Sanne Prag

Bob Lennce und der fremde Klang


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dass die Körper zwar wuchsen, aber sonst blieben sie immer Kinder. Der König staunte sehr und konnte sich das Problem nicht erklären. Er suchte nach einer Lösung. Er musste diesen Menschen helfen, zurechtzukommen. Er suchte Hilfe für die Armen, deren Vater er doch war. Schließlich gab er den Auftrag, ihnen einen Ort zu schenken, wo sie sich selbst erkennen konnten, wo sie Rat und Leitung fanden …“ Ihre Erzählung versiegte. Dann fing sie neu an:

      „Vielleicht sind die drei Mädchen weise Greisinnen, die helfen sollen? Man merkt es ihnen bloß nicht an, und sie werden auch noch wachsen. Jetzt sind sie klein und brauchen manchmal selbst Hilfe, um helfen zu können.“

      „Und was geschieht in diesen Séancen?“ Endlich konnte Ezra die richtige Frage stellen. Wurde dort geklopft? Doch er bekam keine Antwort. Sie legte sorgfältig einige Holzspäne in einen Bronzekessel, kleine blaue Flammen schlugen hoch. Sie wartete, bis das heruntergebrannt war, und legte dann einen kleinen Kegel rauchender Blätter aus einem roten Ledersack hinein.

      Der Rauch stieg auf. Sie sagte kein Wort. Der Geruch war nicht nur angenehm, nicht nur wohltuend. Da war eine andere Note drin. Etwas Scharfes stieg in Ezras Nase, etwas Scharfes, das ihn herausfordern wollte, und gleichzeitig das dumpfe Aroma von Schweiß und Lust. „Hexenküche?“, fragte er. Die Situation schien aus der Realität zu gleiten. Er musste sie einfangen, festhalten, er konnte das nicht zulassen. Sie reagierte nicht und fütterte ihren Kessel weiter mit kleinen Stückchen aus dem roten Beutel. Der Geruch wurde immer schärfer, schließlich mochte er die Situation nicht mehr. Er stand auf, murmelte einige Konventionen und ging. Vor der Türe nahm er einen tiefen Schluck kalter Frühlingsluft.

      NACHMITTAG

      Ohne besondere Freude beschloss Ezra, in seine Pension zurück zu gehen. Er konnte schließlich nicht zum Straßenkind werden, nur damit er für sein abgerissenes Mantelschlingerl nicht gerade stehen musste. Straßenkinder waren in den Augen seiner beiden Mütter immer sehr negativ gewesen. Außerdem war es ziemlich kalt.

      So bewegte er sich Richtung Pension.

      In seinem Zimmer traf er Wolfgang. Sie hatten ein Notbett hineingestellt. Wolfgang legte gerade sein Handy auf den Tisch. „Ich habe mit der Forensik telefoniert, die Autopsie ist schon abgeschlossen. Eve wurde vergiftet.“

      „Ja, das schien schon gestern ziemlich klar. Nur womit? Und daraus ergibt sich die Frage: Wann?“

      „Es scheint eine gewaltige Überdosis ihrer eigenen Herzmittel gewesen zu sein.“

      „War Eve denn herzkrank?“

      „Sie scheint einen Geburtsfehler gehabt zu haben und musste schon ihr ganzes Leben Mittel nehmen. So weit zu beurteilen ist, wurde seit einem Monat ein stärkeres Präparat gegeben.“

      „War das vielleicht zu viel? Ist sie einfach an einem zu starken Herzmittel gestorben?“

      „Nein, nicht sehr wahrscheinlich. Sie hatte mehr als das Fünfzigfache ihrer normalen Tagesdosis im Körper.“

      „Das klingt, als ob sie es nicht einfach zufällig genommen haben konnte.“

      „Zufällig nimmt man die doppelte Dosis, vielleicht ein bisschen mehr. Das passiert, weil man vergessen hat, dass man das Medikament schon genommen hat. Aber so eine hohe Dosis kann nur Absicht sein. Selbstmord oder Mord.“

      Ezra rief die Bilder des Abends zu sich: „Ich hatte überhaupt nicht das Gefühl, dass es ihr schlecht ging. Sie wirkte neugierig, interessiert, hat mit verschiedenen Personen gesprochen. Hat unserem Engel mit der Posaune zugelächelt. Alles an ihr war gezielt, nichts dem Schicksal ergeben.“

      „Das ist wahrscheinlich ein guter Ansatz, dass es Mord war.“

      „Also, irgendjemand hat ihr eine kräftige Dosis ihres eigenen Medikamentes verabreicht, und das mit Absicht. Vielleicht hat die Person gedacht, es geht als Unfall oder Selbstmord durch?“

      „Ja, gut möglich, aber diese Person muss Kontakt zu Eve gehabt haben. Ich meine, persönlichen Kontakt, denn sie wird kaum einem Fremden über ihre Medizin berichtet haben“, überlegte Wolfgang.

      „Wahrscheinlich hat sie mit einem Teil der Anwesenden schon Nächte im Hotel verbracht, das ist in Journalistenkreisen so. Es kommt immer wieder vor, dass man sich ein Hotelzimmer teilen muss, weil großer Andrang von vielen Zeitungen herrscht. Es könnten also viele der Anwesenden von den Herzmitteln gewusst haben. Stellt sich die Frage, wann sie es eingenommen hat. Gibt es eine Idee, wie lange vor ihrem Tod sie die Dosis bekam?“

      „Ja, eher kurz vorher. Sie muss das Medikament relativ knapp vor ihrem Zusammenbruch zu sich genommen haben. Es hat eine massive Herzreaktion ausgelöst, und als sie gefunden wurde, war sie bereits tot.“

      „Also sicher auf der Veranstaltung. Sie muss es genommen haben, während sie mit Bob und Ro am Tisch gestanden hat. Das war ja ziemlich lange.

      Ich habe bemerkt, dass sie zu einem Zeitpunkt unruhig geworden ist. Sie hat um sich geblickt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass wirklich etwas nicht in Ordnung war, aber sie hat unruhig und plötzlich unsicher gewirkt. Vielleicht hat sie sich komisch gefühlt. Sie hatte von den kleinen Brötchen gegessen, hatte einen Teller vor sich stehen, und einen Kaffee.“ Ezra versuchte, das Bild wieder herzustellen. Er sah die Hand von Bob Lennce zu den Brötchen von Eve greifen, als Ro irgendetwas zu ihm sagte. Die Hand blieb in der Luft über Eves Teller…

      „Ich habe vergessen, zu fragen, ob das Medikament in Pillen- oder in Tropfenform im Handel ist.“ Wolfgang ärgerte sich.

      „Eine wesentliche Frage.“

      „Solange wir das nicht wissen, bleibt das Ratespiel völlig offen, keine Parameter. Aber warum musst du das alles wissen?“

      „Ich muss mich informieren, solange ich nicht weiß, was mit Eve passiert ist. Ich möchte nicht womöglich daran Schuld tragen, dass ein Mord gelungen ist, und dann noch nicht einmal wissen, was passiert ist.“

      Wolfgang lehnte sich zurück und grinste: „Ist das jetzt die Ausrede für deine herzerfrischende Neugier?“

      „So herzerfrischt fühle ich mich nicht. Ich habe Eve nicht sehr gut gekannt, aber sie war bemerkenswert, irgendwie bedeutend. Jemand so Bedeutender kann nicht einfach aus kleinen, miesen Motiven weggeputzt werden. Helden müssen mächtig sterben, und Eve war als Berichterstatterin bedeutend. Helden steigen auf einem weißen Ross zum Himmel auf, sie sterben nicht einfach still und schnell auf einer Toilette.“

      „Entwickelst du Verschwörungstheorien?“

      „Das ist nicht notwendig. Ich glaube, dass kein Zweifel besteht, dass ihr jemand hinübergeholfen hat. Die meiste Gelegenheit hatten natürlich die, mit denen sie am Tisch war.“

      „Ro und Lennce.“

      Ezra überlegte. Dunkel meinte er dann: „Ja, und eine Reihe von Journalisten, die an dem Abend mit ihr sprachen, und Walthen.“

      „Willst du ihm den Mord anhängen?“

      „Ja, natürlich, er ist ein widerliches Dreckstück, der mir tatsächlich gesagt hat, dass meine Organisation schlecht ist, und das nur, weil er jemanden niedermachen wollte.“

      „Warum wollte er dich niedermachen? Hat doch alles funktioniert.“

      „Ja, hat es. Keines von den Mikros ist eingegangen und die Heizung hat bis zum Schluss gebullert. Die Türe ist tadellos auf- und zugegangen und es waren gut fünfzig Journalisten da, die haben alle Häppchen gekriegt. Es hat alles geklappt. Er ist zu spät gekommen, damit er mit der Organisation nicht behelligt wird, und Lennce wollte seine Rede an die Journalisten nicht halten und hat sie ihm angehängt.“

      „Ich dachte immer, er tritt gerne vor ein Publikum.“

      „Ja. Leidenschaftlich! Nur nicht mit einer Rede, die er nicht vorbereiten konnte. Wie ich ihn kenne, hat er nicht einmal eine Ahnung, wie lange schon an der Kathedrale gebaut wird, wie viel Grundfläche, wie hoch… Er hat sicher nicht nachgeforscht, wie der zuständige Bischof