Sanne Prag

Bob Lennce und der fremde Klang


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er zu sich selbst.

      Dann betrat er eines der Mosaike: „Arbeitet Gott allein oder hat er Helfer? Mordende Geister mit Flügeln, für die Auslese? - Vielleicht sind die auch inzwischen krank von dem was sie da tun und wollen Ruhe finden durch Gesang, wie der Soldat? Wollen die auch nach dem Mord ein Lulabei für den Schlaf?

      Ein Schlafgesang für Engel und für Krieger, gehört das zu einem Mysterienspiel? Der Klang schläfert sie ein und weckt sie vielleicht auch wieder. Das wäre dann für uns wohl ernster als für den Schöpfer…“

      Bob hatte einige Schneeflocken auf dem Hut. Er fixierte Ezra, der merkte, dass er hier eine Funktion hatte. Er war eine Hebamme für Bobs Mysterienspiele. Er war bedeutend, bekam Vertrauen, das fühlte er stolz. Bob Lennce war bekannt dafür, dass er sonst mit Mitteilungen sparte. Aber was bedeutete der Tod von Eve für dieses Genie? Was war Mord für ihn? Seine Gedanken waren seltsam. War er wohl in der Lage, einen Mord zu begehen, nur als Werbung für sein Konzert?

      Lennce sprach leise weiter: „Die genaue Planung des Zufälligen ist vor allem wichtig. Die Freude der Überraschung und das Abenteuer der Suche will ich hier haben, nicht ein mächtiges Bühnenbild mit vielen sinnlosen, bunten Lichtern…“ Unentschlossen lief er in einem kleinen Kreis.

      Dann wurde er menschlich. „Weißt du, ich habe die soziale Kompetenz von einem Star-Verkäufer. Ich kann nicht Rücksicht auf andere nehmen“, vertraute der Meister der Klänge Ezra an. „Der Mensch ist irgendwann Kompost, und ob ich hier ein Mysterienspiel über den blutigen Tod Gottes zu Stande bringe, ist eine wichtige Frage. Selbst mit Eves Hilfe war das nicht einfach.

      In einer Kirche ist der Tod als Thema nicht zu vermeiden. Ist Eves Tod als Kunst-Abenteuer zu gebrauchen?“ Zweifel klang in seiner Stimme.

      „Ich sollte besser Selbstmord begehen, damit ich mich nicht überlebe… Das wäre ein Mysterienspiel der anderen Art. Das gäbe einen unglaublichen Verkauf. Aber wer bedient dann Gottes Gefühlsmaschine?“ In dem Moment war ein leiser Klang zu hören. Der Ton blieb weit entfernt, aber er war deutlich. Es war, als ob gemeinsam mit den Schneeflocken Gesang von oben käme. Wind war spürbar, und ein fernes Grollen zeigte an, dass das Gewitter zurückgekommen war. Es war zwölf Uhr, der Beginn eines neuen Stundenreigens, einer neuen Uhrzeit.

      FRÜH

      Ezra hatte schließlich doch in sein Bett gefunden. Steif und kalt hatte er sich in die Decke gerollt, nachdem Bob Lennce ihn einfach stehengelassen hatte. Er hatte sich umgedreht und war gegangen, denn der Dienst seiner kreativen Hebamme war abgeleistet. Ezra fühlte sich benützt, aber schlief trotzdem.

      Er las die Morgenzeitungen, alle. Eves Tod ging durch die Blätter. Er erfuhr einiges über sie: frisch geschieden, Auslandskorrespondentin in Moskau. Hatte ein Buch geschrieben. Keine Kinder. Aber keiner wusste über den gestrigen Abend mehr als er. Nichts stand da über den Grund des Todes. Die Zeitungen bezeichneten den Todesfall als unerwartet, unbegreiflich, unerklärlich… Viele „un-“ und keine Fakten…

      Ezra versuchte, den Vorabend möglichst genau zu rekonstruieren. War ihm etwas Besonderes aufgefallen? Hatte er vielleicht gesehen, wer Eve ermordet hatte, und es bloß nicht wahrgenommen? Er müsste es gesehen haben, denn er stand fast die ganze Zeit am gleichen Platz in der Nähe des Tischchens.

      Eve war früh dagewesen. Natürlich konnte sie bereits mit Gift im Körper gekommen sein. Das musste Wolfgang klären. Sie stand die meiste Zeit an dem Tischchen mit Ro und Lennce. Viele Journalisten waren kurz vorbeigekommen, Walthen hatte sich auch einmal dazu gestellt. Vielleicht hatte er sie ermordet? - Und dann würden sie ihn verurteilen und hoffentlich aufs Rad spannen und vierteilen. Aber die Todesstrafe war ja leider abgeschafft. Bedauerlich! Es war auch nicht wirklich einzusehen, warum Walthen Eve Lesnault ermordet haben sollte.

      Wie konnte Gift in ihren Körper gekommen sein? Irgendwo musste es drin gewesen sein und irgendwie den Weg in sie hinein gefunden haben. Aber kaum ein Gift wirkt innerhalb von Minuten, und die starken, schnell wirkenden Gifte schmecken deutlich. Es war also ganz unwahrscheinlich, dass sie es an Ort und Stelle getrunken hatte. Ezras Überlegungen liefen herum und suchten einen Anker. Was war vor der Veranstaltung gewesen? Hatte er unwissentlich zu ihrem Tod beigetragen? Hatte er etwas an der Veranstaltung so organisiert, dass das Gift seinen Weg nehmen konnte? Hatte er Schuld an ihrem Tod?

      Wie konnte er Schuld haben? Was konnte er getan haben, um dem Tod den Weg zu ebnen? Er hatte die Probleme mit dem Raum zu regeln gehabt, war von der Gemeinde gekommen, mit der Information, dass der Gemeindesaal nicht zu mieten war. Für seine Aufgabe eine wirklich schwierige Situation. Er hatte die Inhaberin seiner Pension befragt, wo noch Räume wären, die für den Anlass gebucht werden konnten. Er hatte zu dem Zeitpunkt unbedingt einen Ort für den Empfang gebraucht.

      An dem Tag war die Hausfrau mit Reinheit beschäftigt gewesen. Reinheit war für sie die entschlossene Vernichtung von allem, was sich bewegt, wächst, verändert. Reinheit war das Ewige, das immer Gleichbleibende. Sie rückte mit den unglaublichsten Giften aus, um alles, was da zappelte oder den Platz verließ, zu töten. Der Baum am Vorplatz hatte sein Leben lassen müssen, weil er Blätter produziert hatte. Jetzt prangte vor der Pension eine Betonfläche, eingezäunt wie ein Vorgarten, mit einem Gartenzwerg vorne links.

      Ezra musste lachen: Da gäbe es ja doch die Sehnsucht nach Romantik, ein fernes Rühren an der Welt der Märchen und des Unkontrollierten, könnte man denken. Falsch! Das war wohl nur der Platzanspruch des Kleinen, der immer arbeitet, denn der Zwerg war mit einer Schaufel ausgerüstet.

      Alle, die bleiben wollten, mussten Zimmer bei dieser Dame buchen, denn es gab nur eine Pension im Ort. Das gehörte zu den Problemen der Organisation rund um die Wohltätigkeitsveranstaltung, für die Bob Lennce stand - zum Weiterbau des mächtigen Gotteshauses in dem großen Dorf.

      Ezra hatte schließlich nur die Kegelbahn als möglichen Ort für den Presseempfang aufgetan und hatte sie mit den Helfern aus dem Ort hergerichtet. Wie konnte Gift in dieses Szenario gekommen sein? War etwas von der tödlichen Reinigung ins Essen gelangt?

      Draußen fuhr ein Wagen vor. Den Klang kannte er. Wolfgang war zurück mit neuem Equipment. Ezra wanderte die Treppen hinunter. Die Hausfrau war mit einem Kübel unterwegs, aus dem gewaltige Chlordämpfe aufstiegen. Sie sah ihn böse und gestresst an. Musste er befürchten, der Desinfektion zum Opfer zu fallen? Oder waren die tödlichen Substanzen nur zur Vernichtung von Journalisten und anderem Gelichter gedacht? Plötzliche Todesfälle waren dann einfach - Reinigung?

      Wolfgang kletterte vor der Pension aus seinem Pickup.

      „Hast du dir etwas in Sachen Akustik überlegt? Ich habe gestern nicht mit Bob Lennce über das Problem sprechen können. Ich wollte abwarten, was dir einfällt.“

      Wolfgang zog die Plane fester nach. „Ich weiß nicht genau, ob es etwas bringt, aber ich wollte schon lange ausprobieren, was diese Klangkörper bewirken. Ich denke, es ist gut möglich, dass sie das Akustikproblem beheben, oder aber sie erzeugen etwas Neues.“ Ezra nahm wahr, dass sich unter der Plane etwas wölbte. Ein Experiment? Aber ja.

      „Wir werden Bob Lennce einweihen. Jetzt ist es noch zu früh. Wir sollten ihn nicht reizen. Ich denke, in einer Stunde.“

      Die Ideen von Wolfgang funktionierten meistens, es war eine große Erleichterung, ihn dabeizuhaben. Ezra liebte seinen cholerischen, kleptomanischen Jugendfreund.

      Beide standen beim Pickup, da sah er ein Kind vorsichtig ums Eck schauen. Ein kleines Mädchen. Eine von den dreien, die er am Vortag in der Kathedrale im Sand spielen gesehen hatte. Sie schien auf Abenteuer aus, denn sie versteckte sich hinter der Ecke. Die Hausfrau kam gerade mit Kübel und Mobb aus der Türe. Sie wirkte sehr angestrengt. Das ständige Desinfizieren schien ihr auf die Nerven zu gehen. Es war keine befriedigende Sache, auch keine Erleichterung. Es war nicht erholsam und nicht entspannend, nicht einmal sicher fühlte es sich an. Jede Desinfektion führte zu neuen Desinfektionen. Wie Sisyphos sah sie sich gezwungen, verflucht, zu dieser Art Ordnung getrieben, ohne Freude. Als sie das Kind sah, schwang sie wütend den Mobb. Die Kleine lief quietschend davon.

      „Hexenbrut“, schimpfte