Renate Stadlmaier

Heinrich die Suche


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in weiten Falten bis zu den Füßen herab. Sie hatte grüne Augen und eine zarte, weiße, fast durchscheinende Haut.

      Sofort erkannte sie, dass ihren Sohn etwas bedrückte.

      „Was ist los?“, fragte sie.

      „ Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon - du und Vater?“

      „ Hm! Lass mich kurz nachdenken. Das müssen jetzt genau dreizehn Jahre sein.“

      „ Und wieso weißt du das so genau?“

      „ Weil es damals, als wir uns kennen lernten, ein unglückliches Jahr gewesen ist.“

      „ Was war denn so Schreckliches geschehen?“

       „ Der Danubius (Donau) hatte Hochwasser geführt und das ganze Gebiet bis hin zum Bisamberg überschwemmt. Die Felder ertranken im Eisstoßwasser und die Bauern mussten ihre Ernte aufgeben. Viele kleinere Tiere wurden einfach weggeschwemmt und die Häuser großteils zerstört. Danach gab es das ganze Jahr über nicht genug zu essen und die armen Leute versuchten verzweifelt ihren Hunger zu stillen, indem sie sogar Gras aßen. Die Kirchenmänner trennten sich damals schweren Herzens von ihren Schätzen, um die Armen zu speisen und die Bauern bauten mühevoll ihre Häuser wieder auf, um wenigstens in der kalten Jahreszeit ein Dach über dem Kopf zu haben. Doch die Ernte war zerstört, die Vorratskammern leer und der Winter zog unbarmherzig mit klirrender Kälte ins Land. Die Menschen froren und hungerten. Viele von den Alten und die schwachen Kinder überlebten die Wintermonate nicht.

      Damals kam dein Vater mit Brot und etwas Obst aus den Vorratskammern des Grafen in unser Haus.

      Ich werde diesen Tag nie vergessen. Immer wieder brachte er den Ärmsten der Armen etwas zu essen. So konnten wir überleben und nicht nur meine Familie. Einige mehr verdanken ihm ihr Leben, die er in dieser schweren Zeit mit dem Notwendigsten versorgt hatte.

      Na ja, ich habe deinem Vater, obwohl ich sehr mager war, scheinbar doch ganz gut gefallen, denn er holte mich hierher auf die Burg und ich wurde seine Frau. Natürlich war ich bis über beide Ohren in diesen wunderbaren Mann verliebt und liebe ihn heute noch.“

      In diesen Worten lag die ganze Wärme ihres Herzens und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht.

      Conrads Zweifel an der Liebe seiner Eltern war mit einem Mal zerstreut.

      Wie konnte er nur so töricht sein.

       „ Nun, mein Sohn, war das alles, was du wissen wolltest?“

      „ Vorerst schon“, sagte Conrad und zwinkerte seiner Mutter zu.

      „ Na, dann komm. Lass uns nach Hause gehen.“

      Sie verließen den Rittersaal, gefolgt von Heinrich und der kleinen Sybilla.

      Draußen war es dunkel geworden. Die Nacht war warm und der Himmel sternenklar. Die Vier schlenderten gemeinsam über den inneren Burghof, durch das Tor mit dem Fallgitter, in den äußeren Burghof, wo sich ihr Haus befand. Nur noch wenige Schritte trennten sie von der Tür. Eine schwarze Wolke schob sich vor den Mond und hüllte den Rest des Weges in ein schwarzes Tuch.

      Plötzlich hörte Heinrich ein leises Schnaufen.

      Er drehte sich um und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

      Dort, an der dunklen Fläche der Mauer, bewegte sich etwas.

      Das Licht reichte nicht aus, um festzustellen, was es war.

      Wieder hatte Heinrich dieses komische Gefühl in der Magengegend.

      „Schnell ins Haus“. zischte Heinrich und öffnete die Tür.

      Franziska und die Kinder verschwanden darin und Heinrich schloss die Tür.

      Alleine blieb er draußen stehen.

      „Ist da jemand?“

      Etwas huschte an ihm vorbei. Bedrohlich nahe.

      Heinrich wirbelte herum.

      Da gab die Wolke den Mond wieder frei und sein silbrigblaues Licht erleuchtete den Burghof.

      Es war niemand da. Alles war wie ausgestorben

       DER SCHATTEN

      Heinrich saß der Schreck noch in allen Gliedern. Er kniff die Augen zusammen und spähte in die Finsternis. Der Schatten, den er gesehen hatte, war verschwunden. Er war eins geworden mit der Dunkelheit und hinterließ die eisige Luft erkalteter Seelen. Es war ein Moment, in dem Heinrich überzeugt war, den Atem der Hölle gespürt zu haben.

      „ Ich weiß nicht, wer oder was du bist, aber ich kann dich fühlen.“ flüsterte er und bewegte sich vorsichtig, rückwärts auf die Eingangstür zu. Immer wieder hielt er Ausschau nach etwas Verdächtigem, doch nichts war zu sehen.

       Er drehte sich um und starrte auf den schmalen Lichtstreif unterhalb der Tür seines Hauses.

      Da raste aus dem Nichts ein blauer Funke heran und schlug wie ein Blitz neben Heinrich in den Boden. Gleich darauf fegte ein Sturm durch den Burghof, der ihn beinahe von den Beinen riss.

      Heinrich klammerte sich mit aller Kraft am Türrahmen fest und stemmte sich gegen den Wind. Die Anstrengung trieb ihm den Schweiß aus allen Poren.

      „ Was willst du von mir?“ schrie er, doch das Tosen des Sturms verschlang seine Worte.

      „ Ich werde nicht zulassen, dass dieser Familie etwas geschieht! Nicht, solange ich lebe!“

      Der Sturm zerrte an seinen Kleidern und seinen Haaren, sodass Heinrich Mühe hatte sich festzuhalten. Er biss sich auf die Lippen und zog sich mit aller Kraft zur Tür.

      Rasch drückte er sie auf und zwängte sich durch einen Spalt ins Haus.

      Erschöpft lehnte er sich von innen mit dem Rücken gegen die Tür. Sein Brustkorb hob und senkte sich. In der Mitte des Raumes stand Franziska mit bleichem Gesicht, die Kinder fest an sich gedrückt. Sybilla weinte.

      Conrad ließ seine Mutter los und kam auf ihn zu.

      „Alles in Ordnung, Vater?“

      „ Alles in Ordnung, Sohn.“ keuchte Heinrich.

      Draußen hatte sich der Sturm so plötzlich gelegt, wie er gekommen war.

      Es herrschte wieder Totenstille im Hof.

      Vorsichtig löste Heinrich den Arm Franziskas von Sybilla und hob das Mädchen hoch. Die Kleine vergrub ängstlich ihr Gesicht in seiner Halsgrube.

       „Was war das?“, fragte Franziska mit zittriger Stimme und legte die Stirn in tausend Sorgenfalten.

      Heinrich streichelte beruhigend ihre Wange.

      „Ich kann es dir nicht sagen, aber ich kann es fühlen und ich weiß, dass es sich noch in unserer Nähe befindet.“

      Er drückte Franziska das Kind in die Arme und wandte sich zu Conrad.

      „ Du musst jetzt sehr tapfer sein. Ich brauche deine Hilfe.“

      „ Was kann ich tun?“

      „ Verriegle die Tür und alle Fenster. Ich werde oben alles verschließen.

      Es muss alles dicht sein, sodass niemand mehr herein kann. Beeil dich.“

      Es war eine schwüle Nacht. Heinrich, Franziska und Conrad saßen mit verschwitzten Kleidern in der Stube und warteten. Sie warteten mit angespannten Nerven darauf, dass etwas passieren würde.

       Sybilla saß auf Franziskas Schoß. Der Kopf war ihr auf die Brust gesunken und sie atmete regelmäßig.

      Plötzlich vernahmen alle ein leises Geräusch. Ein Klirren.

      Heinrich hielt den Atem an und lauschte.

      „ War das der Wind?“, fragte Sybilla verschlafen.

      „ Ja, Schätzchen. Das wird wohl der Wind gewesen sein.“ antwortete Franziska.

      Ihre