Sanne Prag

Bob Lennce und der fremde Klang


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Plissees, zerbrechlich, eingerahmt von einem silbrigen Gespinst, das sich von der rosa Kopfhaut ringelte. Das Haar erschien auch ein wenig rosa, getönt durch die Haut, silberne Brauen, sorgfältig gemalt, und darunter neugierige, blassblaue Augen. Ein später Engel, heruntergestiegen von seiner Wolke, blies die Posaune weiter in Erdennähe. Warum sollten Engel auch jung sein, nachdem sie Jahrmillionen an der Schöpfung gearbeitet hatten?

      Eve war zurück und blickte neugierig zur Türe, die Tasche vor der Brust. Sie lächelte. Wusste sie etwas von dem Engel?

      Ezra eilte hin und bat die alte Dame mit ihrem Instrument ins Zimmer. Einen tiefen Kratzfuß, eine Verbeugung ganz nach unten – wie man Engel eben empfängt. Mit kleinen Schritten dribbelte sie vorsichtig ins Zimmer, blickte um sich, voller Fragen, in einem Gewand aus altrosa Spitze mit kleinen glitzernden Steinchen. Zart und schwerelos, das goldene Instrument in der Hand stand sie dort.

      Ezra fühlte harte Seelenstacheln in seinem Rücken. Das waren wohl die Blicke von Walthen – er war zurück, außer sich vor Wut, die Backen voll mit einer Rede, die ihn unsicher machte, und jeder blickte auf den Himmelsboten mit seiner Posaune anstatt auf ihn. Ezra war sehr zufrieden mit seiner Rache.

      Da setzte das flauschige Wesen von der Wolke sein Instrument an die Lippen und blies ein Solo. Der Raum war plötzlich erfüllt mit Klängen, wo keiner Musik erwartet hätte. Alle Anwesenden bildeten einen Kreis. Viele überlegten, von wem wohl die Einlage geplant war. Ein zierlicher rosa Engel hier zwischen beinharten Journalisten... Man wartete, ob es noch goldene Sternchen regnen würde, oder…? Ein angenehm entspanntes Gefühl im warmen Raum. Ro schob sich heran und schloss das filigrane Geschöpf in die breiten Arme. „Wundervoll, meine Sternenfee“, tönte er, seine mächtige Stimme kehrte all die kleinen Fragezeichen beiseite. Er hatte sie bestellt – das war Kunst der Präsentation… Eine kleine Zugabe… Eine zufriedene Pause, während die letzten Töne in der Luft verglommen…

      Da klang eine scharfe Stimme von der Türe: „MUTTER!!“ Erstarrt vor Schreck stand die Pensionsbesitzerin an der Türe. „WIE KANNST DU NUR?!“ Entschuldigungen murmelte sie und zog am Arm ihrer Mutter. Die lächelte sehnsüchtig in den Saal, ihre Posaune an die Brust gepresst, und wollte nicht mit.

      War das doch nicht bestellt gewesen?

      Schließlich wurde sie von der Tochter gewaltsam und widerstrebend aus dem Raum gezerrt.

      Walthen nahm notgedrungen noch einen Schluck Kaffee neben Bob Lennce und erstieg dann schließlich wiederum das Podium, er schien angstvoll entschlossen, das Strahlelächeln wurde eingeschaltet. Keiner beachtete ihn. Er trat von einem Fuß auf den anderen.

      „Ich muss mich vielmals entschuldigen…“ Die Hausfrau steckte ihren Kopf nochmals in den Raum, hochrot, mit hektischen Flecken an der Seite des Halses. Die alte Dame mit dem goldenen Instrument schaute an ihr vorbei, sehnsüchtig strahlend, aber der Auftritt war beendet. Im Gesicht der Pensionsbesitzerin zeichnete sich tiefe Abscheu. Das Verbrechen war abnormes Verhalten. Abnormes Verhalten, beschämend, erklärungsbedürftig, unmöglich…

      Die meisten Anwesenden und Journalisten ließen den Engel nur ungern ziehen, vor allem Ro. Er hätte mit dem Himmelsboten von der Wolke gerne gemeinsame Sache gemacht. Und jetzt wurde der ganz profan abgezogen und versteckt. Nachdem die alte Dame von der Tochter abgeführt worden war, stand Ro da, als ob man ihn bestohlen hätte.

      Eve wühlte verzweifelt in ihrer Tasche. Sie hatte noch Kaffee vor sich stehen. Was suchte sie? Schließlich stürzte sie den Kaffee hinunter und startete zurück in die geschützte Zone.

      Bob Lennce schien unberührt. Er hatte andere Probleme.

      Eve kehrte nicht zurück.

      Sie lag tot auf dem schwarzweißen Boden der gepflegten Anlage, im Vorraum des WCs. Steril, Chlor, wohin die Nase reichte. Eve war tot, trotz Desinfektion.

      Sie lag da, ihr graues Haar am Boden ausgebreitet, weiß und blutleer, der Raum mit Eve wirkte wie ein schwarz-weißes Foto. Rot wäre aufgefallen in der blassen, kargen Farbenwelt. Kein Blut.

      SPÄTER ABEND

      Walthen hatte die Tote gefunden. Seine Reaktion war organisatorisch unbrauchbar, er war mit sich und seinem Schock beschäftigt. Ezra verständigte die Rettung, während die Veranstaltung erstarrte.

      Der Arzt rief die Polizei.

      Das geliehene Heizsystem tat seinen Dienst, aber der Raum fühlte sich trotzdem bald kälter an. Ein plötzlicher Todesfall, eine Untersuchung, alle mussten ihre Daten abgeben, mussten bleiben, obwohl nichts mehr zu sagen war.

      Geduld… In Ezras Kopf rotierten Fragen: Wenn der Arzt nach der Polizei gerufen hatte, war etwas seltsam an dem Todesfall. War Eve ermordet worden?

      Die Polizei kam. Die Leiterin der Untersuchung war eine Frau. Ezra fand das gut. Mit Frauen hatte er umgehen gelernt, bevor er sprechen oder gehen konnte.

      Frau Kommissarin war nicht ganz schlank und strömte Mütterlichkeit aus. Hier war die Mutter aller Anwesenden. Der erfahrene Beobachter hatte Zweifel: Wie hätte sie diesen Job geschafft, wenn all die weiche Fürsorglichkeit tatsächlich vorhanden gewesen wäre?

      Sie hatte zuerst Bob Lennce befragt, in der irrigen Annahme, dass er irgendetwas von der Organisation wüsste. Der verwies sie an Ezra, er kannte, schien es, Walthen gut genug. Also kam sie auf Ezra zu und sagte mit sanfter, ruhiger Stimme: „Sie sind der Organisator hier, hat mir Herr Lennce gesagt.“ Walthen stand in der Nähe und rückte auf, mit charmantem Lächeln. Er konnte sich wohl seinen Job nicht so leicht aberkennen lassen. Er stellte sich neben die Dame von der Polizei, nahe, sodass sie ihn nicht übersehen konnte. Aber sie war auf Ezra konzentriert.

      Ezra hatte vorher sein Handy bemüht, um das Profil der Dame zu erkunden: Doktorin der Rechte, Professorin an der Uni… Sie lächelte ihn freundlich an, zwei Grübchen in den Wangen. Eine biedere, blonde Frisur, milde Augen scannten ihn sanft. „Ich würde gerne mit Ihnen beginnen, weil sie alle Vorbereitungen kannten. Ich bitte Sie aber, dann noch zu bleiben, für Rückfragen.“ Nein, keine Befehle, ruhige Klarheit, das Notwendige im Vordergrund. Ezra war vorsichtig. Soviel sanfte, vernünftige Mütterlichkeit hatte sicher einen harten, krummen Geierschnabel im Verborgenen.

      Man unterhielt sich über die Vorbereitungen, die Notwendigkeiten für die Veranstaltung, bevor sie begonnen hatte. Was war vorher da, was wurde wo und wie beschafft? Ezra erkannte an den Fragen: Es ging um Gift. Konnte es irrtümlich irgendwie in Eve hineingekommen sein? War es vielleicht schon da gewesen, bevor die Veranstaltung begonnen hatte? War hier ein mörderischer Zufall am Werk, oder Planung? Woher kam das Cateringservice, wollte Mutter Kommissar wissen. Wieso dieses, nicht ein anderes?

      Ezra ging in sich. Hatte eine geheimnisvolle Kraft ihn bewogen, dieses Catering auszusuchen? Man sollte nicht so präpotent sein, zu glauben, dass man durch nichts beeinflusst würde, dass man immer alle Entscheidungen allein träfe, ohne Einflüsterungen. War er vielleicht einer Strömung ausgesetzt gewesen, die er so nicht wahrgenommen hatte?

      Die Kommissarin befragte ihn sorgfältig. Er hatte das Catering aus sechs Anbietern ausgewählt, die er sich vorher aus dem Internet gesucht hatte, so sagte er ihr. Aus der Liste hatte er dann schnell entschieden: Fast die Billigsten, und sie hatten am Telefon kompetent geklungen. Einflüsterungen? Wie sollte das passiert sein?

      Der Raum? Eine Kegelbahn – hatte geschlafen, mindestens ein halbes Jahr, aber wahrscheinlich länger. Wieso ein halbes Jahr oder länger? Das Laub vom Vorjahr, irgendjemand hatte die Türe im vergangenen Herbst offengelassen. Feuchtigkeit und Blätter im Raum, die Türe war verzogen, musste repariert werden. War vielleicht irgendetwas im Raum vergiftet? Alte Farbe möglicher Weise, die irgendwie ins Essen gekommen war?

      Ezra bestätigte, er hatte extra Wein gekauft, weil er das Service nicht kannte. Wenn die den Termin verschlafen hätten, hätte es halt nur Brezeln und Weißen und Roten gegeben. Immerhin irgendetwas, nicht gar nichts. Der Wein und das Mineral wurden gelagert, und er hatte die Leute vom Catering dann angewiesen, alles aufzubrauchen.

      Ezra führte die Dame zu dem Ort der Lagerung