Gerhard Schumacher

Marrascas Erbe


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Zweifel hatte, bereitgehalten. Alles war blitzblank sauber und gepflegt.

      Ich wies dem Chauffeur die ehemalige Schlafkammer der Witwe zu und bezog selbst das Zimmer, das ich vor etlichen Jahren schon einmal bewohnt hatte. Auf dem Tischchen am Fenster fand ich eine prachtvolle ensaimada, die Consuela wohl am Nachmittag dorthin gestellt hatte.

      Als ich im Bett lag und durch schon halb geschlossene Lider gerade eben noch das gelbe Licht der Laterne vor dem Haus wahrnehmen konnte, hatte ich das Gefühl, zuhause angekommen zu sein. Und schlief zufrieden ein.

      eins / u

      „Es ist müßig, die Frage nach der Existenz Gottes zu stellen, weil die Antwort darauf zwangsläufig eine unbefriedigende sein muß. Wer will schon wie beweisen, daß Gott existiert oder aber im Gegenteil, nicht existiert? Die eine Beweisführung ist so wenig möglich wie die andere. Ich habe mein Leben lang derart unsicheres Terrain gemieden und denke, gut daran getan zu haben.“

      Don Remigio lachte mich pausbäckig mit blinzelnden Augen an und hob der frühen Stunde zum Trotz, es war noch nicht elf Uhr am Vormittag, das Weinglas an die Lippen. Nachdem er getrunken hatte, wischte er sich mit dem Ärmel seiner Jacke über den Mund, brummte zufrieden, und fuhr fort:

      „Es mag Sie, meu amic, aus dem protestantistischen Norden, wohl erstaunen, diese Worte aus dem Munde eines katholischen Geistlichen zu hören, zumal noch in Spanien, dem Mutterland der Heiligen Inquisition. Nun denn, ich muß gestehen, es gibt nicht viele Menschen auf dieser Erde, in deren Gegenwart ich sie wiederholen würde. Ich fühle mich weder zum Helden noch zum Märtyrer berufen und auch wenn unsere Mutter Kirche Ketzer oder solche, die sie dazu erklärt, in diesen modernen Zeiten anders als zuvor behandelt, mir sind Scheiterhaufen, wie immer sie daherkommen mögen, schlicht zu heiß.

      Ihr alemany kennt immer nur den geraden Weg, schwarz oder weiß, rechts oder links, oben oder unten, nichts dazwischen. Wenn eine Kurve unvermeidlich ist, muß sie lange vorher angekündigt sein und zwar ordnungsgemäß. Glauben Sie mir, meu amic, da denken wir hier pragmatischer.“

      Der pare strich sich über den Bauch und grinste mich an.

      „Extra ecclesiam nulla salus est, es gibt kein Heil außerhalb der Kirche. Dieser Satz ist die Grundlage für ein sorgenfreies Leben, glauben Sie mir. Intra ecclesiam können Sie fast alles machen, Diskretion vorausgesetzt, wenn Sie keine goldenen Löffel vom Tisch des bisbe stehlen. Und selbst wenn, unter gewissen Umständen wird Ihnen auch dann verziehen, denn der bisbe hat die Löffel zumeist ja auch gestohlen. Es kommt eben immer drauf an.

      Will damit sagen: dieweil ich also meine Ansichten, zum Beispiel die Existenz oder Nichtexistenz Gottes betreffend, während der Prozession zu Sant Antoni nicht bäuchlings plakatiert vor mir hertrage, interessieren sie keinen. Sie sind Privatsache und werden von den Klugen nicht zur Kenntnis genommen. Solange ich meine Arbeit verrichte, ist es den meisten Leuten egal, ob ich dahinter stehe oder nicht. Der Schmied wird auch nicht gefragt, ob er den Amboß liebt, den er täglich mit dem Hammer traktiert.

      Natürlich gibt es auch die Eiferer, die Frömmler, die den Buchstaben wörtlich nehmen und sich für die Hüter von Moral und Gesetz halten. Bei denen gilt es aufzupassen, sie können unter Umständen gefährlich werden. Aber ansonsten funktioniert das System ganz ausgezeichnet. Bigott aber praktikabel. Oder meinen Sie wirklich, der Heilige Vater glaubt an alles, was er predigt? Wozu auch, er ist doch durch die Unfehlbarkeit doppelt und dreifach abgesichert. Das färbt natürlich auch auf die kleinen Lichter unserer Mutter Kirche, so wie ich eines bin, ab. Jedenfalls hier in meinem begrenzten Wirkungskreis.

      Zum Glück, und jetzt verrate ich Ihnen ein offenes Geheimnis, denkt und handelt Don Basilio ähnlich. Wir nehmen uns übrigens auch gegenseitig die Beichte ab inklusive Absolution und Bußgebet. Man weiß ja nie, vielleicht ist doch was dran an dem ganzen Hokuspokus.

      Perdó, den letzten Satz nehme ich zurück, möchte ich besser nicht gesagt haben, er ist mißverständlich oder auch nicht. Je nachdem wie man es sieht. Ich bitte Sie, legen Sie nicht alles auf die Goldwaage, was ich so daherrede, der Wein, Sie verstehen, der Wein ist ein schwatzhafter Geselle.“

      Es war mir durchaus nicht klar, warum Don Remigio mir dies alles erzählte. Weder hatte ich ihn dazu aufgefordert, noch hat es sich aus dem Gespräch heraus so ergeben. Er wußte natürlich aus früheren Begegnungen von meiner eher kritischen Einstellung allen klerikalen Dingen gegenüber. Doch haben wir dies, genauso wenig wie seine professiò, zu keiner Zeit zum Gegenstand eines Gesprächs gemacht. Dazu war unser gegenseitiger Respekt, unsere Achtung füreinander zu groß, daß wir sie durch Lächerlichkeiten wie einen ideologischen Streit, zu gefährden dachten.

      Wie wir am gestrigen Tag meiner Ankunft in der Bar El Ultim verabredet hatten, fand ich mich heute Morgen kurz nach 10 Uhr in den neben der Pfarrkirche gelegenen Privaträumen Don Remigios ein, um mir von ihm die genaueren Umstände meines Erbes erklären zu lassen.

      Als ich in sein Arbeitszimmer kam, saß er am Schreibtisch über einige Papiere gebeugt, die er bei meinem Eintritt hastig zusammenschob. Auf einem Beistelltisch stand ein halbvolles Glas Wein, von dem ich annahm, es war nicht das erste, das der pare am heutigen Morgen getrunken hatte. Seine Augen leuchteten, Nase und Wangen glänzten rot durchädert. Kaum, daß ich über meinen Gruß hinauskam, wies mir Don Remigio mit einladender Geste einen Sessel zu und begann sofort ungefragt mit seiner Beichte, von der ich nicht wußte, was ich von ihr halten sollte.

      Nachdem er den Rebensaft einen schwatzhaften Gesellen genannt hatte, bot er mir von eben diesem an, ich lehnte allerdings mit Hinweis auf die frühe Stunde ab und bat ihn, mir vom Ableben Dona Marias und dem Haus zu erzählen, das ich dank ihrer Güte nun mein Eigen nennen durfte.

      „Dem zum Genuß Befähigten, meu amic, schlägt bekanntlich keine Stunde“, erging sich Don Remigio in Allgemeinplätzen und erklärte die frühe Stunde zum Weintrinken so gut wie die späte oder überhaupt eine, kramte ein Glas hervor und goß mir ungeachtet meines Widerspruchs ein.

      „Was interessiert es den Wein, ob die Sonne am Himmel steht oder der Mond, wenn man die Flasche, die ihn umhüllt, öffnet? Das trifft übrigens auf alle anderen Dinge genauso zu. Die Sünde ist nicht auf die Dunkelheit der Nacht beschränkt und die gute Tat nicht auf das helle Licht des Tages. Nebenbei bemerkt kann man tagsüber fast noch besser schlafen als zu der als solcher deklarierten Nachtzeit. Ich jedenfalls.“

      Er rülpste vernehmlich und kicherte daraufhin verlegen wie ein Kind, das beim Naschen erwischt worden ist. Ich war mir nunmehr ganz sicher, daß der pare vor dem aktuellen schon etliche andere Weingläser geleert haben mußte. Überhaupt kam mir seine so augenfällig zur Schau gestellte Fröhlichkeit recht aufgesetzt vor. Don Remigio, der zwar einem guten Tropfen nie abgeneigt, deswegen aber keineswegs dem Trunk verfallen war, benahm sich so ganz anders als wenige Stunden zuvor noch in der Bar El Ultim. Etwas mußte in der Zwischenzeit geschehen sein, das er hinter einer Fassade trunkener Sorglosigkeit vor mir zu verbergen suchte. Ich erinnerte ihn vorsichtig an den Grund meines Besuches.

      „Ja, ja, die gute Dona Maria Marrasca, eine treue Tochter unserer Mutter Kirche und nie kleinlich, ganz gewiß nicht. Aber das merken Sie selbst ja derzeit am eigenen Leib. Ihr Mann, Don Xavier, war eine stattliche Erscheinung, ich habe ihn noch kennengelernt. Sein Tod ist jetzt auch schon gute dreißig Jahre her. Hier nannten ihn alle nur el corb, weil er stets schwarze Kleidung und einen gelben Hut trug und obendrein noch klug und listig wie ein Rabe war. Sie kennen doch sicher die guten Eigenschaften, die man den Raben nachsagt. Er war hochgeachtet, nicht nur in Artà, sondern in der ganzen Gegend, von Capdepera im Norden bis Manacor im Süden. Fragen Sie Don Basilio, der hat ihn besser gekannt als ich selbst.

      Allerdings hat es auch einige Merkwürdigkeiten und, nun, sagen wir mal, Besonderheiten gegeben. Als Mann der Kirche habe ich mich damit natürlich nicht beschäftigt. Aber Sie wissen ja wie das ist mit dem Unerklärlichen, es hängt wie kalter Rauch in der Gardine, die Gerüchte darüber wird man nicht los.“

      Er kramte in dem Papierstapel auf seinem Schreibtisch und zog dann einen Umschlag