Sanne Prag

Bob Lennce und der fremde Klang


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sind nicht da, die sind in der Schule und im Kindergarten. Möchten sie einen Tee?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie vor ihm am Haus entlang. In dem kleinen Garten stand ein weiteres Gebäude. „Das ist meine Werkstatt.“ Sie ging über den Rasen und öffnete die Türe zu einem wohlgeheizten Raum.

      Ezra blieb staunend in der Türe stehen. Bunt bemalte, seltsame Formen lagen und standen dort. Ein Drache mit großer Ähnlichkeit zu einem Pferd schwebte in der Mitte, und ein sehr seltsamer Sessel stand in strahlendem Blau da. Und dann gab es so etwas wie einen riesigen, dunkelroten Kinderwagen. Ezra war überwältigt. „Was machen Sie da?“

      Sie ging durch den Raum und setzte einen Wasserkocher auf. „Ich möchte eine Skulptur machen, die beglückt. Einen Gegenstand, der heilt…“

      Ezra stand noch immer wie ein staunendes Kind in einem Märchenland. Der Drache schwang leise an seinen Schnüren.

      „Ein Ringelspiel macht glücklich, und Schaukeln machen glücklich, und deshalb will ich ein Schaukel-Ringelspiel der besonderen Art machen.“

      Ezra ging langsam von einem Gegenstand zum anderen. Den blauen Sessel tippte er vorsichtig an. Er konnte nicht gleich erkennen, wie man auf dem Ding schaukeln konnte. Sie stand jetzt hinter ihm, Blätter in der hohlen Hand. „Ich habe immer gerne bei Tisch gehutscht“, erklärte sie. „Dann haben sie mir den Zappelphilipp vorgelesen, dieses grausame Buch. Kranke Erwachsene produzieren kranke Kinder. Die armen behinderten Kreaturen schauen mit irrem Blick aus den Seiten dieses Buches“. Sie holte von einem Regal eine mächtige, orangegelbe Kanne, deren überquellendes Blumendekor den ganzen rundlichen Körper überwuchert hatte. Ezra überlegte, wo wohl der Tee eingefüllt werden konnte, ein Deckel war nicht zu erkennen. Sie erzählte: „Ich möchte für Erwachsene die glückliche Kindheit verlängern, und für Kinder Erziehung nicht als Drohungen und Verbote, sondern als Erfahrung am eigenen Körper, an den Möglichkeiten, die man hat.“

      Sie klappte einen Teil der Ornamente hoch und tat Blätter und Wasser hinein. Sie wirkte ruhig, gezielt ein wenig in sich gekehrt. Ihr Gesicht war weiter ausdruckslos, der äußere Schein war glatt und scheinbar freundlich leer. Ezra spürte starke Gefühle hinter der Fassade. Oder redete er sich das nur ein? Er hatte seine Hand auf die blaue Sitzfläche des Sessels gelegt, weil er immer noch herausfinden wollte, wie man mit diesem Sitz schaukeln konnte. Er übte Druck aus, da begannen die Beine zu knicken. Sie ließen sich nach allen Seiten verbiegen. „Ist das nicht gefährlich?“

      „Das Leben ist ein äußerst gefährliches, führt garantiert zum Tode“, stellte sie fest.

      „Ja, aber nicht schon als Kleinkind.“

      „Sachen, die ein wenig gefährlich sind, sind meist interessanter und dann auch lustiger. Diese öden, abgesicherten Spielplätze, wo Kinder nur ganz bestimmte Bewegungen in ganz bestimmter Reihenfolge machen können, scheinen sicher, sind es aber nicht.“

      „Nun, immerhin kann nicht leicht etwas passieren.“

      „Oh doch, gerade dort passiert es. Dort werden böse Seelen gezüchtet, die anderen absichtlich das Schauferl verbiegen oder wegnehmen, damit sie sehen, wie das andere Kind weint. Oder die dem kleineren das Küberl über den Kopf braten, dass er blutet, damit sich irgendein Erlebnis einstellt. In dieser langweilig öden, anscheinend sicheren Welt wird die echte Gefahr gezüchtet. Die Keime der Bösartigkeit wuchern, das ist ein gutes, mildes Klima dafür. Gelangweilte kleine Teufel schöpfen ihre Potentiale aus.“ Sie sagte das freundlich, ausdruckslos.

      Ezra überlegte sofort: War er damals, früher am Spielplatz, ein gelangweilter kleiner Teufel gewesen? Hatte er anderen das Schauferl übergebraten? Er konnte sich nicht erinnern. Wenn einer weinte oder blutete, hatte er einen seltsamen Gefühlsmatsch in seinem Bauch gehabt, zwischen Mitleid, Hilflosigkeit und Neugier. Eigentlich ähnlich wie er gerade jetzt den Tod von Eve erlebte.

      Sie nahm sich einen Schemel zum Tisch. „Bösartigkeit ist nicht aus der Menschheit zu bekommen. Gewalt auch nicht, aber in der Verödung der Gefahrlosigkeit blühen die miesen Triebe.“ Sie nahm einen festen Bissen von einem Haferkeks.

      Sehr dunkelbrauner Tee ergoss sich in seine Schale. Ezra schaute den Strahl an, der aus der Kanne kam. Er überlegte, ob er fragen konnte, wer da klopfte. Was die Kinder wohl damit gemeint haben könnten? Wer klopfte im Keller? Aber schließlich fühlte sich die Frage seltsam an. Kinderspiel allzu ernst genommen? Sie würde ihn wahrscheinlich nur eigenartig anschauen, mit einem kleinen Lächeln. Daher sagte er: „Haben Sie gehört, dass eine Journalistin ermordet wurde? Gestern Abend auf der Veranstaltung.“

      „Ja, Eve. Es ist schlimm.“ Sie wirkte traurig.

      Woher kannte sie Eve Lesnault?

      „Ich glaube, Eve hat viel für diese Veranstaltung getan, sie war ihr wichtig.“

      Sie schien Eve gut zu kennen.

      Ezra fragte: „Woher kannten Sie Eve?“

      „Wir hatten einen gemeinsamen Mann in jüngeren Jahren. Wir gehörten zu einer gemeinsamen Clique.“ Sie nahm Ezras erstaunten Blick war. „Eve stammt ja hier aus dem Ort. Vom Gut kommt sie. Sie war ein paar Klassen über mir, in jeder Hinsicht, aber auch in der Schule. Sie ist in die gleiche Schule gegangen.“ Sie nahm noch ein Stück Zucker, das fünfte. Sie rührte gedankenverloren in dem dunklen Gebräu. „Eve war immer eine schöne Frau, aber sie hatte kein Sitzfleisch. Hat immer neue Dinge begonnen und ist dann davongelaufen.“ Sie rührte weiter. „Auch mit Männern war sie so.“ Sie nahm einen Schluck und spuckte ihn in die Tasse zurück. „Bäh, grauslich, viel zu süß.“ Sie stand auf und schüttete den Tee in die Spüle. „Viel zu süß“, wiederholte sie leise zu sich selbst.

      Ezra verstand, sie streifte gerade durch die Welt ihrer Vergangenheit mit Eve. Er überlegte fieberhaft wie er sie dazu bringen konnte, ihm etwas von dieser Vergangenheit zu erzählen. Er wollte mehr wissen, mehr hören. Die Frau stand da, die leere Tasse in der Hand und einen Löffel in der anderen. Ihr Blick aus dem Fenster gerichtet, ohne Ziel.

      Er startete einen Versuch: „Eine Clique ist etwas Wunderschönes. Ich hatte immer große Sehnsucht danach. Ich bin ein Einzelkind mit zwei Müttern.“ Er lächelte sie an. „Ich durfte meine Freunde mitbringen, wenn sie aus nicht allzu zwielichtigen Familien kamen, aber eine Clique ist etwas viel Tolleres. Eine ganze Gruppe, mit denen man abhängt, mit denen man einen Blutsbund schließen kann, die für einen durchs Dickicht gehen…“

      Sie schaute ihn an und lächelte, nachsichtig und ein wenig traurig. „Ja, so ist das in den Träumen kleiner, einsamer Buben. Die Wirklichkeit ist nicht ganz so.“ Ihr Blick wanderte wieder beim Fenster hinaus. Abrupt wechselte sie das Thema. „Die drei Mädchen sind gar nicht so ungewöhnlich. Man möchte glauben, dass sie Hochbegabte sind, oder fremdartiges Verhalten zeigen, aber so ist das nicht. Im Grunde sind es ganz normale kleine Mädchen mit ganz normalen Wünschen. Es passieren nur ungewöhnliche Dinge um sie herum.“

      „Ja, das habe ich gehört. Der nasse Mobb hatte auch die Aufgabe, diese teuflische Gabe zu bekämpfen. Die Hausfrau hat große Angst, dass die mystischen Ereignisse Überhand nehmen könnten.“

      Sie lachte und goss sich neuerlich Tee in die Schale.

      Ezra erzählte weiter: „Meine Hausfrau hat gemeint, dass dafür bezahlt werde, und wenn der Teufel Silberlinge riecht, ist er kaum zu stoppen.“

      „Aber ja! Gelegentlich wird auf Wunsch eine Sitzung abgehalten. Wenn jemand das wünscht, zahlt er auch dafür. Wenn ich mir wünsche, dass ein anderer für mich etwas tut, muss ich das doch immer bezahlen. Was ist daran gegen die guten Sitten?“

      „Organisieren Sie das?“

      „Organisieren ist zu viel gesagt. Ich unterstütze die Familie. Ich bin eine Halbschwester von der Mutter.“

      „Ach so, die Kinder sind oft bei Ihnen?“

      „Die Mutter ist seit Jahren arbeitslos und Vater gibt es keinen. Es ist auch eine Notsituation.“ Sie sagte das grimmig wütend. „Jeder benützt seine Gaben, um das Geld zum Leben bereitzustellen. Wenn Leute fragen, dann antworten wir.“

      „Ja,