E.R. Greulich

... und nicht auf den Knien


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- k-kann - niiicht, Jungs", bibberte Kaspar, "die Hucke voll ist schlimmer als frieren."

      Alle unterstützten Arturs vernünftigen Ratschlag, doch Kaspar blieb bockbeinig. Lieber wollte er kaputtfrieren als so nach Hause gehen.

      "Der Kanonenofen in Bemmlers Schuppen wäre jetzt das Richtige", sinnierte Franz halblaut.

      "Noch besser Bemmlers Backstube", übertrumpfte ihn ein anderer. Ein Hoffnungsschimmer verklärte Kaspars weißblaues Gesicht. Artur kratzte sich lange den kurz geschorenen Kopf. "Wenn der Dicke nicht solch madiger Hund wäre. Ohne den kommen wir nicht rein in die Backstube."

      "Du musst ihn breit schlagen", forderte Franz.

      Im Dauerlauf rannten sie los. Geräuschvoll brachen sie in das Geheimbund-Nest ein. Unsicher schaute Alois auf die Meute, leise hoffend, sie hätten es sich anders überlegt.

      "Alois", Artur ging aufs Ganze, "schmuggle Kaspar in die Backstube; er ist eingebrochen und muss seine Sachen trocknen."

      Der Dicke sah seinen verhagelten Weizen wieder aufblühen. "Einverstanden - wenn ihr mitmacht."

      "Das hat damit nichts zu tun."

      "Dann raus mit euch!"

      Artur trat dicht an den Dicken heran. "Kaspar holt sich den Tod, wenn du ihm nicht hilfst."

      "Soll er sich nach Hause scheren."

      "Da schlägt mich mein Vater tot", erklärte Kaspar.

      "Mach mit, dann kannst du weiterleben."

      "Pass Obacht", Artur packte Alois' obersten Jackenknopf, "wenn du nicht hilfst, werden wir der ganzen Schule erzählen, wie gemein du bist." Er wandte sich zu den anderen: "Nicht war, Jungs?"

      "Jawoll!" trompeteten sie einstimmig.

      In Alois' Augen glitzerte es. Er musste nachgeben. "Na gut", entschied er. Jovial sagte er dann: "Komm, Kaspar", und zu seinem zusammengeschmolzenen Häuflein. "Morgen sprechen wir weiter."

      Artur und Kaspar verabschiedeten sich mit Handschlag. "Ich drück' den Daumen, dass dein Vater nichts merkt."

      Beruhigt trabten die Jungen nach allen Richtungen davon.

      Am nächsten Morgen gingen ihnen die Augen über vor Staunen. Neblich trat ins Klassenzimmer; verzichtete auf das gemeinsame Gebet und rief mit strenger Stimme: "Kaspar Leutner, stehe auf!"

      Langsam, blässlich, erhob sich Kaspar.

      "Warum flaggt ihr nie bei unsern Siegen?"

      "Ich - ich weiß nicht, Herr Neblich", stotterte Kaspar.

      "Aber aus Hass, dass andere flaggen, stiehlst du ihnen die Fahne?"

      "Ge-gestohlen hab' -habe ich sie nicht."

      "Du hast sie heruntergerissen wie ein Vandale. - Hier vorn stell dich her; mit dem Gesicht zur Wand. Bis Schulschluss. Wer mit dir spricht, kommt daneben. Zu Morgen schreibst du hundertmal den Satz: "Ich schäme mich vor Gott und dem Lehrer für meine hässliche Tat."

      Unterdrückte Aufregung herrschte in der Klasse, kurze geflüsterte Fragen, Schulterheben, Augenzwinkern. Nur Alois wirkte ruhig und ausgeglichen.

      In der ersten Pause ging Artur unbekümmert zu Kaspar.

      "Wie bist du denn dazu gekommen?"

      Kaspar ließ grämlich die Mundwinkel hängen. "Der Dicke hat dauernd gedrängelt, wenn ich nicht ja sage, muss ich aus der Backstube, und er erzählt's Vater."

      "Und dann hast du's gemacht?"

      Kaspar senkte den Kopf. "Er hat Schmiere gestanden."

      "Setz dich hin, Artur", rügte Reggi, "sonst kommst du an die Tafel."

      Artur beachtete ihn nicht und fragte Kaspar: "Wer war noch dabei?"

      "Keiner."

      "Und niemand hat euch gesehen?"

      Kaspar schüttelte heftig den Kopf.

      Artur drehte sich um und ging auf Alois zu, der ein Gesicht machte, als sei nichts vorgefallen. "Du hast ihn verraten!"

      Überrascht von der plötzlichen Beschuldigung, lehnte sich Alois verlegen zurück und zeigte Artur einen Vogel.

      "Du warst dabei, bist der Einzige, der es gewusst hat", rief Artur wütend. Erregt sammelte sich die Klasse um die beiden.

      Alois versuchte an Artur vorbeizusehen und rief zur Tafel: "Reggi, wer Radau macht, soll aufgeschrieben werden!"

      Stolz wandte sich Reggi um. "Schon dran."

      "Hilf ihm nur", Artur drohte zur Tafel hin, "deswegen sag ich dem Drecksack doch, was er ist. Erst kriegt er Kaspar rum, Neblichs Fahne abzureißen, weil er selbst zu feige ist, und dann verpetzt er ihn."

      Rufe des Abscheus und der Verachtung mischten sich mit saftigen Schimpfwörtern gegen Alois. Der verteidigte sich hochroten Gesichts: "Schwindel doch nicht drauflos, du Piepknecht, ich habe Herrn Neblich nichts gesagt."

      "Dann hast du zu einem andern gequatscht, und der hat's gepetzt", schrie Artur, "das ist genauso gemein!"

      Wie das Wasser einer Pfütze, in das ein Stein klatscht, spritzten sie auseinander, als Neblichs scharfes Organ ertönte: "Ist hier ein Tollhaus?"

      Unbeweglich wie Marionetten saßen sie und senkten die Köpfe. Jeder suchte sich hinter dem Vordermann zu verstecken. Jetzt kam ein Gewitter, wehe, wen der Blitz traf. Neblich sah zur Tafel. Einsam prangte dort ein Name: "Artur Becker. Neblich rief den Sünder: "Steh auf!" Artur tat es und sah den Lehrer an.

      "Warum warst du laut?"

      "Ich hab dem - dem da", er zeigte auf den Dicken, "die Wahrheit unter die Nase gerieben." Zustimmendes Gemurmel war zu hören. Unbeherrscht klatschte Neblich mit der flachen Hand aufs Pult. "Ruhe bitte ich mir aus!" Lauernd richtete er seinen Blick auf Artur. "War es auch wieder solch eine Weisheit wie: Mit schönen Reden wird noch lange kein Krieg gewonnen?"

      Puterrot wurde Artur, doch er hielt tapfer dem Blick Neblichs stand und erwiderte: "Die alles aushecken und dann alles verpetzen, die werden nicht bestraft."

      Einen Augenblick sah es aus, als wollte sich Neblich auf den Jungen stürzen. Dann richtete er sich kerzengerade auf und hatte sich wieder in der Gewalt. "Du maßt dir Urteile an, die dir nicht zustehen. Du bist hoffärtig, undiszipliniert, Artur Becker, dir fehlt die rechte Gottesfurcht. Damit du in dich gehst, stellst du dich neben Kaspar Leutner. Damit die Strafe Nachhall in deiner Seele findet, sehe ich morgen hundertmal den Satz von dir: Ich soll gegen meinen Lehrer nicht respektlos sein."

      Artur stellte sich neben Kaspar und knuffte ihn heimlich kameradschaftlich. Teufel, war das Leben verzwickt. Da hatte er den unsinnigen Vorschlag des Dicken mit Neblichs Fahne von sich, Kaspar und den Freunden abgewehrt, und nun war wie durch eine Hintertür das Schicksal über Kaspar und ihn gekommen. Neblich hätte doch reinen Tisch machen können, alle bestrafen und den Anstifter Alois am meisten, diesen - diesen Judas. Artur freute sich eine Weile an dem treffenden Wort, das ihm aus der Religionsstunde eingefallen war. Wenn der Neblich nicht mal hier gerecht war, wie hielt er es dann in den großen Dingen?

      Endlich war auch dieser schwere Vormittag zu Ende. Wieder einmal im Leid verbunden, gingen die beiden Sünder nebeneinander nach Hause.

      Artur hoffte inständig, dass der Vater an diesem Abend Zeit für ihn habe. Er musste mit ihm über die Sache reden. Sie unterhielten sich jetzt seltener als früher. Die Schufterei bei der längeren Arbeitszeit, der Kummer über den Krieg, dem auch die sozialdemokratischen Führer die Kredite bewilligten, hatten den Vater müder und stiller gemacht. Dabei musste er noch froh sein, dass er bis jetzt nicht eingezogen worden war. Als zuverlässigen Facharbeiter hatte ihn die Firma reklamiert. Dem Vater war es recht, er war gar nicht wild darauf, den Heldentod zu sterben. Doch wusste er auch, dass besonders die "Schleimscheißer" reklamiert wurden, denen aber fühlte er sich am allerwenigsten zugehörig.

      Gleich nach dem Abendessen tauchte Borbach auf, und Artur wusste, dass heute wieder nichts