Sanne Prag

Bob Lennce und der fremde Klang


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„Gotteslästerung“, fauchte sie. „Geister kommen. Die Kinder lassen Geister kommen. Das darf man nicht zulassen. Das muss verhindert werden. Aber die Leute zahlen dafür. Wenn sie Geld dafür kriegen, hört das nie auf. Dann werden die Geister immer wieder kommen und sich hier breitmachen. Die Töne in der Kathedrale sind auch hier, seit die Kinder die Geister beschwören.“ Sie dampfte Frustration aus jeder Pore. „Keine ordentlichen Leute, sehr schmutzig.“ – Das war die schlimmste Beschimpfung, die ihr einfiel. Damit ging sie wieder ins Haus.

      Ezra war verwirrt. Die Kinder als Geisterbeschwörer? Die Geister kommen, wenn die Kinder was tun? Töne in der Kathedrale? Was für Töne? Ezra erinnerte sich an die Klänge, die er am Vorabend in der Kirche gehört hatte, als ob sie aus dem Himmel gekommen wären. War das Geistermusik? Waren Geister an Eves Tod schuld? Geisterkonzerte in einer unfertigen Kirche? War das tödlich?

      Dieses Mädchen war die Mittlere von den Dreien. Ein kleines, dünnes Kind von vielleicht sechs oder sieben Jahren. Sie hockte hinter der Ecke und versuchte, mit dunklen Augen hervor zu spähen. Wolfgang ging, um sie zu beruhigen. Er nahm sie hoch. „Brauchst dich nicht aufregen, ein Mobb ist nicht sowas Schlimmes“, brummte er.

      Die Kleine sah ihn mit großen Augen an. „Ja, aber er stinkt“, sagte sie dann sachlich.

      „Da geb ich dir recht. Man mag das nicht in den Haaren.“

      „Das letzte Mal hatte ich es dann im Kragen“, erzählte sie und fasste sich mit ihrer kleinen Hand hinter den Kopf. „Das war kalt und ist in meinen Pullover reingeronnen…“

      „Bäh, pfui“, machte der große Mann. Es herrschte ein tiefes Einverständnis.

      „Ist sie weg?“, fragte die kleine Frau.

      „Ist ins Haus gegangen.“ Er ließ das Mädchen runter. Sie nahm seine Hand und schaute vorsichtig um die Ecke.

      „Ist noch im Haus drin“, sagte er beruhigend.

      „Kommt sie wieder raus?“

      „Weiß ich doch nicht. Warum tust du dir das immer wieder an?“, fragte er und schaute auch ums Eck.

      „Na, ich muss schauen, ob jemand in ihrem Keller ist.“

      „Wer soll in ihrem Keller sein?“

      Die Kleine zuckte nur mit den Achseln. Sie wollte sichtlich nichts weiter sagen. Er wartete. Ezra wartete auch. Er betrachtete das Einverständnis der beiden mit gutem Gefühl. Nur, wer sollte da im Keller sein? Gestern beim Spielen hatten sie gesagt, dass einer im Keller klopft – hatte das etwas damit zu tun?

      „Komm ich zeig dir was“, sagte das Kind plötzlich und zog an Wolfgangs Hand.

      Ein Ablenkungsmanöver, dachte Ezra, damit nicht weiter nach der Sache mit dem Keller geforscht wurde.

      Entschlossen führte sie den großen Mann über die Straße zur Kathedrale. Ezra folgte. Sie gingen außen an der Mauer entlang auf die andere Seite. Dort lag ein großer Platz, sandig grau, und erstreckte sich weit, in der Ferne einige kleine Bäume mit den ersten Blättern. Wenige tapfere, grüne Pflanzenstände wurden vom Frühling aus der Erde gezwungen. Ziemlich öde lag die große Fläche da und wartete auf irgendein Ereignis.

      Das Kind lief mit Wolfgang an der Hand an der hohen Mauer entlang. Schließlich erreichten sie eine Nische. Eine der riesigen Säulen war vorgerückt und die Mauer sprang zurück. So entstand ein kleiner Flecken wie ein Garten hinter der Säule, eingerahmt von einem kostbaren, alten Schmiedeeisen-Gitter. Dort war es sonnig und sehr geschützt, und der Boden war schon von einem grünen Kraut bewachsen.

      „Schau, da sind sie“, sagte das Kind fast stolz.

      „Was ist das?“, fragte Wolfgang.

      „Die Mädchen.“

      Wolfgang bückte sich und zupfte an einem Blatt.

      „Nicht!“, rief sie. „Du tust ihnen weh, wenn du an ihnen ziehst, dann schreien sie vielleicht.“

      „Wieso?“, Wolfgang war nicht sicher, worum es da ging.

      Die Kleine bückte sich. Sie grub ein wenig Erde von einer großen Pflanze weg. Da kam etwas wie ein brauner Kopf zum Vorschein. Es hatte nicht wirklich ein Gesicht, aber es waren zwei dunkle Stellen, da wo die Augen hätten sein können.

      Sie grub noch ein bisschen, vorsichtig, mit einem kleinen Stock, ohne die Pflanze zu berühren. „Sie mögen es nicht, wenn man sie angreift“, sagte sie dazu. Da kam etwas wie eine Schulter und der Ansatz von zwei Armen zum Vorschein, ein kleiner Mensch, obwohl es eine Wurzel war, die in der Erde steckte. Der eine Arm war verkrümmt nach oben gebogen, und aus ihm wuchsen kleine Blätter, dort wo die Hand gewesen wäre. „Das ist ein Galgenweibchen“, erklärte sie. „Hat Ivy gesagt.“

      Wolfgang hatte sich neben sie gehockt. „…und was tun die?“

      „Manchmal husten sie. Ivy sagt, sie wollen mit dir schlafen.“ Wolfgang bohrte mit seinem Finger in den sandigen Boden neben dem Galgenweibchen, um nachzuschauen, was weiter unten in der Erde los war. „Nicht!“ rief das Mädchen. „Nicht, die mögen das nicht.“

      „Schreien sie dann wieder?“

      „Nein sie husten aber, oder sie pfeifen, und das ist dann schlimm.“

      „Wieso schlimm?“

      „Sie holen den Gaukler.“

      „…und was tut der?“

      Sie schaute ihn angstvoll an, aber sagte kein Wort.

      Wolfgang wollte nicht, dass sie sich fürchtete. „Schau, das Weibchen guckt aus der Erde, wer da kommt.“ Tatsächlich hatte sich durch das Graben um die Wurzel ein kleiner Krater gebildet, und es sah aus, als ob sie über den Rand schauen würde.

      Das kleine Mädchen richtete sich auf. Sie hielt das Stöckchen in der Hand, an dem noch Sandkörner klebten. „Nein“, sagte sie. „Die schaut nicht, die ist ja blind.“ Sie legte den kleinen Ast vorsichtig neben die Pflanze murmelte noch: „… muss gehen“, und ging.

      Ezra blieb mit Wolfgang ein wenig verunsichert zurück.

      VORMITTAG

      Nachdem die Zwischenstationen, vor allem Larry, der Bodyguard, und Odine Lennce überwunden waren, war Bob sofort bereit, sich mit dem Akustikproblem auseinanderzusetzen. Er kam in das zukünftige Gotteshaus. Wolfgang hatte einige seltsame Formen aus seinem Pickup gepackt. Aus verschiedenen Materialien zusammengesetzt, erinnerten sie an überdimensionierte Keksformen.

      Auch Odine, die Gattin von Bob Lennce, kam dann. Sie sah interessant aus. Schick. Keine Barbie, eine besondere Frau, eine sichtlich zurückhaltende Frau. Jede ihrer Gesten schien zu sagen, ich bin klein, ich bin schwach neben ihm. Sie nannte sich Designerin, aber ihre wesentliche Lebensaufgabe schien es, um Bob zu sein.

      Wolfgang erklärte das akustische Problem. „Kein Klang, der in richtiger Form den Raum erfüllt. Ein Amphitheater würden wir brauchen. Ganz im Gegenteil sind hier in Wellenform gebaute Ecken und Riffe…“ Dann zeigte er seine metergroßen Formen. „Es gibt eine Wahrscheinlichkeit, dass diese Formen Klang in besonderer Form reflektieren, weil sie Klangfiguren nachgebildet sind. Das Muster von Schwingungsfiguren, die aus Klang entstehen, wurde so verarbeitet, mit Keramik und Kupferteilen. Sie könnten Klänge in einer neuen Art mit Energie anreichern, verstärken. Ich denke wir können sie im Raum aufhängen und genau auf einzelne Instrumente einrichten. Sind auch recht dekorativ…“ Das war ein Nachgedanke, um Bob das Experiment schmackhaft zu machen.

      Bob war sehr angetan. Man unterhielt sich über Frequenzen und Bässe. Ezra nahm aus der Entfernung wahr, dass die Konstruktion von noch größeren Formen überlegt wurde. Er versuchte inzwischen ein Gespräch mit der Gattin: „Das war ein Schock gestern...“

      Sie schaute ihn nur abwartend an.

      Er fuhr fort: „Eve, so plötzlich. Es tut mir wirklich leid um sie…“ Er hätte die