Gerhard Schumacher

Marrascas Erbe


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Temperaturen, die den mallorquinischen Sommer prägen, zugunsten eines moderat mediterran daherkommenden Klimas, das durchaus dazu angetan ist, Körper und Geist zu erfrischen. Durch verschiedene Umstände befand ich mich damals in einem sowohl psychisch als auch physisch eher unerfreulichen Zustand, wiewohl ich keinerlei sichtbare Gebrechen vorweisen konnte. Besagter Arzt, dem ich auch als Freund vertrauensvoll verbunden war, empfahl mir nach Abwicklung meiner geschäftsmäßigen Gegebenheiten einen längeren Aufenthalt auf der Baleareninsel, um meine gewohnte Gesundheit wiederherzustellen.

      Ich folgte seinem Rat und landete an einem Sonnabend zu Beginn des Monats Oktober, mit dem Schiff aus Barcelona kommend, im Hafen der Inselhauptstadt Palma an.

      Zunächst nahm ich Quartier im Gran Hotel an der Placa Weyler und erkundete von dort die winkligen Gassen der Altstadt mit ihren vielen, oft nur winzigen Geschäften und wundersamen Gerüchen. Mehrmals stattete ich der Kathedrale La Seu nebst dem einstigen Alkazar des Emirs und späteren Palast der aragonesischen Könige, die beide, obwohl unterschiedliche Bauten, vom Meer aus gesehen fast wie eine Einheit wirken, mehrstündige Besuche ab. Mich faszinierte vor allen anderen Dingen das mehr als 100 m lange und weit über 20 m hohe Kirchenschiff der Kathedrale und ich wurde nicht müde, das bunte Farbspiel der Fensterrose in der Apsis auf den Bodensteinen zu bewundern.

      Sodann begab ich mich auf traditionelle, althergebrachte Weise über Esporles nach Valldemossa, wo ich mich unweit des ehemaligen Klosters, in dem George Sand und Frédéric Chopin dereinst eine Kartause bewohnten, in einer hostal einquartierte, um mich von den Strapazen der Anreise zu erholen. Es ist dies um Valldemossa, der Leser sei sich dessen versichert, eine überaus schöne und naturbelassene Gegend, deren Bewohner sich dem Fremden gegenüber höflich zurückhaltend und dennoch in einer vornehmen Freundlichkeit geben, wie ich sie in europäischen Landen in dieser Form nur selten hatte vermerken können. Um so unverständlicher kommen mir die Aufzeichnungen daher, die George Sand über ihre Monate auf der Insel verfaßte. Sie zeichnen sich in erster Linie durch eine Art gehässigen Unverständnisses aus und verschließen sich dadurch völlig der Schönheit und Eigenart von Land und Leuten.

      Nach einigen Tagen zog ich von Valldemossa weiter über Deia und Sóller nach Inca und Manacor, bis ich schließlich nach etwa zwei Wochen das im Nordosten der Insel gelegene Städtchen Artà erreichte, in dem ich, dem Ratschlag meines Arztes und Freundes folgend, den Winter zu verbringen gedachte. Wieder gab ich der traditionellen Art, mit Pferd und Wagen zu reisen den Vorzug vor der modernen, inzwischen auch auf der Insel verbreiteten, mittels eines Automobils. Letztere ist zweifelsohne nicht nur die schnellere, sondern ganz sicher auch die komfortablere Methode des Reisens, hingegen dauert die althergebrachte Weise nicht nur unvergleichlich länger und erfordert viel Langmut und Geduld, jedoch bindet sie den Reisenden wesentlich stärker in die täglichen Abläufe der Natur und dem Wesen der Menschen, die hier wohnten und mit dieser Natur lebten ein. Trotz aller Unbequemlichkeiten, die dem harten Wagen und den schmalen Bergwegen geschuldet waren, habe ich diese Art der Fortbewegung sehr genossen, zumal sie um ein Wesentliches billiger daherkommt, als das Fahren mit dem Automobil.

      Die Umgebung Artàs bot jede Menge Gelegenheiten, meiner stillen Passion, dem Studium der Botanik, nachzugehen und so zog ich in das Häuschen der Senyora Marrasca in die Carrer Major, wie es mir von dritter Seite empfohlen wurde. Dona Maria war eine ältere Witwe, die ihr bescheidenes Auskommen durch die Vermietung von Fremdenzimmern aufbesserte, jedenfalls ging ich damals davon aus. Sie kümmerte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten rührend um mich und ich vermute, sie genoß im Kreise ihrer Freundinnen, die sie täglich auf der Placa d’ Espanya zu einem Schwätzchen traf, nicht wenig Ansehen allein durch die Tatsache, daß ein Fremder vom Festland, noch dazu ein Nordländer, ihrer Gastfreundschaft den Vorzug vor dem Hotel gab. Dona Maria ließ es sich nicht nehmen, mir allmorgendlich zum Frühstück eine selbstgebackene ensaimada zu kredenzen, die sie großzügig mit dem durchaus bescheidenen Mietzins für das Zimmer als abgegolten erklärte. Es handelt sich um das Nationalgebäck der Insel, ein zur Schnecke gerollter Hefeteig, dem Schweineschmalz beigefügt ist und der zum Schluß mit reichlich gepudertem Zucker bestreut wird. Ursprünglich soll das Gebäck noch aus der Zeit der arabischen Herrschaft stammen, allerdings ist zu vermuten, daß damals das Schmalz des Schweins noch nicht in der Zutatenliste auftauchte.

      Tagsüber erkundete ich die nahe Umgebung, erfreute mich an Fauna und Flora oder lag einfach nur faul in der Herbstsonne herum und sinnierte über mein weiteres Leben. Pünktlich zum frühen Nachmittag begab ich mich in die Bar El Ultim, wo ich den Café trank, bevor ich in meinem Zimmer der landesüblichen Siesta pflegte, um dann in den Abendstunden, zumeist wiederum in der Bar El Ultim, mein Nachtmahl einzunehmen und nach einigen Gläsern raren mallorquinischen Tempranillos zufrieden in den Schlaf hinüberzugleiten.

      Sorgte ich in den ersten Tagen meines Aufenthalts noch für einiges Aufsehen unter den Einheimischen, ich vermutete dahinter sicherlich nicht zu Unrecht auch einige mündliche Aktivitäten meiner Zimmerwirtin Senyora Maria, gehörte ich doch schon bald zum täglichen Bild der Kleinstadt, die mich langsam aber unaufhörlich vereinnahmte.

      Die Leute begannen mich in ihr Leben einzubeziehen, grüßten mich freundlich mit „bon dia“ und erkundigten sich „com va“ nach meinem Wohlergehen. Genau an dieser Stelle aber lag auch ein Problem, das ich vor meiner Ankunft nicht bedacht hatte. Noch in Deutschland hatte ich mich eines intensiven Studiums der spanischen Sprache befleißigt und sprach, wie ich in Barcelona und auf der Überfahrt feststellen konnte, immerhin soviel spanisch, daß ich einer einfachen Unterhaltung gut folgen konnte, worauf ich auch zu recht stolz war.

      Auf Mallorca nun mußte ich feststellen, daß man hier nicht kastilisches Spanisch, sondern katalanisch sprach. Im Schriftbild war der Unterschied nicht unüberbrückbar, gesprochen handelte es sich beim Katalanischen um eine komplett andere Sprache. Um die Verwirrung nun vollständig zu machen, mußte ich darüber hinaus entdecken, daß gerade die älteren Einwohner untereinander weder spanisch noch katalanisch, sondern ein eigenes Kauderwelsch, mallorquin, sprachen, das weder mit dem einen noch mit dem anderen allzu viel zu tun hatte und das mir bis zuletzt völlig unverständlich blieb.

      Dieser Umstand schränkte meine Integration in die kleine Gesellschaft der Bar El Ultim zunächst empfindlich ein, denn weder verstand ich die freundlichen Leute, die lachend auf mich einredeten, noch verstanden diese meine Entgegnungen, was die Kommunikation untereinander nicht einfacher machte.

      Lediglich der capellà der Kirche, pare Remigio, ein Mallorquiner, der auf dem spanischen Festland studiert hatte, war in der Lage und nicht zu stolz, mit mir in der kastilischen Sprache zu parlieren und so blieb es nicht aus, daß wir uns über manchem Glas Rotwein und einer guten Zigarre nach und nach anfreundeten.

      Senyor Remigio hatte die Mitte seines fünfzigsten Lebensjahrzehnts unlängst überschritten und angesichts dieser unumkehrbaren Tatsache beschlossen, fürderhin das Leben zu nehmen, wie es sich ihm nun einmal darbot. Jenen Teil der Freuden des menschlichen Daseins, den er bislang, jedenfalls seiner Meinung nach, nicht oder nur unzureichend zu genießen die Gelegenheit hatte, sah er mit diesem Zeitpunkt als erledigt an und faßte deshalb den Entschluß, sich fortan auf den Teil einzurichten, der ihm für die zweite Lebenshälfte angemessen und mit seinem Amt und der damit einhergehenden Würde und Autorität vereinbar schien. Obwohl pare Remigio sich mir gegenüber niemals, auch nicht in kleinsten Andeutungen, zum ersten Teil seiner Lebensfreuden äußerte, war ich mir intuitiv sicher, daß er diese ungeachtet seines geistigen Stands (und seiner Zweifel) zur Genüge und in vollsten Zügen genossen hatte, um sich ohne das Gefühl, Wesentliches versäumt zu haben, nun auf den anderen Teil des Genusses, den die Welt ihm zu bieten in der Lage war, konzentrieren zu können. Dieser Umstand machte ihn aus meiner Sicht zu einem angenehmen Gesprächspartner.

      Durch die sprachliche Vermittlung Don Remigios gewann ich bald Kontakt zu anderen Persönlichkeiten des Städtchens, von denen in der ersten Reihe der alcalde, Senyor Jaume de Lamo, der metge, doctor Miguel Caravantes und der farmacèutic, Senyor Eusebio Estafan zu nennen sind. Ein besonderes Vergnügen bereitete mir die Bekanntschaft von Don Basilio, dem Pfarrer der Wallfahrtskirche Sant Salvador, der nicht nur in ähnlichem Alter war wir sein Pendant von der Pfarrkirche, sondern mir auch ähnlichen Geistes zu sein schien.

      So