Gerhard Schumacher

Marrascas Erbe


Скачать книгу

Wein der Tempranillotraube das mehr oder weniger aufregende Tagesgeschehen des kleinen Städtchens Artà durchhechelten.

      Dabei störte es weder die beiden Geistlichen noch die anderen Senyores wenig, daß ich der alleinseligmachenden katholischen Kirche skeptisch bis abweisend gegenüberstand, noch ihr überhaupt angehörte. Ganz im Gegenteil hatte ich eher den Eindruck, sie genossen meine konträren Ansichten, die insgeheim wohl auch die ihren waren, was sie aber mit Rücksicht auf die Reputation im Städtchen nicht offen zugeben konnten.

      Reihum luden mich die Honoratioren zu festlichen Anlässen in ihre Häuser, damit ich diese Feierlichkeiten im Kreise ihrer Familien feiern konnte und nicht alleine in meinem Zimmer rumsitzen mußte. Allmählich hatte ich mich auch in die katalanische Sprache eingearbeitet, das Mallorquinische jedoch blieb mir verschlossen und ich gab entsprechende Versuche schließlich entnervt auf.

      In der Mitte des Januars begehen die Einwohner das mehrtägige Fest Sant Antoni mit Umzügen, viel Musik und nächtlichen Lagerfeuern. Als Teufel verkleidet springen sie durch die Gassen Artàs und wollen den Heiligen Antoni in Versuchung führen. Der Überlieferung nach hat dieser allen teuflischen Verführungskünsten widerstanden, ich hingegen muß zugeben, daß mich gerade dieses Fest, ich kann nicht genau sagen warum, tief berührt hat und ich hoffte, es in meinem jetzigen Dasein noch einmal miterleben zu dürfen. Damals ahnte ich noch nicht, wie oft der Teufel den Heiligen in meinem Beisein noch in Versuchung führen sollte.

      Im März erhielt ich Nachricht, daß dringende Geschäfte, die keinen Aufschub erlaubten, meine Anwesenheit in der Heimat erforderlich machten und obwohl ich mich innerlich dagegen sträubte, packte ich meine wenigen Sachen zusammen und machte mich auf den langen Weg quer über die Insel nach Palma, wo ich ein Schiff nach Barcelona bestieg. Es war ein trauriger Abschied, den ich da nehmen mußte und ich erinnere mich ungern der Tränen in den Augen Dona Marias, als sie meinem Wagen nachwinkte.

      Damals nahm ich mir vor, sofort nach Beendigung meiner geschäftlichen Obliegenheiten nach Artà zurückzukehren, es war mein sehnlichster Wunsch, im Kreise der mallorquinischen Freunde und Bekannten das weitere Leben zu verbringen. Doch wie so oft kam es anders. Aus den so dringlichen Geschäften entwickelten sich andere, diese zogen wiederum neue nach sich und der Tag der Rückkehr verschob sich von einem Monat auf den anderen, bis ich nur noch in vagen Zeiträumen daran dachte. Allmählich verblaßte auch die Erinnerung, verlor sich in lückenhaften Spuren und hinterließ schließlich nur noch neblige Andeutungen.

      Artà war Vergangenheit und ich sah meine Zukunft ganz sicher nicht auf mallorquinischen Boden. Mit dieser Einschätzung allerdings sollte ich mich irren.

      Inzwischen waren sechs oder sieben Jahre vergangen, als ich eines Frühlingsmorgens im April einen Brief in Händen hielt, der mich in ausladender Schrift schnörkelig schwungvoll als Adressaten benannte. Er war von Don Remigio, dem pare der Pfarrkirche von Artà, der mich in höflichen Formulierungen dürftigen Inhalts darum bat, so schnell es mir möglich war, nach Artà zurückzukehren, da sich Dinge ereignet hätten, die meine Anwesenheit erforderlich machen würden. In einem Postskriptum, das länger war als der eigentliche Brief, teilte er mir noch mit, daß man im Januar, kurz nach den Festlichkeiten zu Sant Antoni, Dona Maria in die ewige Ruhe des cementiri entlassen mußte. Kurz zuvor noch hatte sie bei dem städtischen advocat Senyor Alejandro Jaramago ihr kleines Häuschen in der Carrer Major im Falle ihres Ablebens meinem Besitz überschrieben. Da Senyora Maria weder Kinder noch sonstige lebende Verwandtschaft hatte, schrieb Don Remigio, müßte ich mir auch keine Sorgen machen, daß diese letzte Verfügung von irgendeiner Seite angefochten werden würde. Zur Regelung der gesetzlich vorgeschriebenen Unterlagen und Befugnisse hätte ich persönlich vor dem advocat zu erscheinen, und zwar innerhalb einer Frist von sechs Monaten, sonst falle das Erbe an den spanischen Staat, respektive die Stadt Artà, was weder in meinem Sinn sein könne, noch in dem des alcalde, fügte Don Remigio hinzu und ich mußte schmunzeln, als ich die letzten Zeilen las.

      Plötzlich war ich Hausbesitzer in Artà.

      Ebenso plötzlich waren aber auch die verblaßten Erinnerungen an meinen Aufenthalt in dem Städtchen wieder in farbenfroher Vielfalt gegenwärtig und meine Phantasie gaukelte mir manches Detail in einer Ausführlichkeit vor, die in der Realität höchstens in Ansätzen vorhanden gewesen war. Ich steigerte mich geradezu in eine Besessenheit hinein, mußte so schnell wie möglich wieder zurück auf die Insel und war mir in meinem Innersten durchaus bewußt, daß das Erbe nur ein vorgeschobener, aber immerhin ein Grund war.

      Ich übergab meine Angelegenheiten zur abschließenden Regelung einem Anwalt, löste alle geschäftlichen Verbindungen, übertrug mein Konto auf eine mallorquinische Bank, was übrigens nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten ging, und machte mich auf die Reise nach Barcelona. Dort löste ich eine Passage nach Palma, wo ich Mitte Mai im Schatten der Kathedrale La Seu zum zweiten Mal in meinem Leben mallorquinischen Boden betrat.

      So begierig war ich, schnellstens in das kleine Städtchen Artà zu kommen, daß ich während der ganzen etwa zwölfstündigen Überfahrt trotz verhaltener nächtlicher Temperaturen unruhig auf dem Deck des Dampfschiffs umherlief und mir mit meiner Unruhe die mißtrauischen Blicke der Besatzung einfing. Immerhin vermied ich dadurch die Übernachtung in den windigen Verschlägen des Schiffes und den unweigerlich damit verbundenen Kontakten mit lästigen Flöhen und anderem Ungeziefer, wie ich ihn aus Unkenntnis während meiner ersten Passage einige Jahre zuvor erleiden mußte. Wie der Zufall es wollte, machte ich einige Zeit später in Palma die Bekanntschaft des deutschen Dichters Albert Vigoleis Thelens und seiner angehenden Frau Beatrice. Wir kamen in der gleichnamigen Bar des Hotels Alhambra ins Gespräch und stellten schnell fest, daß das Paar mit dem gleichen Dampfer, der Ciudad de Barcelona die Überfahrt von Barcelona nach Palma unternommen hatte, nur eben ein Jahr früher als ich. In Bezug auf das lästige Ungeziefer indes hatten wir ähnliche Erfahrungen zu verbuchen.

      Ohne zeitliche Verzögerung mietete ich noch am Hafen einen Wagen, ein Automobil diesmal mit ortskundigem Fahrer, der mich auf schnellstem Wege über Manacor, wo wir eine Übernachtung einlegten, da der Chauffeur sich aus Gründen der Sicherheit weigerte, im Dunkeln weiterzufahren, nach Artà spedierte, das wir anderntags gegen Mittag erreichten.

      Sofort begab ich mich in die Bar El Ultim und Pablo der Wirt schickte seinen Sohn zu Don Remigio, damit er ihn von meiner Ankunft unterrichtete.

      Der pare kam auch unverzüglich die Gasse hinuntergerannt, seine schwarzen Rockschöße wehten ihm hinterdrein. Er umarmte mich freundschaftlich und überfiel mich mit einem Schwall mallorquinischer Wortkatarakte, weil er wohl in der Aufregung vergessen hatte, daß ich allenfalls català verstand, wiewohl durch die langen Jahre meiner Abwesenheit einigermaßen außer Übung war.

      Pablo öffnete eine Flasche tempranillo und seine Frau Consuela stellte kleine Schalen mit Oliven, eingelegten anchoas und in Öl gedünsteten pebrotes auf den Tisch.

      Wir tranken, aßen und hatten das Versäumte mehrerer Jahre zu erzählen. Es fiel mir allerdings auf, daß Don Remigio außer allgemeinen Floskeln nichts über die näheren Umstände des Ablebens Senyora Marrascas erzählte und ich war höflich und zurückhaltend genug, ihn nicht direkt darauf anzusprechen. Wir verabredeten uns für den nächsten Vormittag im Büro der Kirche, wo er mich über den aktuellen Stand der Dinge und die Hintergründe unterrichten wollte.

      Im Verlauf des Nachmittags kamen nach und nach auch die anderen Freunde in die Bar, bis diese voll war wie sonst nur an hohen Feiertagen. Es hatte sich meine Ankunft natürlich schnell herumgesprochen.

      Endlich war die Zeit gekommen, die Betten aufzusuchen. Don Remigio übergab mir feierlich die Schlüssel zu Dona Marias Häuschen, das nun das meine war. Dann wünschte er eine gute Nacht und verschwand leicht schwankend in Richtung seines Refugiums.

      Der Chauffeur, der mich mit seinem Automobil nach Artà gebracht hatte, war im Laufe des Nachmittags mehr und mehr dem tempranillo verfallen und konnte in seinem Zustand beim besten Willen nicht die Rückfahrt antreten. Also lud ich ihn ein, mit mir zusammen in meinem neuen Heim zu nächtigen, was er dankend annahm.

      Nach dem Ableben der Witwe hatte Consuela, die Frau des Wirtes,