Gerhard Schumacher

Marrascas Erbe


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die unzweifelhaft zu beweisen schienen, daß ich vor mehr als dreißig Jahren zusammen mit dem Ehepaar Marrasca in einem Straßencafé gesessen haben mußte, woran ich mich allerdings mit keiner Windung meines Gehirns auch nur in Bruchstücken erinnern konnte. Kein Wunder, zum Zeitpunkt der Aufnahme war ich höchstens zwei Jahre alt, vielleicht noch jünger, im durchaus denkbaren Fall sogar noch gar nicht geboren.

      Wie sollte ich mich da an irgend etwas erinnern können?

      Verzweifelt versuchte ich Ungewißheit in mir zu schüren, kramte alle möglichen Eventualitäten aus dem Zauberkästchen der Irrtümer und Illusionen hervor, konstruierte Zufälle der unwahrscheinlichsten Art und suchte Entschuldigungen und Ausflüchte, indem ich schlichtweg die Realität zu leugnen trachtete. Indes, es half alles nichts. Immer wieder wurde ich, so ich einen Moment die Augen nicht verschloß, ohne Mitleid auf die fotografisch festgehaltene Unmöglichkeit gestoßen, die da vor mir auf dem Tisch lag und sich weigerte, mittels geträumter und von weit her geholter Argumente ihrer Existenz beraubt zu werden.

      Was ich auch anführte, wie ich mich auch wand und wendete, Álvaro wies mich immer wieder mit einem Kopfschütteln auf die Tatsachen hin. Es war zum Verzweifeln.

      Über all mein Lamentieren hatten wir auch die zweite Flasche rosado geleert und ich wollte schon eine dritte aus dem Verschlag holen, doch der Chauffeur machte mir einen anderen Vorschlag. Ich sollte, bis auf die beiden mysteriösen, die Bilder wegräumen und im Anschluß daran in die Bar El Ultim kommen, da sowieso bald die Zeit des Nachtessens gekommen sei. Von Bienvenida wüßte er, daß sie eine Delikatesse besonderer Art, nämlich rostit de cabra, Zickleinbraten, im Rohr habe, das würde mich hoffentlich ein wenig ablenken. Er, Álvaro, ginge in der Zwischenzeit in die Pfarrkirche, Don Remigio zu holen, damit er mir in meiner schweren Stunde mit seinem geistlichen Ratschlag und, wer weiß, vielleicht sogar einer Lösung zur Seite stünde. Der Glaube, versuchte er mir Mut zu machen, versetze ein manches Mal Berge, und er zwinkerte mir mit Optimismus zu.

      Mochte der Glaube auch Berge versetzen, auf Fotos abgelichtete Personen würde er kaum verschwinden lassen, wollte ich dem braven Chauffeur schon erwidern, unterließ es dann aber, denn ich konnte seinen gut gemeinten Aufmunterungsversuchen schwerlich mit meinem profanen Weltgeist entgegentreten. Auch war der in Glaubensfragen eher zweifelnde Charakter des pare, von dessen ketzerischen Gedankengängen ich ja ausreichend Kenntnis besaß, meines Erachtens nicht einmal dazu angetan, kleinere Sandhäufchen umzuschichten, geschweige denn, ausgewachsene Berge aus Felsgestein, Geröll und Erdreich von einem Ort an einen anderen zu verbringen. Aber mit diesen grundlegenden Fragen konnte und wollte ich natürlich das kindliche Gemüt Álvaros in diesen Dingen nicht belasten. Außerdem war sein Vorschlag vernünftig, ich stimmte also zu und beide machten wir uns auf den Weg. Álvaro den Berg die Stufen zur Kirche hinauf, ich mit der Bilderkiste die Treppe in die Bibliothek hinunter. Die beiden bewußten Fotos hatte ich, ohne sie ein weiteres Mal anzuschauen, zwischen zwei Pappdeckel in meine Jackentasche gesteckt.

      Als ich mich auf den Weg in die Bar El Ultim machte, war mir, da ich die Haustür hinter mir zuzog, mit einem Mal klar, daß ich, wenigstens zur Zeit, nicht in der Lage gewesen wäre, alleine in dem Haus des Raben zu wohnen und entwickelte für Álvaros liebesbedingte Anwesenheit eine gewisse Form der Dankbarkeit.

      Erst als ich schon einige Schritte die Carrer Major entlanggegangen war, fiel mir auf, daß ich mein Heim mit dem Beinamen Don Xaviers bedacht hatte. Und es war auch das erste Mal, daß mir das Synonym durch den Kopf schoß, wenn ich an Senyor Marrasca dachte.

      Wie sich schnell herausstellte, war der Weg Álvaros hinauf zur Kirche insofern vergebens, weil Don Remigio schon geraume Zeit in der Bar El Ultim saß und auf mich wartete. Etwas außer Atem nahm der Chauffeur diesen Umstand nach seiner Rückkehr zur Kenntnis und begab sich verärgert auf seinen Stammplatz nahe der Küchentür, aus der ab und zu Bienvenida ihr, zugegeben, hübsches Köpfchen steckte. Überhaupt war sie seit den Bemühungen ihres Verehrers sichtlich schöner geworden, schöner jedenfalls, als ich sie noch von früher in Erinnerung hatte. Diese Einschätzung konnte jedoch auch auf einem gewissen Wunschdenken beruhen. Ich war mir nicht ganz sicher.

      Man sah Don Remigio deutlich an, daß er schon eine gut bemessene Zeitspanne gewartet haben mußte, seine Augen schauten etwas verschwommen durch die Umwelt und als ich die Bar betrat, gestikulierte er sogleich etwas wild mit beiden Armen, gab mir zu verstehen, er müßte mir etwas Wichtiges mitteilen und kippte dabei schwungvoll sein Weinglas über der Tischdecke aus.

      „Setzen Sie sich Don Diego, nehmen Sie Platz“, er winkte Consuela, den Tisch neu einzudecken, „ein Gläschen, trinken Sie ein Gläschen von diesem hervorragenden tempranillo, Sie werden es nicht bereuen.

      Ich habe nachgedacht, Don Diego, ich habe über unser Gespräch vor einiger Zeit nachgedacht, Sie erinnern sich, die Existenz Gottes betreffend und natürlich auch über die dann notwendige seines Gegenspielers, des Herrn Luzifer, oder wie immer man den einen oder den anderen bezeichnen will, ich bin ja in dieser Frage nach allen Seiten offen, wie Sie wissen, trotz meines Berufs, anders im Übrigen als mein Vorgesetzter in der Ewigen Stadt. Also ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen…“

      Ich unterbrach den Redeschwall des pare mit einer Geste, wartete, bis Consuela die neue Tischdecke glattgestrichen hatte und legte dann auf das saubere Tuch die beiden Fotografien vor Don Remigio hin.

      Während er die Bilder betrachtete, lehnte ich mich zurück und trank von dem wirklich vorzüglichen tempranillo, der pare hatte nicht übertrieben. Ich hatte mich inzwischen wieder so weit beruhigt, daß ich den verführerischen Duft des Zickleinbratens aus der Küche wahrnahm. Auch Álvaro hatte also die Kochkünste Bienvenidas nicht übertrieben. Beides, der Wein und das bevorstehende Mahl erfüllten mich mit einer inneren Befriedigung, die ich noch vor wenigen Minuten mit meinem weiteren Dasein für unvereinbar erklärt hätte. So schnell kann sich eine angenehme Umgebung im Gemüt niederschlagen.

      Don Remigio holte mich schnell aus meinen Träumereien in die Wirklichkeit zurück.

      „Wer ist das da auf den Bildern? Ich meine nicht Don Xavier und seine Gattin, sondern den Dritten da im Hintergrund, der so aussieht wie Sie aussehen. Ich frage Sie erneut, Don Diego, wer ist der Kerl?“

      Und schon war’s vorbei mit dem harmonischen Gefühl, der gemeine Schrecken hatte mich wieder.

      „Offensichtlich bin ich es ja wohl, wer sollte es sonst sein? Bitte beachten Sie den Ring des Senyors, der eine nicht zu verwechselnde Ähnlichkeit mit dem aufweist, den ich hier an gleicher Stelle trage. Ich weiß zwar nicht, wie das gehen soll, aber offenbar bin ich faktisch die Person dort auf den Fotografien. Einmal ungeachtet der Tatsache, daß ich zum Zeitpunkt der Aufnahmen wahrscheinlich noch gar nicht geboren war, oder aber mich erst im zarten Alter von ein oder zwei Jahren befand. Auf jeden Fall jedoch war meine Erscheinungsform vor dreißig Jahren eine andere als sie heute ist. Das kann keiner abstreiten, obwohl die Fotografien es anders darzustellen scheinen.

      Und nun, Don Remigio, können Sie Ihre neu gewonnenen spirituellen Erkenntnisse über Gut und Böse, schlecht und noch schlechter, auf Teufel komm raus sozusagen, an meinem konkreten Fall ausprobieren. Tun Sie sich keinerlei Zwänge an, ich erteile Ihnen jede erdenkliche Vollmacht und, wenn es Sie beruhigt, im Voraus die Absolution. Letzteres aber nur, wenn irgend etwas nicht so laufen sollte, wie Sie es sich vorgestellt haben. Te absolvo, hin oder her.“

      Der pare schaute mich irritiert an, runzelte die Stirn und sprach dann:

      „Nun beruhigen Sie sich doch, Don Diego. Alles wird sich aufklären. Ihre Flucht in den Sarkasmus bringt uns keinen Schritt weiter. Nun erzählen Sie mir erst einmal, wie Sie zu den Aufnahmen gekommen sind, dann sehen wir weiter.“

      Ich berichtete ihm von dem Unterschrank mit den zwei Schubladen, den ich heute eher zufällig bemerkt hatte, der Kiste mit den Fotos und meiner Entdeckung darin, die ich ja eigentlich dem Chauffeur Álvaro zu verdanken hatte.

      Don Remigio fragte, ob ich der Meinung sei, der Schrank hätte schon immer dort gestanden und war erst jetzt von mir bemerkt worden, oder ob ich es für möglich hielt, daß der Schrank neu an dieser Stelle stand.

      „Aber