelände festhalten.

      Warum macht Papa das, denkt er.

       Na ja, aber schließlich hat er ja getrunken… Da ist er manchmal so.

       Und vielleicht hab ich auch selbst Schuld, dass er so zu mir ist.

       Oder hätt ich mir das gar nicht bis zum Schluss anhören und einfach gehen sollen?

       Was Papa dazu gesagt hätte, ist egal - der wird sich morgen sowieso an nichts mehr erinnern können.

      Als er oben ist, geht Carsten ins Badezimmer und wäscht die Tränen fort. Anschließend blickt er lange in den Spiegel.

      Er verabscheut, was er dort sieht. Er hasst dieses blasse Gesicht,

      die ausdruckslosen, graublauen Augen und den melancholischen Zug um die Mundwinkel.

       Langweilig sehe ich aus und genau das bin ich auch…

      Carsten zupft an seinen dunkelblonden, ausgefransten Haarsträhnen herum und er fragt sich, ob sein Vater recht damit hat, dass er die Haare weiterhin wachsen lassen soll.

      Vielleicht würde ihn das wenigstes etwas interessanter und ausdrucksvoller erscheinen lassen und außerdem würden ihm lange Haare auch wirklich gefallen.

      Carsten sieht zur Seite. Er muss jetzt wieder an Frau von Haydn denken - und wie sie ihn gestern angesehen hat. So lieb irgendwie -

      aber auch etwas merkwürdig. Etwas zweifelndes lag in ihrem Blick.

       Doch was kann das bloß sein?

       Sie haben mir mal gesagt, dass sie mich mögen, Frau von Haydn.

       Selbstverständlich weiß ich ja, dass Sie die Gefühle, die ich für Sie habe, nicht teilen.

       Doch allein schon dass Sie mich mögen und dass Sie immer so nett zu mir sind, ist absolut wunderbar…

       Wissen Sie, manchmal denk ich, ich gehe nur noch in diese Schule, um Sie zu sehen.

       Das ist aber auch Grund genug…

       Ich kann Sie jetzt genau vor mir sehen. Wie Sie dort vor dem Lehrerzimmer stehen und mir zulächeln. Dann aber scheint Ihnen was einzufallen… Und dann versuchen Sie, anders zu lächeln, als vorher. Unverbindlicher.

       Wenn Sie wüssten, was ich für Sie empfinde - wie sehr ich mir wünsche, dass sie meine Hand nehmen und einfach…

       Aber das haben Sie ja sogar schon getan. Meine Hand genommen und darüber gestrichen.

       Ich weiß zwar, dass Sie mich damals nur trösten wollten.

       Diese Berührung aber… Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, was ich da empfunden hab.

       Ich bin so verliebt in Sie. Doch bestimmt darf ich das gar nicht.

       Was aber kann ich dagegen tun…

      Carsten seufzt und geht in sein Zimmer.

      Neben dem Bett liegen noch die CD (Somewhere In Time von Iron Maiden), die er gestern gehört hat und ein Vogelführer.

      Carsten hatte versucht, in dem Buch zu lesen, doch er konnte sich mal wieder überhaupt nicht konzentrieren.

      Nun lässt Carsten sich langsam auf seine Bettdecke nieder.

      Den Kopf vergräbt er tief im Kissen. Er spürt die Wärme und langsam beginnt er, sich besser zu fühlen. Die feindliche Welt dort draußen kann ihm nichts mehr anhaben…

      Plötzlich tropft etwas aus seiner Nase. Zuerst meint Carsten, dies sei Rotz. Seit einiger Zeit schon ist er mehr oder weniger erkältet.

       Wenigstens aber ist es kein richtiger Infekt, wie diese Grippe vor drei Wochen…

      Gut fühlt Carsten sich aber trotzdem nicht.

      Er hebt den Kopf und will eins der Taschentücher neben dem Bett nehmen. Dabei fällt sein Blick auf das Kissen. Es ist voller Blut. -

      Vielleicht fragt ihr Euch, wer Carsten Wilke ist und warum er auf einmal hier auftaucht.

      Ja, wisst Ihr - Carsten Wilke ist der, an den ich neulich im Cafe gedacht hab. Er ist jener, der alles verstehen kann und letzte Nacht ist er ebenso plötzlich bei mir aufgetaucht wie zuvor Tibor.

      Ja, Carsten kennt all das, wahrhaftig

      Er weiß wie es ist, sein Leben lang herumgeschubst zu werden.

      Armer Kerl. Er tut mir richtig leid, doch ich brauche ihn nun mal.

      Er ist für mich so was wie ein Alternatives Ich; er ist das, was ich bin - und Tibor vermutlich das, was ich gerne wär

      Beim Rotwild war ich gestern übrigens leider doch nicht mehr.

      Dieser verfickte Regen kriegte sich überhaupt nicht mehr ein und hat

      alles verdorben.

      Nachdem meine Eltern mich ins Krankenhaus zurückgebracht hatten,

      und ich gerade beim Einschlafen war; kurz bevor Carsten kam,

      hab