E.R. Greulich

... und nicht auf den Knien


Скачать книгу

war der Nächste und wieder mal ganz vorn im Patriotismus. Fünfundzwanzig Pfennige legte er auf den Tisch, fünfzehn eigene und zwei Fünfer, die er Zweien seiner besten Freunde abgenommen hatte für das Versprechen, pro Fünfer eine Schrippe zu liefern. Fünf Kupferne wollte er für sein Geld verhämmern. Alois wuchtete mit dem Hammer, dass der Lack platzte. Neblich tadelte ihn leise, tröstete sich und die Klasse dann aber damit, dass nun noch mehr Grund bestände, den Schaden recht schnell mit Nägeln zuzunageln. Noch einige Besitzer von Fünfern meldeten sich, dann drohte die edle Nagelei zu stagnieren.

      Artur gefiel die Sache nicht, obwohl er es schwer in Worte auszudrücken vermocht hätte. Seinem Gesicht sah man es an.

      "Artur Becker", sagte Neblich freundlich, "reizt es dich nicht, auch einige Hammerschläge zu probieren?"

      "Ich habe kein Geld, Herr Neblich", erwiderte Artur höflich.

      "Ich gebe dir fünfzehn Pfennige, Artur."

      "Ich weiß nicht, ob sie mir Vater wiedergibt, und Schrippen kann ich Ihnen dafür nicht mitbringen wie Alois dem Heinrich und Theo."

      Neblich wollte die hehre Sache nicht durch hässliche Nebentöne herabsetzen lassen. "Komm schon, schlag einen Goldenen ein."

      Artur zögerte einen Augenblick, dann ging er, nicht sehr fröhlich, nach vorn. Würdevoll reichte ihm Neblich den Hammer. Als Artur die Hand ausstreckte, verlor Neblich die Würde. "Das ist ja unverschämt. Mit solchen Dreckpfoten wagst du zur Schule zu kommen?"

      Erschrocken starrte Artur auf seine Hand. Erst jetzt bemerkte er, dass sie noch schwärzer war als vorhin sein Gesicht. "Ich - entschuldigen Sie - wir haben Kohlen geholt - es war schon so spät - und ..."

      "Setz dich, du Dreckspatz!", donnerte Neblich. "Du weißt, dass es bei mir für Unpünktlichkeit ebenso wenig Ausreden gibt, wie für Unsauberkeit."

      Schamroten Gesichts schlich Artur auf seinen Platz.

      "Du wirst dich jetzt eine Woche lang jeden Morgen bei mir vorstellen mit sauberen Händen" dito Gesicht und Hals", dekretierte Neblich. Artur knirschte mit den Zähnen, denn Neblich wusste genau, dass er sich stets sauber hielt. Schon der Mutter zuliebe, die in puncto Sauberkeit unnachgiebig war.

      Artur beteiligte sich heute nicht mehr am Unterricht.

      Neblich hätte ihn herunterputzen können, hinauswerfen oder zum Rektor schleifen, er hätte reagiert wie ein störrischer Esel. In den Pausen blieb er mit verbissenem Gesicht auf seinem Platz. Fast die ganze Klasse wollte ihn trösten, am eifrigsten Kaspar. Der hatte diesmal ausnahmsweise Glück gehabt, obwohl seine Hände noch schmutziger waren als die Arturs. Der Trost tat wohl, doch Artur schwieg. Als Erika zaghaft zu ihm trat, riss er sich aus seiner Verbitterung. "Schönen Dank für das Taschentuch. Kriegst es gewaschen wieder."

      "Ist doch nicht nötig, Artur, Du nimmst alles so schwer. Der Neblich ist auch bloß einer - wie - wie die Meisten. Der zieht den Dicken jetzt immer vor, weil er Schrippen ohne Marken bei Bemmlers kriegt."

      Da schau an, das hatte Artur nicht gewusst. Die Mädchen besaßen meist schärfere Augen für die kleinen Dinge. Nun begriff er, wie sehr Neblich die Bemerkung über die Schrippen getroffen haben musste.

      Es war nützlich, auch so etwas zu erfahren, und er war dem Mädchen dankbar. Wie konnte er es ihr zeigen? Hastig stieß er hervor: "Aber dafür hab' ich heut 'nen Sack voll gehabt wie noch nie. Kriegst 'n Brocken ab, gleich nach der Schule."

      In Erikas Gesicht war etwas, das ihn an Mutter erinnerte, wenn sie nachsichtig lächelte. "Lass doch, Artur, wegen so 'n bisschen Taschentuch ..." Natürlich wäre es romantischer gewesen, er hätte ihr einen Blumenstrauß versprochen. Aber auf so was kamen die Jungen nicht. Außerdem war es Winter.

      "Doch, du wirst sehen", beharrte Artur. Und sie ließ es dabei bewenden. Es freute sie schon, dass er nicht mehr so verbissen grübelte.

      Als Artur zu Hause berichtete, strich die Mutter ihm über das Haar. "Der Neblich ist schlimmer als einer, der ruhig mal schlägt", sagte sie nachdenklich.

      Artur schluckte. "Ich mach' es nicht. Der soll mal lieber kontrollieren, ob alle satt zur Schule kommen."

      Seine Entschlossenheit bestärkte Luise Becker in ihrer Auffassung, dass etwas geschehen müsse. Sie werde mit Vater darüber sprechen. Erfreut über Mutters Verständnis, erzählte Artur, er habe Erika einen großen Brocken Kohle versprochen.

      Luise Becker wandte sich ab und lächelte. "Natürlich musst du dein Versprechen halten. Iss jetzt und mach deine Schularbeiten. Inzwischen wasche und bügle ich das Taschentuch. Bringst Erika dann beides."

      Artur drückte heftig Mutters Arm. Das war hohe Anerkennung, denn es kam jetzt immer seltener vor. Er wollte nicht mehr so knabenhaft sein, schließlich wurde er langsam ein Mann.

      Nachdem Artur die Schularbeit beendet hatte, klaubte er den größten Brocken aus dem Kohlensack und packte ihn in einen Karton, den er verschnürte. Die Mutter fand eine Schachtel, da legte sie das saubere Taschentuch hinein. Artur tat einen Zettel dazu: "Mit herzlichem Dank zurück, Artur."

      Max Borbachs Schwiegertochter war eine schlanke blasse Frau, die eher wie eine ältere Schwester Erikas aussah. Als sie auf Arturs Klopfen öffnete und den Jungen mit dem Karton stehen sah, bekam sie die verwunderten großen Augen, wie Artur sie gern an Erika sah. "Nanu, Artur, was bringst du denn Schönes?"

      "Ich - äh ... hier", er hielt Meta Borbach den Karton hin, "hab ich Erika versprochen. Ist sie nicht da?"

      "Doch, komm herein."

      Erika war noch bei den Schularbeiten. Sie tat, als hätte sie das Versprechen vergessen, und schnürte neugierig den Karton auf. Als die beiden Borbachs den schwarz glänzenden Inhalt sahen, mussten sie laut lachen. Es war ein herzliches Lachen und Artur war nicht beleidigt. Verlegen meinte er: "Versprochen ist versprochen. Brauchst du einen Tag nicht zu frieren."

      Meta Borbach sagte anerkennend: "Also Artur - du wirst -, bist ja ein richtiger Kavalier. Nun musst du auch hierbleiben und einen Schluck Kaffee mit uns trinken. Zufällig habe ich Haferflockenplätzchen gebacken." Wie die meisten Arbeiterfamilien hatten sich die Borbachs längst abgewöhnt, nachmittags Kaffee zu trinken. Das konnte man sich höchstens sonntags leisten, und für den Tag waren die Plätzchen·bestimmt gewesen. Sie schmeckten Artur gut, noch besser als die Grützeplätzchen, die Mutter manchmal buk, aus geschrotetem Korn vom Ährenlesen im Sommer.

      Meta Borbach wickelte drei Plätzchen ein und steckte sie Artur in die Jackentasche. Über seine Verlegenheit half ihm Erika hinweg, indem sie ihn wegen einer Aufgabe befragte.

      Artur hatte selten jemandem etwas so genau auseinanderposamentiert. Frohgestimmt wanderte er dann nach Hause und richtete die Grüße der Borbachs aus.

      Müde und verdrossen kam Walter Becker eine Stunde später als sonst am Abend nach Hause. Ein Maschinenausfall hatte eine Überstunde erforderlich gemacht. Luise Becker brachte ihm die Pantoffeln, als er sich still auf seinem Stuhl niederließ. Es war nicht üblich, er liebte es nicht, sich in dieser Art bedienen zu lassen. Etwas spöttisch schaute er sie an. Sie hätte ihn gern mit Arturs Kummer verschont. Doch es musste sein. Sachlich erzählte sie die Geschichte vom "Dreckspatz" Artur Becker. Eugen kam dazu und knurrte: "Ich hab's immer gesagt, wer seinen Hokuspokus nicht glaubt, dem macht er bei Lebzeiten die Hölle heiß."

      Die Müdigkeit Walter Beckers war wie weggeblasen. Seine Faust knallte auf die Tischplatte. "So geht's ja nun nicht! Ruf den Jungen her!"

      Artur saß in der Kammer. Er war so in ein Buch vertieft, dass er den Vater nicht hatte kommen hören. Erstaunt sprang er auf, als die Mutter eintrat. Er ging, begrüßte den Vater und berichtete vom Zusammenstoß mit dem Lehrer. Verbissen schloss er: "Da kann sich Neblich kopfstellen, ich trete nicht jeden Morgen an und zeige ihm die Hände."

      "Nein, das machst du nicht", bekräftigte der Vater. "Unsre Familie ist sauber, das braucht uns nicht erst in der Schule beigebracht zu werden. Gehst du hin, Mutter, oder soll ich ...?"

      "Ich gehe", sagte Luise Becker bestimmt.

      "Bleib ruhig, aber