Heidi Dietzel

Mei Ruah möcht i'ham


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      Der Postsekretär im Himmel

      Zwei Tage vor Maria Lichtmess wurde der Postsekretär Martin Angermayer zu München von einem echt bayerischen Schlaganfall derartig getroffen, dass er schon nach einer halben Stunde den Geist aufgab.

      Seine Seele schickte sich jedoch nicht sogleich zur Reise an, sondern sie gab wohl acht, ob den irdischen Resten auch alle übliche Ehre widerfahre, und zählte und prüfte die Kränze, welche von einigen Verwandten, auch vom Stammtisch im Franziskaner, dem Verkehrsbeamtenverein und seinem Kegelclub gespendet wurden.

      Sie bemerkte sodann noch mit Genugtuung, dass der Herr Postrat Leistl beim Begräbnis zugegen war, dass auch die Haushälterin Zenzi in Tränen zerfloss, und sie fuhr gen Himmel, indes ein Quartett des Männergesangsvereins eine erhebende Weise hören ließ.

      Da saß nun Sekretär Angermayer im Vorraum des Paradieses und fühlte sich keineswegs so glückselig, wie man es nach den Schilderungen frommer Bücher eigentlich glauben sollte.

      Schon dass er nackend war, benahm dem an Ordnung gewöhnten Beamten die Sicherheit und es wollte das Gefühl, ein respektabler Mensch zu sein und auch als solcher zu gelten, nicht recht in ihm aufkommen.

       Zudem fröstelte es den an überheizte Büroräume Gewöhnten in dem Luftreich und der Verdacht, dass es von irgendwoher ziehe, quälte ihn nicht minder wie die Unmöglichkeit, jemanden zum Schließen eines Fensters aufforden zu können.

      Denn dieser Vorhof des Paradieses war nach drei Seiten hin eigentlich offen, nur vom eigentlichen Himmel trennte ihn eine Wolkenwand und zwischen den wundervollen Säulen, die ihn rings umgaben, konnte freilich die balsamische Luft ungehindert einströmen, desgleichen von oben, da sie kein Dach abhielt.

      Angermayer schickte seine Blicke missmutig in das unendliche Blau, das sich über ihm wölbte, und in die rosigen Fernen, die sich zwischen den Säulen auftaten. Diese Unbegrenztheit war ihm fremd, und was ihm fremd war, das war ihm nun einmal zuwider.

      Dann stand, seine Unbehaglichkeit zu steigern, eine Menge von Leuten um ihn herum, die sichtlich nicht alle aus Bayern oder gar aus München gekommen waren.

       Er konnte im Gegenteil bemerken, dass es Menschen aus aller Herren Länder waren, gelbe, braune, schwarze, Leute mit langen Haaren, wie sie spinnerte Schwabinger tragen, Leute mit buschigem Wollhaar, Leute mit Zöpfen, kurzum zumeist fremdartige Wesen, denen er nie hold gewesen war, und die meisten verdrehten ihre Augen verzückt und selig und benahmen sich auffällig. Jedem einzelnen von ihnen hätte er in den Straßen seiner Heimatstadt verächtlich nachgeschaut unter bissigen Bemerkungen. Jedem hätte er aus seinem Schalter heraus Respekt beigebracht, aber hier, so mitten unter ihnen, war er hilflos und, was das Schlimmste war, er gehörte eigentlich zu ihnen oder schien wenigstens einer von ihnen zu sein. Dann: Zeit seines Lebens war er kein Freund von Kindern gewesen und ihre Unarten, die von nachsichtigen Eltern womöglich noch gepriesen wurden, fielen ihm stets unangenehm auf und er war nie geneigt, ihrer Unerfahrenheit oder ihrer Jugend etwas zugute zu halten.

      Hier trippelten sie nun scharenweise vor seinen Augen herum und jauchzten, und niemand war da, der sie mit Strenge zur Ruhe gewiesen hätte, ja, als er einen Bengel, der ihm zu nahe kam, einen ungezogenen Fratz nannte, schüttelte ein langhaariger, fader Kerl, der neben ihm stand, missbilligend den Kopf.

      Da drängte sich Angermayer unwirsch durch die Menge und stellte sich hinter eine Säule, um nur das Getue nicht mehr mit ansehen zu müssen.

      Seine Gedanken kehrten sehnsüchtig nach der Erde zurück, wo gerade heute, an einem Donnerstag, der Kegelabend stattfinden musste, und er beneidete die Glücklichen um ihr harmloses Vergnügen.

      Die Kollegen redeten gewiss von der Überbürdung des Amtes, bekrittelten die Leistungen der Vorgesetzten und erzählten, wie sie diesem und jenem die Meinung gesagt hätten, und sicherlich war auf diese Art die allergemütlichste Unterhaltung im Gange.

      Vielleicht würden sie heute auch an ihn denken und wohl gar mit Bedauern seine Abwesenheit bemerken?

      Er hatte freilich nicht das meiste zur Fröhlichkeit beigetragen, aber er war immer pünktlich zur Stelle gewesen und hatte sich jederzeit als eifriges Mitglied gezeigt, und wenn auf Zeit und Zustände geschimpft wurde, hatte es nie an seinem Beifall und seiner kräftigen Mitwirkung gefehlt.

      Ach ja – München!

       Angermayer seufzte tief und der lästerliche Gedanke stieg in ihm auf, wie gerne er sich aus dem Elysium weg nach der bayerischen Hauptstadt versetzen ließe und wie bereit er wäre mit einem Kollegen zu tauschen.

      Aber er war schon ein Pechvogel.

      Auf Erden hatte man ihn oft übergangen, ihm nie die verdiente Beförderung zuteil werden lassen, und wie er sich dann schimpfend und nörgelnd und doch im Innern zufrieden mit seiner Sekretärstellung abgefunden hatte, musste er weg mitten unter die nackten, ekelhaften Schlawiner hinein...

      »Angermayer!«

      Er fuhr aus seinen Gedanken auf, als er seinen Namen mit einiger Ungeduld rufen hörte, und sah einen großen Engel am Himmelsportal stehen, der ungefähr so aussah wie ein Genius vom Oberammergauer Passionsspiel und der jetzt die Hände vor den Mund hielt und wiederum den schallenden Ruf ertönen ließ:

      »Martin – Angermayer aus München!«

      »J – ja!«, antwortete missmutig der Sekretär, »was wollen S' denn?«

      »Vielleicht ist es Ihnen endlich gefällig, einzutreten?«, schrie der Engel.

      »I kumm scho«, knurrte Angermayer und er schob sich langsam durch die Gaffer hindurch, die erstaunt über sein Zögern die Köpfe nach ihm umdrehten und die noch überraschter waren, als sie der Genosse ihrer künftigen Freuden mit groben Ellenbogen beiseite schob.

      »Da bin i. Deswegn brauchen S' doch net so plärrn«, sagte der Sekretär zum Engel, der den merkwürdigen Gast mit leuchtenden, kugelrunden Augen maß.

      »Ich habe dich mindestens dreimal gerufen«, sprach er dann mit leisem Tadel.

       »Von mir aus sechsmal«, erwiderte Angermayer mit einer im langjährigen Schalterdienst erprobten Grobheit und er setzte beinahe feindselig hinzu: »Für die Arbeit werdn Sie wahrscheinlich zahlt werdn.«

      »Dein Ton ist ungehörig«, sagte der Engel. »Hier ist ganz und gar nicht der Ort für solche Äußerungen, mein lieber Angermayer.«

      »I bin net Eahna Liaber, verstengan Sie mich! Und d' Sau hamm ma aa not net mitanand' ghüat. Und drittens bin i der königlich bayrische Sekretär, des mirken S' Eahna!«

      »Das bist du gewesen! Und jetzt bist du eine Seele, und sonst nichts, und hast dich in die Hausordnung zu fügen.«

      »Wo is denn Eahna Hausordnung? Wenn Sie a Hausordnung habn, nacha schaugn S' z'erst, dass die Kinder net so umeinandrolzn und lassen S' die Schlawiner da d' Füaß waschn. Dös waar a Hausordnung, verstengan Sie mich, und denen können S' was vazähln von Eahnara Hausordnung, aber net an königlichn Sekretär, der wo seiner Lebtag gwisst hat, was sich ghört...«

      »Ja, Michael!«, rief es ungeduldig von drinnen.

      »Gleich!«, erwiderte der Engel und schob mit einer im Himmel sonst nicht üblichen Energie den streitsüchtigen Sekretär in das Paradies hinein.

      Jeder andere wäre geblendet gewesen von dem schier undenkbaren Glanze, der hier strahlend ausgebreitet war, und jeder andere hätte verzückt dem unbeschreiblichen Wohllaut der in der Ferne singenden und musizierende Engel gelauscht.

       Allein Angermayer hatte sich schon von allem Anfang an vorgenommen hier nichts so übermäßig schön zu finden, und dann war er von Natur nicht überschwänglich, und dann war er noch verbittert durch seinen Streit mit dem Erzengel.

      Also blickte er mürrisch drein und schnitt ein Gesicht, das deutlich fragte: »Is dös alls?«

      Vor ihm saß inmitten von schön gelockten Engeln ein unglaublich gütig lächelnder Greis, der eine dunkelblaue Toga trug,