Sanne Prag

Bob Lennce und der fremde Klang


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mit ihr zustande zu bringen. Was würde sie wohl veranlassen, etwas zu sagen?

      Schließlich verkündete er laut: „Eve war eine tolle Frau, reizvoll, gescheit und sehr, sehr mutig.“ Er hatte recht. Sie schaute ihn scharf an, plötzlich war der Vogel nicht mehr so interessant. „Eve war oft bei uns“, sagte sie. Ihre Stimme war lieblich.

      „Hatte sie ein Projekt mit Bob?“

      „Ach nein“, meinte sie wegwerfend. „Sie wollte Bob benützen.“

      „Wofür benützen?“

      „Über ihn schreiben.“

      „Eve war eine gute Journalistin…“ Ezra blieb bei seiner Linie, um mehr aus ihr herauszuholen.

      „Bob hielt sie auf Abstand. Er wollte nicht, dass ständig über ihn geschrieben wird.“

      „Eigentlich lebt er davon, dass gute Journalisten über ihn schreiben.“

      „Ja, aber Menschen sind auch neugierig auf Texte über ihn. Ein Schreiberling, der gelesen werden will, schreibt über Bob. Und dann schreiben sie, was er gegessen hat, und was er angezogen hat, und was er im Bett treibt. Nur, damit noch mehr geschrieben werden kann. Sie entkleiden ihn öffentlich und kriechen in seine Unterhosen.“ Sie sagte das abwertend und in einem Nachsatz: „Aber angezogen ist er interessanter… Er will geheimnisvoll bleiben, aber er muss auch, das ist sein Markenzeichen.“

      „Ich hätte nie geglaubt, dass Eve die Art von Journalistin gewesen wäre, die billige Intimitäten breittritt.“

      „Eve war auch nicht anders als alle, sie wollte gelesen werden. Ganz einfach.“

      „Und da hat sie Intimes über Bob geschrieben?“

      „Nein, so weit ist es dann doch nicht gekommen. Bob hat sie nur nicht rausgeschmissen.“ Eine Weile war es still.

      „Hat er Angst gehabt, dass sie etwas schreibt, was er nicht will?“

      „Angst nicht, aber er ist immer ganz schön giftig mit Journalisten geworden.“

      „Hatte er denn Auseinandersetzungen mit Eve?“

      Wieder eine lange Pause. „Er hatte vielleicht das Gefühl, er konnte sie nicht rausschmeißen…“, murmelte sie. Sie wendete sich ab und befasste sich wieder mit ihrem Papiervogel. Sie hielt ihn gegen den Himmel und prüfte ihn im Hellen.

      Zwischen Bob und Wolfgang war es lauter geworden. Nicht Streit, keine Auseinandersetzung, die beiden hatten sich in große Begeisterung hineingeredet. Man würde den Innenraum mit den seltsamen Formen zuhängen, Klangbeschwörung, der Geist des Klanges und der Schwingung, ein mystisches Echo aus dem Jenseits. Töne würden eine besondere Energie bekommen. Wolfgang musste sich sofort mit den Hängungen befassen. Wo sollten sie die Instrumente hinstellen? Die Instrumente kamen unter das Dach in der Apsis, und sie würden die Gruppe einberufen, sobald die da waren. Wolfgang sollte sofort beginnen…

      Die Frau von Bob bewegte sich auf die beiden zu. Ganz eng stellte sie sich neben Bob. „Wo könnte man die Klangkörper aufhängen?“, fragte sie.

      Beide Männer erklärten. Die Haare fielen über Odines blasses Gesicht, während sie ernst zuhörte. Schließlich wendete sich Bob ab und ging, um mit seiner Band zu telefonieren, die bald kommen sollte.

      Wolfgang hatte das Gefühl, er musste fertigerklären, aber sie hatte kein Interesse mehr. Nachdem Bob weg war, drehte auch sie sich um und befasste sich wieder mit ihrem Papiervogel. Wolfgang war belanglos, unwichtig.

      MITTAG

      Ezra hatte zuerst gedacht, Wolfgang bräuchte ihn den Nachmittag über beim Aufhängen der Formen. Einige schwebten bereits unter dem Himmel zwischen den hohen Wänden. Die Feinjustierung, sagte Wolfgang, könne er nur mit der Kapelle von Bob vornehmen. So war Ezra entlassen und schlenderte zu seiner Pension. Als er vor der Türe stand, überfiel ihn eine Abneigung gegen Chlordämpfe, Sisyphos und schlechte Laune. Er wollte nicht hören, dass sein Mantel falsch an der Garderobe hing, weil das Schlingerl ausgerissen war. So beschloss er, sich die Umgebung anzuschauen.

      Gerne wollte er wissen, wo die drei Kinder wohnten, die Geister beschwören konnten. Wie sie lebten, und vor allem, wer dort klopfte.

      Er schaute sich die kleinen und größeren Häuser mit ihren Vorgärten an. Kein Luxus, sofern ein eigenes Haus nicht prinzipiell Luxus ist. Einfache Wohnstätten mit hübscher Front, keine Gegend für die Reichen und Schönen. Nichts deutete auf den Kampf der großen Mächte. Der kleine häusliche Unfrieden, die kleine tägliche Gewalt vielleicht, aber da war niemand aus der High Society zu Hause, nichts geschah hier, was am roten Teppich ausgetragen wurde.

      Er schaute sich um. Weit konnten die drei ja nicht weg wohnen. Nur fern war Straßenlärm von der Hauptstraße zu hören, sonst war es still. Konnte er Kinderlachen wahrnehmen? Er schaute zwischen den Häuserwänden in die Gärten. Eine junge Frau wusch mit dem Schlauch den Gehsteig. Ezra ging auf sie zu. Nein, so jung war sie gar nicht. Sie sah nur sehr jung aus, schlank, fast wie eine Schülerin, war aber wohl schon eine Weile im Leben, ein interessantes, glattes Gesicht.

      „Ich habe gestern drei Mädchen in der Kathedrale getroffen, wohnen die hier irgendwo?“

      Die Frau sah ihn sofort misstrauisch an. Ein Mann, der sich nach kleinen Mädchen erkundigt? Was genau wollte der? Ezra schluckte seinen Ärger hinunter. Konnte man tatsächlich mit Kindern keine normale Beziehung mehr haben? Alles von Sexfantasien verzerrt und beschädigt. „Unsere Hausfrau hat eine der drei mit dem Mobb geschlagen, und ich wollte schauen, ob alles in Ordnung ist.“ Die Erklärung war auch an den Tatsachen vorbei, aber er war genötigt, konnte nicht einfach sagen: „Ich hätte gerne herausgefunden, welche Geister sie beschwören.“.

      Die Frau schaute deutlich freundlicher. „Ach, hat sie wieder angegriffen“. Sie sagte das lächelnd. Der Schlauch lief auf den Gehsteig und sie schaute ins Leere. Schließlich sagte sie leise: „Die Menschen sind komisch. Die ungebundenen Seelen faszinieren sie und lösen gleichzeitig Angst und Wut aus. Das mystisch Unerklärliche lockt und beschäftigt sie, aber hauptsächlich damit, dass sie es als Humbug entlarven möchten oder benützen. Sie verbringen Zeit auf der Suche nach dem, was man nicht erklären kann, um es dann mit allen Mitteln erklären zu wollen und anschließend mies zu machen oder dienstbar.“

      Zornig reinigte sie eine Ecke.

      „Die Mädchen sind etwas Besonderes. Sie haben Bewunderer und daher auch Feinde. Vor allem die sehr Katholischen sind gespalten. Sie sind fasziniert von der Möglichkeit eines lebendigen Totenreiches, obwohl sie Séancen verdammen. Sie glauben an ein belebtes Jenseits, an Teufel, und Geister wollen sie aber immer nur wegschicken, statt mit ihnen zu reden.“ Sie drehte den Schlauch ab. „Das Kreuz - Prinzip der ewigen Erstarrung - soll Seelen daran hindern, frei zu sein. Kein Dialog, nur Bannung, und das, obwohl sie glauben, dass die liebe Ur-Oma im Fegefeuer sitzt. Das Kreuz, das härteste Symbol von allen, ist der Garant dafür, dass alles an seinem Platz bleibt, auch die Oma im Fegefeuer.“

      „Ja, es darf sich nichts verändern.“ Ezra wollte ein Gespräch, sie interessierte ihn mit ihrem ausdruckslosen Gesicht. „Leben ist bedrohlich, weil es in Bewegung ist“, bestätigte er. Seine Hausfrau fiel ihm ein, als Chlor-Ritter gegen das Böse, ihr Kreuzzug bekämpfte unter ungeheurem Einsatz etwas, das sie gar nicht kannte. Sie hatte ja nie versucht, es kennenzulernen - Mythen wie Bakterien, und dann vielleicht auch Geister…

      Die Frau drehte das Wasser ab und kicherte: „Ja, Desinfektion gegen Geister, mit Gift lässt sich´s regeln. Oder?“

      Gift? Gift war hier überall! War Eve doch einfach einer Reinigung zum Opfer gefallen?

      Das erste Mal seit vierzehn Tagen hatte Ezra Zeit. Er konnte sich in Ruhe die Frage stellen, wie Eve am Vortag umgekommen war. Die Frage schmerzte. Sie war nicht leicht zu beantworten. Er war auch betroffen. Nicht nur von dem Tod, auch von seiner Rolle in der Sache. Im Augenblick genoss er es aber, mit dieser Frau in der blassen Frühlingssonne zu stehen. Sie war interessant, und vielleicht schaffte er so ein