Renate Stadlmaier

Heinrich die Suche


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Scharren. Rascheln.

      „ Oh Herr im Himmel“; sagte Franziska. Sie presste die Hand vor den Mund und starrte Heinrich mit weit aufgerissenen Augen an.

      Etwas schabte an der Hauswand entlang.

      Conrad spürte sein Herz im Hals schlagen. Sybilla wimmerte leise.

       Heinrich schloss die Augen und bündelte seine ganze Konzentration auf das Geräusch vor dem Haus.

      Wieder dieses Kratzen an der Wand, dieses Mal höher.

      Franziska, Conrad und Sybilla sahen Heinrich erwartungsvoll an. In ihren Augen war nur pure Angst zu sehen.

      „Es ist wieder da“, sagte Heinrich.

      „ Es versucht, hier hereinzukommen.“

       DAS FEUER

      Wenig später hörten sie von oben ein Prasseln und Knacken.

      Heinrich sprang auf und schnupperte in der Luft.

      „ Mir kommt es vor, als würde ich Rauch riechen“, sagte er.

      Franziska schnupperte ebenfalls.

      „ Tatsächlich, ich rieche es auch.“

      Jetzt drang deutlich Brandgeruch in die Stube ein.

      „ Feuer!“ schrie Heinrich.

      Kurz darauf war der Raum voller Rauch.

      „ Das Dach brennt! Alle raus hier!“, rief Heinrich entsetzt.

      Conrads Herz begann wie wild zu schlagen. Mit jedem Atemzug sog er den Rauchgeruch ein. Wie ein gehetztes Tier blickte er um sich und wusste nicht, was er tun sollte, während Heinrich Franziska und Sybilla zur Tür drängte.

      Es rumpelte und krachte, als Conrad nach oben blickte.

      Das Feuer hatte bereits ein großes Loch in das strohgedeckte Dach gefressen und bildete einen roten Kreis vor dem schwarzen Hintergrund des nächtlichen Himmels.

      „Was sollen wir tun?“, rief Conrad seinem Vater zu. Panik drohte ihn zu ergreifen.

      „ Unser ganzes Haus wird abbrennen! Wir müssen das Feuer löschen!“

      „ Raus, hab ich gesagt. Schnell!“, herrschte ihn sein Vater an.

      Er hielt Sybilla an einer Hand und Franziska an der anderen.

      Mit sanfter Gewalt stieß er sie zur Tür hinaus. Conrad stand wie angewurzelt und starrte auf das brennende Dach.

      „ Isabella!“, schrie Sybilla und riss sich von ihrer Mutter los.

      „ Ich habe Isabella vergessen!“

      Sie wollte zurück ins Haus laufen, doch Heinrich fing sie wieder ein und klemmte sich das zappelnde und schluchzende Mädchen wie einen Sack Mehl unter den einen Arm und mit dem anderen hielt er die Tür auf.

      „ Komm jetzt, Conrad, bevor es zu spät ist“, rief Heinrich und schlüpfte mit der schreienden Sybilla durch die Tür ins Freie in der Meinung, dass sein Sohn ihm folgte.

      Doch Conrad zögerte, denn er sah Isabella, Sybillas Puppe, die ihr Mama genäht hatte, auf dem Tisch liegen. Er lief hin, ergriff die Puppe und steckte sie vorne in sein Hemd.

      Damit verlor er kostbare Sekunden.

      Dann krachte es erneut.

      Conrad zuckte zusammen und als er nach oben blickte, sah er einen riesigen Balken, der herab fiel, sich mehrmals um sich selbst drehte und mit solcher Wucht auf den Boden aufschlug, dass die Wände des Hauses erzitterten. Ein Funkenregen und glühende Asche folgten nach. Conrad sprang im letzten Moment zurück und riss instinktiv die Arme schützend über den Kopf. Ein paar Funken trafen seine Kleidung und brannten kleine Löcher hinein. Gesicht und Haare blieben zum Glück verschont. Als er die Arme wieder herunternahm, starrte er voller Entsetzen auf eine Feuerwand. Vor ihm lag der brennende Balken und versperrte ihm den Weg zur Tür. Die Luft wurde jetzt so heiß, dass sein Gesicht und seine Augen schmerzten. Nun fingen auch die Möbel und das Stroh, mit dem der Boden ausgelegt war, Feuer. Rund um Conrad züngelten die Flammen hoch.

      Er war gefangen.

      Der beißende Rauch brannte in seinen Augen und in seiner Lunge. Er fühlte die unerträgliche Hitze des Feuers auf seiner Haut. Das alles war so unwirklich, ein Albtraum......

      „Ich sterbe.. ich verbrenne“, dachte Conrad und versuchte taumelnd einen Weg durch die Feuerwand zu finden.

      Doch überall schlug ihm glühende Hitze entgegen.

      Es war aussichtslos.

      Jetzt hatte er Todesangst.

      Als ihn ein heftiger Hustenanfall überfiel, geriet er ins Stolpern und fiel auf die Knie. Plötzlich hörte er seine Mutter und seinen Vater von weit her und verweht seinen Namen rufen.

      Am liebsten hätte er losgeheult.

      „Mama!“, brüllte er wie von Sinnen und in dem Schrei lag die ganze tiefe Verzweiflung seines Herzens.

      Das Tosen des Feuers schwoll an und wurde lauter und lauter. Immer wilder schlugen die Flammen empor.

       Vor Conrads Augen war alles nur mehr eine rotgelbe Feuersbrunst.

      Einmal mehr versuchte er die Panik niederzukämpfen und starrte wieder zur Decke hinauf. Dort oben war nur noch ein Flammenmeer.

       Angstvoll blickte er um sich, doch seine Augen tränten so sehr, dass er kaum noch etwas sehen konnte.

      Einen Augenblick lang glaubte Conrad im Rauch eine verzerrte Gestalt wahrgenommen zu haben. Oder war es seine Fantasie, die ihm einen Streich gespielt hatte?

       Da packte ihn von hinten eine Hand und hielt ihn an der Schulter fest.

      Namenloses Entsetzen ergriff Conrad.

      „Jetzt ist alles aus“, dachte er und schloss die Augen.

      Conrad war bereit, sich seinem Schicksal zu ergeben.

       Er wurde hochgehoben und davongetragen. In seinen Ohren dröhnte das Tosen der Feuersbrunst und dann brach die ganze rechte Seite des Dachstuhls ein.

      Doch Conrad war nicht mehr in Gefahr. Sein Retter schleppte ihn schwer atmend und schweißüberströmt ins Freie, wo sie gemeinsam in sicherer Entfernung zur Erde fielen.

      „ Er hat ihn! Gott sei Dank, er hat ihn!“, hörte er die Stimme seiner Mutter vor Freude und Erleichterung rufen.

      Conrad öffnete die Augen und sah verblüfft Bertram ins Gesicht, der ihn noch immer fest hielt. Es roch versengt und Conrad sah Kratzer und Russspuren auf seinem Gesicht. Um den Kopf hatte er ein nasses Tuch wie einen Turban geschlungen. Behutsam ließ er Conrad los.

      „ Na, alles klar, Hasenfuß?“, lächelte Bertram und zog sich mit einer schwungvollen Bewegung das Tuch vom Kopf. Er schüttelte die nassen Locken und zwinkerte Conrad schelmisch zu.

      „ Ich....., ich......,“ stotterte Conrad, kam aber nicht mehr dazu einen vollständigen Satz zu formen, denn Franziska hatte ihn erreicht und fiel vor ihm auf die Knie. Sie drückte ihn so heftig an sich, dass ihm die Luft weg blieb. Ihr Kopf war unbedeckt, ihr Haar zerzaust und sie weinte Tränen der Freude. Immer wieder strich sie Conrad übers Gesicht, dann drehte sie den Kopf und rief Heinrich, der mit Sybilla angerannt kam, zu:

      „ Es ist alles in Ordnung! Heinrich, er lebt! Unser Sohn lebt!“

      Conrad zog die Puppe aus seinem Hemd und hielt sie grinsend seiner Schwester entgegen. Isabella war unversehrt.

       Sybilla flog ihrem Bruder in die Arme und drückte die Puppe überglücklich an ihre kleine Brust.

      Heinrich stand für einen langen Moment nur da, um zu begreifen was er sah.

      Dann begannen seine Schultern zu zucken. Ein Weinkrampf schüttelte ihn und er schlang seine Arme um seine Familie.