Renate Stadlmaier

Heinrich die Suche


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mehr Erträge aus seinem Land zu erwirtschaften und so kamen die Drei mehr schlecht als recht über die Runden. Im nächsten Jahr darauf wurde Luise wieder schwanger. Sie brachte ihre kleine Tochter an einem verregneten Frühlingstag genauso schnell und unkompliziert wie ihr erstes Kind zur Welt. Sie nannten sie Sophie. Die Kleine war das Ebenbild ihres Bruders, mit blonden Haaren und ebenso hellen, blauen Augen, nur dass auf Sophies kleiner Nase winzige Sommersprossen prangten.

       Die folgenden Sommermonate waren warm, aber nicht zu trocken und Lupold brachte zum ersten Mal eine wunderbare Ernte ein. Das blieb auch die nächsten drei Jahre so und die Speisekammern, der hart arbeitenden Bauern, füllten sich bis oben hin. Es waren gesegnete Zeiten und das Glück der Familie Schwab schien perfekt zu sein. Bis zu dem Tag, an dem Gott seine schützende Hand von dem Land nahm.

      Ein Hagelsturm zerstörte weite Teile nördlich der Donau und brachte große Verzweiflung in die Herzen der Menschen. Die Weinbauern klagten über den Verlust der Trauben von den besten Rebstöcken und dass der klägliche Rest nur mehr zur Herstellung von Essig taugte. Das wiederum verstimmte die Kirchenmänner vom Stift, weil dadurch die edlen Tropfen in der äußerst rentablen Stiftskellerei fehlten. Am schlimmsten traf es jedoch die Landwirtschaft. Die Ausmaße des Hagelsturms waren verheerend. Der Sturm hatte mit ungeheurer Gewalt, Häuser und Felder verwüstet und die ganze Ernte zerstört. Doch die Bauern waren es gewohnt zu kämpfen. Das emsige Volk hielt zusammen und brachte die Schäden an ihren Häusern gemeinsam, so gut es ging, wieder in Ordnung. Sie räumten die Felder auf und retteten was noch zu retten war. Immer wieder gab es gute und schlechte Zeiten, so war ihr Leben.

      Nur für Luise war plötzlich alles anders. Die sonst so lebenslustige Frau verlor sich in immer schlimmer werdender Trübseeligkeit. Anfangs versuchte sie es mit Johanniskraut. Danach mit einer Mischung aus Ackerschachtelhalm, Brennnessel, Helmkraut, Birkenblättern und Schafgarbe, aber ihre Stimmung wurde nicht besser und danach waren selbst die kundigsten Kräuterfrauen ratlos.

      „Ihr Körper wäre jung und stark“, meinten sie.

      „ doch ihre Seele hat der Lebensmut verlassen. Dagegen, lieber Heinrich, ist kein Kraut gewachsen“.

      Luise aß kaum noch und bestand bald nur mehr aus Haut und Knochen. Sie schleppte sich durch den Tag und der einzige Grund warum sie morgens noch die Augen öffnete, waren ihre Kinder. Eines Morgens, kurz vor Herbstbeginn, schlief sie jedoch für immer weiter.

      Lupold begrub sie hinter dem Haus. Das schiefe Holzkreuz, das er auf ihr Grab setzte bewies sein Ungeschick für Handwerkliches.

      „ Gott hat Mutter zu sich geholt“, war die knappe Erklärung für den sechsjährigen Heinrich und die vier jährige Sophie.

      In den nächsten Tagen kamen immer wieder Nachbarn vorbei, um ihr Beileid zu bekunden, ließen was sie entbehren konnten an kleinen Gaben, da und strichen den Kindern mitleidig über die Wangen.

      Heinrich konnte nicht verstehen, warum Gott seine Mutter geholt hatte, wo sie hier doch viel dringender gebraucht wurde. Er vermisste sie so sehr, sehnte sich nach ihrer weichen, warmen Umarmung und wollte ihren fantasievollen Geschichten lauschen. Warum ließ Vater sie draußen in der kalten Erde liegen und nicht hier, in ihrem Bett in der warmen Stube?

      Er ging nach draußen und starrte lange auf das Grab. Dann wurde er zornig.

      „ Gib Mutter wieder her“! schrie er und schlug mit seinen kleinen Fäusten in die Luft. Wenn er diesen Gott schon nicht sehen konnte, dann wollte er ihm wenigstens ein paar Prügel verpassen.

      „Gib sie her!“ rief er wieder und dicke Tränen rannen über seine runden Wangen. Er hieb und trat schluchzend in die Luft und mit jedem Schlag befreite er sein kleines Herz vom großen Schmerz.

      Lupold bemühte sich aus ganzem Herzen ein guter Vater zu sein. Jeden Tag versuchte er den Kindern wenigstens eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, doch auch zum Kochen besaß er nur mäßiges Talent. Der kleine Heinrich und seine Schwester halfen wo sie konnten, doch die Arbeit am Hof und auf dem Feld, schien mehr und mehr zu werden, für Lupold kaum mehr zu bewältigen. Die Felder verwahrlosten zum Teil und im Wohnhaus begannen sich Ratten breit zu machen.

      An einem eiskalten Sonntag Ende Februar, besuchte Lupold mit Heinrich und Sophie die heilige Messe im Ort. In mehrere Schichten warmer Kleidung eingepackt, stapften sie durch den schmutzigen, gefrorenen Schnee. Es war eine der seltenen Tage an denen die kleine Familie Zeit fand der Sonntagspredigt von Pater Paul beizuwohnen. Heinrich saß wie immer seit dem Tod der Mutter, stumm und unbeteiligt auf der Kirchenbank. Er hatte sich geschworen, nie wieder ein Wort mit Gott zu wechseln.

      Nach der Messe versammelte sich die kleine Gemeinde vor der Kirche, um den neuesten Tratsch miteinander auszutauschen. Heinrich, Sophie und die anderen Kinder spielten fangen. Wie kleine Drachen stieß ihr Atem beim laufen kleine Wölkchen in die Luft. Der Himmel war grau verhangen und es roch nach Schnee. Rosa, die Frau eines benachbarten Bauern, trat an Lupold heran. Die Nase und die Wangen der mageren Frau waren gerötet von der Kälte und sie hielt einen dicken Wollschal um die Schultern geschlungen.

      „ Poldi, du weißt ich meins gut. Du solltest den Vorschlag vom Eder-Bauer annehmen und seine Cousine heiraten. Die junge Witwe ist aus gutem Haus, anpacken kann´s und gut ausschauen tut sie auch. Poldi, sei vernünftig! Die Kinder brauchen eine Mutter und du brauchst a Frau“. Sie drehte sich um und ließ Lupold stehen. Lupold blieb mit gesenktem Kopf und den Händen in den Hosentaschen zurück. Er murmelte etwas Unverständliches und trat dann gegen einen Stein. Man sah ihm den Unmut über Rosas Worte an.

      „ Kommt Kinder, wir gehen“! rief er knapp, wandte sich um und stapfte davon.

      Drei Wochen später saß Lupold mit den Kindern früh morgens am Tisch und kaute an einer harten Kante Brot. Er starrte stumm und lange auf die Tischplatte. Kurz entschlossen sprang er plötzlich auf, warf das Brot hin, holte seine Jacke, schloss die Haustür ab und ohne ein Wort zu sagen, ging er.

      Fünf Stunden später kehrte er zurück, mit Maria.

      Der Vater stellte den Kindern die Fünfundzwanzigjährige wenig einfühlsam als seine zukünftige Frau und ihre neue Mutter vor. Maria hatte freundliche, braune Augen und eine kleine Nase in einem runden Gesicht. Ihre zart roten Lippen waren schön geformt und ihre Wangen zeigten zwei kleine Grübchen, wenn sie lächelte. Aus ihrer Haube drängten sich lange, braun gelockte Strähnen und sie roch gut. Maria begrüßte die Kinder mit einer kurzen, aber herzlichen Umarmung. Sophie war sofort von ihr hingerissen und wich nicht mehr von ihrer Seite. Es dauerte eine Weile, bis auch Heinrich begriff, dass Maria ein Segen für sie alle war.

      Maria war ein intelligentes, wissbegieriges Kind. Dank ihrer Mutter wurde sie von Nonnen erzogen und durfte im Kloster lernen. Der Vater missbilligte das und nannte es Blasphemie. Als Maria später dann mit einem Spielmann namens Eduard davonlief und heimlich heiratete, verstieß er sie für immer. Maria und Eduard waren arm, aber glücklich.

      Eduard fiel nach zwei Jahren Ehe vom Pferd und brach sich das Genick.

      Als junge, mittellose Witwe blieb ihr nichts anderes übrig, als das Angebot ihres Cousins anzunehmen. Er bot Maria eine Stelle auf seinem Hof an, doch in Wirklichkeit entpuppte er sich als perverser Lustmolch, der ihr ständig an die Wäsche wollte. Eines Abends, als sie die Küchenabfälle nach draußen brachte, hörte sie die Ziegen im Stall gegen das Holz treten und aufgeregt blöken. Maria ging, um nachzusehen und starrte entsetzt auf ihren betrunkenen Cousin der mit offener Hose und steifen Glied versuchte eine Ziege, die er an den Hinterbeinen mit einem Strick gefesselt hatte, zu besteigen. Angewidert wandte sie sich ab und ging zurück in die Küche. Sie versuchte das Bild aus ihrem Kopf zu verdrängen und begann die Teller und Pfannen vom Abendbrot noch einmal zu schrubben.

      Sie hörte ihn nicht kommen.

      Als sie sich umdrehte stand er grinsend und mit offener Hose vor ihr. Er stank nach Branntwein und Maria sah auf seine schlaffe Männlichkeit. Ekel stieg ihr den Hals hoch und als er näher kam griff sie nach einer Pfanne und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht. Dem Mann rutschte die Hose in die Knie und er fiel um wie ein Stück Holz.

      Den ausgeschlagenen Vorderzahn und die gebrochene