Nicole Siecke

Ungewisse Vergangenheit


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deshalb auf der Hut sein. Der Gedanke, dass ich diesem Murray eventuell in die Arme lief, löste äußerstes Unbehagen in mir aus.

      Lebensmittel fand ich tatsächlich in Hülle und Fülle in der Speisekammer vor. Ich musste nur dem Geruch von Schinken und frischem Brot nachgehen und war froh, dass alles so glatt lief, wie ich es mir wünschte, deshalb dachte ich nicht auch noch an Kleidungsstücke, die unsere Herkunft verbargen. Als ich endlich unter dem endlosen Sternenhimmel vor dem Haus stand, fühlte ich mich sehr erleichtert. Unsicher blickte ich noch einmal hinter mich, ob mir auch niemand folgte. Den Schinken und die zwei Laibe Brot hatte ich fest in die Decken gewickelt und trug sie eingeklemmt unterm Arm bei mir. Eine angenehme Last, denn ich wusste, dass sie uns vorerst weiterhelfen würde. Ich beschleunigte meinen Schritt. Ich konnte nicht behaupten, dass mir die Dunkelheit und das unbekannte Land, auf dem ich mich befand, keine Angst einflößten.

      Ich war gut circa eine Meile weit in die Dunkelheit gegangen und passierte gerade eine Art Zaungatter, als ich mit Erstarren eine an einen der Pfähle gelehnte Gestalt erkannte. Der Mond schien hell und mächtig über mir, lies eine genauere Betrachtungsweise des Unbekannten jedoch nicht zu.

      Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Es konnte unmöglich Kiefer sein, der dort stand. Bestimmt hätte er sich zu erkennen gegeben! Und wo wäre dann Lori gewesen?

      Unwillkürlich war ich stehen geblieben, nicht bereit, meinem offensichtlichen Verfolger auch noch in die Arme zu laufen.

      Die große Gestalt schien meinen langsamen Rücktritt bemerkt zu haben und bewegte sich. Bevor mir ein Schrei widerfahren konnte, hörte ich die Worte des Unbekannten.

      „Ihr seid also doch eine Diebin? Ganz, wie mein Onkel es vorausgesagt hat!“

      Es war Adam, der dort am Zaun stand. Wusste der Himmel, wie er mich unbemerkt überholt hatte, aber war dies wirklich eine Kunst, wenn ich mich in dieser Gegend auskannte?

      Unfähig, ihm eine Antwort zu geben, starrte ich ihn an. Was hatte er vor? Was würde er jetzt mit mir tun?

      „Sagt mir die Wahrheit Rose, ich hasse nichts mehr, als verlogene Frauenzimmer!“

      Mein Herzschlag normalisierte sich wieder, trotzdem hielt ich diese Situation für gefährlich, da ich sein Vorhaben nicht erraten konnte.

      „Ich bin keine Diebin!“ rechtfertigte ich mich naiv. „Ich stecke in Schwierigkeiten!“ Das war noch nicht mal gelogen, und ich hoffte, er würde mir Glauben schenken.

      Er war mir bis auf wenige Schritte nahegekommen, so dass mir ein heuartiger Geruch in die Nase steigen konnte. Gerade als er den Arm nach mir ausstrecken wollte, huschte ein blitzschneller Schatten auf ihn zu. Ich erschrak so heftig, dass ich mechanisch zur Seite sprang, um mich selbst zu schützen. Ein kurzer Kampf war zu hören und dann schallte ein dumpfer Schlag zu mir herüber, der von einem schrecklichen Stöhnen unterbrochen wurde.

      Ich wusste instinktiv, dass Adam dicht neben mir auf dem Boden lag und Sekunden später erkannte ich den Grund dafür.

      „Kiefer! Wo um Himmels Willen kommst du her?“

      Schlagartig wurde mir bewusst, dass er Adam getötet haben musste.

      „Du hast ihn umgebracht!“ schrie ich ihn an.

      „Ich habe Ihnen nur das Leben gerettet, Miss Clerence!“

      „Heiliger Himmel, Kiefer. Wir müssen etwas tun!“

      Er sah mich fragend an.

      „Wir sind Ihnen nachgegangen in der Angst, Ihnen sei etwas zugestoßen. Ein ziemlich dummer Plan war das! Und jetzt, wo man Sie fast umbringen wollte, beschweren Sie sich auch noch, dass man Ihnen in letzter Sekunde das Leben rettet!“

      Aus seiner Betrachtungsweise mochte er sicher Recht damit haben, aber er musste auch meine verstehen.

      „Er muss mir gefolgt sein, Kiefer. Sein Name ist Adam. Ich glaube nicht, dass er mir etwas angetan hätte, schließlich hat er mich auch bei sich aufgenommen!“

      Ich war in die Knie gegangen und tastete panisch auf seinem Körper herum. Irgendeine Verletzung musste doch zu finden sein!? Endlich bekam ich seinen Puls am Hals zu fassen. Er war schwach, aber regelmäßig.

      „Adam, können Sie mich hören?“

      Ich strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und packte in ein feuchtes Gerinnsel. Es war warm und klebte in Sekundenschnelle an meiner Hand. Nach genauerer Untersuchung fand ich die Quelle des blutenden Ursprungs, eine lange Platzwunde hinter dem linken Ohr. Er rührte sich nicht und gab auch keinen Laut von sich, der mir die Panik genommen hätte, ihn lebensgefährlich verletzt zu haben. Dann vernahm ich plötzlich den wohl vertrauten Klang eines schnippenden Feuerzeugs und eine kleine Flamme half mir bei einer genaueren Untersuchung. Ich sah kurz Adams Gesicht, welches wachsbleich in meinem Schoß lag.

      “Kiefer, du musst mir helfen. Wir können ihn hier nicht liegen lassen. Ich ...“

      Er unterbrach mich.

      “Woher sollte ich wissen, dass Sie ihm bekannt sind?“

      „Du hast ja Recht. Wir alle haben Recht. Alle Beteiligten waren mehr als misstrauisch, aber das hilft uns nun auch nicht weiter. Wo ist Lori?“

      Ich versuchte die Verzweiflung, die erneut in mir aufgelodert war, zu unterdrücken. Wenn Adam durch uns, die wir eigentlich gar nicht hier sein dürften, sterben sollte, würde ich mir das nie verzeihen können!

      Kiefer erklärte mir in kurzen Sätzen, dass Lori ganz in der Nähe in einem verlassenen Scheunengebäude war, den sie als Unterschlupf gefunden hatten. Wir sprachen nicht über andere Ereignisse, die gewesen waren, dazu war ich nicht in der Lage. Es war auch meiner Meinung nach unwichtig. Meine Informationssammlung, die ich herausbekommen hatte, konnte ich genauso gut auch später erzählen. Viel schlimmer war es, einem unschuldigen Menschen durch eine Dummheit eventuell das Leben genommen zu haben, ganz neben der Tatsache, dass wir einen Mord am Halse hätten haben können und das in einer Zeit wie dieser!

      Wir wickelten Adam gekonnt in meine mitgebrachten Decken ein und trugen ihn zu zweit durch die Nacht. Ich hoffte inständig, dass es nicht mehr weit bis zur Hütte war, denn ich war am Limit meiner Kräfte angelangt. Adams Körper war doppelt so schwer in bewusstlosem Zustand, als es normal der Fall gewesen wäre. Immer wieder betete ich, dass er durchhalten würde, während mir der Schweiß in Strömen den Rücken herunterlief.

      Endlich am Ziel angelangt, stieß Kiefer mit einem heftigen Tritt die Türe auf, so dass Lori ein erschrecktes Schluchzen entfuhr. Sie hatte wohl kaum mit einer solchen Ankunft gerechnet.

      „Kiefer, du ... ich ... ich hasse dich, wieso hast du mich allein gelassen?!“

      Als sie sah, wen er mit in seiner Begleitung hatte, veränderte sich ihre Stimme.

      „Miss Clerence, Gott sei Dank, Sie leben!“ Eine Last schien augenblicklich von ihr abzufallen. Sie war schnellstens bemüht, uns bei unserer mitgebrachten Last behilflich zu sein.

      Wir legten Adam auf ein provisorisches Strohlager. Natürlich gab es auch hier keinen elektrischen Strom, es blieb uns also nichts anderes übrig, als uns weiterhin mit der Dunkelheit abzufinden!

      „Kiefer, ich habe Brot und Schinken für euch. Es liegt an der Unfallstelle, würdest ...“

      Er ließ mich nicht aussprechen, da der Gedanke an Nahrung wohl so verlockend war, dass er auch zehn Meilen für einen Bissen Brot zurückgelaufen wäre.

      „Natürlich, ich bin gleich wieder da. Schließt die Türe hinter mir.“

      Lori ging ihm bis dorthin nach, dann wandte sie sich um.

      „Was ist geschehen? Wer ist dieser Mann?“

      Ich erklärte ihr in kurzen Sätzen mein Erlebtes in dem weiß getünchten Haus unweit von hier. Ich kauerte neben Adam auf dem Boden und machte regelmäßige Pulskontrolle. Ab und zu entfuhr ihm ein unterdrücktes Stöhnen, was mein Gewissen auch nicht ruhiger werden ließ. Außerdem zuckte er manchmal, gelegentlich wurde er von einem Schütteln erfasst.