Sanne Prag

Bob Lennce und der fremde Klang


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aufgefallen.

      „Und haben Sie vielleicht beobachtet, was an dem Tisch, wo Frau Lesnault gestanden hat, los war?“

      Ezra versuchte, sich zu erinnern. Zuerst fiel ihm der Engel mit der Posaune ein: „Wir hatten einen Engel da, einen Posaune blasenden Engel.“

      Frau Kommissar nahm das gelassen. Bei Kunstveranstaltungen musste man auf alles gefasst sein. „Einen Engel…“, wiederholte sie ruhig.

      „Die Mutter der Hausfrau blies ein Posaunensolo, als schon fast alle Leute da waren.“

      „Wissen Sie zufällig, was zu dieser Zeit auf dem Tischchen gestanden hat, bei Frau Lesnault?“

      Ezra kramte in seiner Bildergallerie des Abends. Ein dunkler Kellner lief um die Tische, stellte etwas ab, das waren wohl Brötchen oder etwas Ähnliches, und ein Glas Roter. Bob rührte in einer Tasse und schob sie dann weg… Das erzählte er. Was war da noch? „Alle haben einen Kreis um die alte Dame mit der Posaune gebildet. Ich habe sie herein gebeten.

      Ich konnte da nicht auf das Tischchen sehen.“ Es war ihm natürlich klar, dass das der Moment war, wo man gut etwas Gift unterbringen konnte. Das war der Zeitpunkt, wo keiner etwas anderes sah als den Engel mit der Posaune.

      Ungerufen kam ein Bild aus dem Dunkel des Abends: der Kellner mit einem Tablett und etwas Hellem drauf. Er konnte nicht erkennen, was es war. Das konnte er ihr so aber nicht sagen… Was war das Helle?

      Ezra hätte gerne mehr erfahren, aber natürlich gab es keine Auskünfte an Zivilisten. Er rief also wiederum Wolfgang an: „Wir haben einen Mord hier.“

      „Hoffentlich Walthen.“ Wolfgang wusste ja um die Probleme.

      „Nein, leider nicht. Eve Lesnault.“

      „Wirklich schade. Eine interessante Frau.“

      „Kannst du Infos beschaffen?“

      „Was für Infos?“

      „Ich hätte gerne gewusst, an welchem Gift sie gestorben ist. Wie man die Wirkung einschätzt. Ich meine, wie lange vorher sie es genommen hatte.“

      „Wird erst nach der Autopsie zu haben sein. Aber ich mach mich dran. Morgen vielleicht schon… Werde denen erzählen, dass wir nicht wissen, ob das Ganze nicht größere Tragweite hat und so...“ Es war gut, dass es Wolfgang gab, mit seinem Job als Techniker im Geheimdienst. Und er war gerade nicht im fernen Osten oder in Chile, wie zuletzt. Er hatte Pause. – Und er konnte Insiderinformationen besorgen. Auf diese Art war es mit einigen Ausreden möglich, Wissen zu beschaffen, das sonst nicht zu haben war.

      Hatte er, Ezra, Mitschuld an Eves Tod? Hatte er etwas verbrochen und wusste es gar nicht? Er saß noch die Zeit ab für eventuelle Rückfragen. Die Journalisten tröpfelten aus dem Raum. Er wurde leerer kälter und müder. Spät war alles beendet und auch Ezra durfte gehen.

      NACHT

      Inzwischen war an Schlaf nicht zu denken. Leicht unterkühlt und hellwach glaubte Ezra nicht, dass er Freude am Pensionszimmer haben würde. Er zog die Jacke eng um seinen Körper und fand sie viel zu klein und zu dünn. Gerne hätte er sich eine Decke umgewickelt, aber Bett war sinnlos.

      Ein wenig Wind trieb sich in der Straße herum. Leises Frösteln zog die Ärmel hinauf und umschlang die Handgelenke und Unterarme. Es begann zu regnen, aber das Wetter war nicht sicher, ob es dabei bleiben wollte. Mit dem Regen kamen einige Eisstückchen. In der Kathedrale brannte ein sehr heller Scheinwerfer. Ezra wanderte neugierig durch das Seitentor, oder das, was einmal ein Seitentor werden wollte.

      Die gewölbten Mauern ragten auf um Gottes zukünftige Arena. Im starken Licht des Scheinwerfers rannen die gläsernen Tropfen aus dem Himmel und trafen Sand und Mosaike. Ein Beton-Engel blickte von einer Säule und hatte ein wenig Eis auf der Nase und auf den Flügeln. Hoch oben kletterte eine kleine, schwarze Gestalt durch das Gegenlicht, eine andere stand mitten im Raum.

      Als ob er Gott zum Vatertag ein Gedicht aufsagen wollte, stand Bob Lennce im Sand. Ezra ging zu ihm, langsam, leise, vorsichtig. Er schien mit Gott zu sprechen, während der vom Himmel nasse, kalte Launen los ließ. Vielleicht wollte er in Ruhe beten?

      Aber Bob drehte sich um, während Ezra näher kam.

      Er wollte über das Konzert reden. „Ich habe gerade überlegt, ob ein Chorgesang von dem Gerüst dort oben am Rand interessant wäre. Ein Engelschor von abgerissenen Personen, vielleicht in Arbeitskleidung. So wie Bühnenarbeiter. Die Fetzen des Gewandes sähen aus wie Flügel, graue Flügel…“ Kein Wort von der toten Eve.

      Ezra wollte den Todesfall auch verdrängen, daher überlegte er bereitwillig, wie ihm ein Chor von Bauarbeiterengeln gefallen würde. Ob er wohl das Akustikproblem besprechen sollte? Vielleicht war Bob aber zu hart aus seinen Überlegungen gerissen, wenn sein Arrangement zu hören bekam: „Kein Klang“. Außerdem hatte ja Wolfgang vielleicht eine Problemlösung, der sollte nicht vorgegriffen werden…

      Bob war weiter mit dem Konzert beschäftigt: „Der Raum ist einfach sehr hoch – über ihm der Himmel…“ Gedankenversunken blickte der Musiker nach oben, und feuchte Flocken tanzten in sein Gesicht. Gott wollte zu diesem Zeitpunkt gerade Schnee produzieren. Statt der glitzernden Schnüre begannen weiße Federn, niederzutreiben und sich sanft auf die Sandflächen, die Engeln und die Mosaike zu legen.

      Bob war ganz auf seine Pläne konzentriert. Er wollte seine Überlegungen diskutieren: „Es hält mich nur aufrecht, wenn ich etwas Besonderes mache“, murmelte er zu Ezra. „Todesfälle dürfen mich nicht leiden machen, es lenkt mich ab. Aber der Tod ist manchmal gut zu gebrauchen. Er bringt das notwendige Drama, damit Lieder unter die Haut gehen.“ Er ging einige Schritte in den feuchten Sand und überlegte ein Weilchen. „Tote sind dann schließlich auch Schauspieler auf der Bühne, sie bekommen Bedeutung, weil sie tot sind.

      Das mit Eve ist gute Werbung. Ich kann sie nicht beweinen, ich muss hier einen Popanz schaffen, der alle Träume aufnimmt. Und der Todesfall ist ein Stück der Bühnendekoration…“ Er streichelte im Gedanken eine Säule. „Was ist, wenn wir in einer riesen Gefühlsmaschine leben? Und ich bin der, der die Maschine bedienen kann? Vielleicht ist Gott überhaupt eine Gefühlsmaschine?“ Bob ging im Kreis und suchte mit den Augen den oberen Rand der Mauern ab. Der Rand war gerade noch zu erkennen im Licht der Scheinwerfer. Scheinbar unbeeindruckt von Gottes Aktivitäten und der Geburt des Popanz kletterte das winzige, schwarze Männchen weiter durch die Gerüste.

      Bobs Stimme war wieder da: „Ich habe mich mit Religion befasst, vor allem in den letzten Jahren. Zuerst habe ich immer gedacht, ich kann ohne leben. Aber dann war plötzlich der Ruf da. Ich wurde gerufen und frage noch immer, wohin.“ Er schüttelte den Kopf. Nach einer Weile sprach er weiter:

      „Warum sollte Gott ein Vater sein? Mit welchen Eigenschaften? Ich sehe von ihm etwas, das wir Evolution nennen, das uns leiden macht. Will er uns leiden machen? Ich sehe nicht wirklich klare Planung, sondern eine Reihe von Experimenten. Quälendes, trauriges Experiment, Ausmustern von Leben. Es wird immer etwas getötet, damit etwas Anderes leben kann. Das muss doch schmerzhaft sein. Konnte er sich kein anderes Modell einfallen lassen? Will er seine Fehler vertuschen? Wo soll da ein Vater sein?

      Vielleicht ist er ein blonder, deutscher Ausländer?

      Aber mit Sicherheit arbeitet er an der Schöpfung. Seelen flattern wohl frei in seinem Atelier wie Schwalben, fangen Gefühle wie Mücken und glauben, das ist Leben.“ Bob lief um eine Säule herum und schaute dabei in den Nachthimmel, den die Säule scheinbar trug. „Ich soll hier ein Mysterienspiel erschaffen, heilige Kunst. Wissen Sie, ob das da wirklich ein Spiel ist?“ Er kam auf Ezra zu und schaute ihm in die Augen.

      „Ein Spiel ist nur möglich, wenn man es wiederholen kann.

      Wiedergeburt ist ein Spiel, sie ist eine mächtige Hoffnung, man kann es noch einmal probieren und noch einmal probieren und kann alles fertig machen, was unfertig liegengeblieben ist.“ Er bremste hart in seinem Lauf: „Etwas fertig machen, das ewig ist, ist ein komischer Gedanke, kann so nicht sein, aber macht das Leid