Nicole Siecke

Ungewisse Vergangenheit


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      Wir hörten seine Stimme laut in der Hütte. Kiefer und Lori, schoss es mir durch den Kopf. Er hat sie erwischt!

      Auch Adam begriff diese Situation in Sekunden. Sein Onkel war alles andere, als zum Scherzen aufgelegt.

      „Sagt ihm, er soll hereinkommen. Er wird Euch nichts tun, solange er mich nicht gesehen hat!“

      Ich hoffte, dass Adam Recht behielt und als ich langsam nach draußen ging, fing ich nach wenigen Schritten direkt seinen Blick auf. Und ich sah noch mehr. Kiefer und Lori standen unweit von ihm mit vorgehaltenem Gewehr im Rücken. Mir war klar, dass Murray sich überfordert gefühlt haben musste, nachdem sein Neffe und auch noch ich, die damit wohl unmittelbar zusammenhing, verschwunden waren.

      Ich richtete ihm Adams Worte aus, woraufhin er mich am Ellenbogen hart zu sich herumriss, um mich als neue Geisel zu nötigen. Er konnte unmöglich wissen, dass außer seinem Neffen keiner mehr in der Hütte war.

      Innen angekommen, stieß er mich zur Seite, um augenblicklich nach Adam zu sehen. Natürlich bot er einen eher erbärmlichen Anblick, so verletzt auf dem Boden liegend.

      „Was hat man mit dir gemacht?“

      Seine Stimme dröhnte durch die kleine Hütte. Fast hasserfüllt sah er von ihm ab in meine Richtung.

      „Ich hatte einen Unfall. Rose hat mir das Leben gerettet. Bis jetzt war ich noch nicht transportfähig!“

      Ich glaubte, mich verhört zu haben. Murray musste seinem Neffen glauben, es blieb ihm nichts anderes übrig.

      Adam sah mich nicht an, obwohl ich seinen Blickkontakt suchte. Ich atmete tief ein, um die Kreise vor meinen Augen zu vertreiben. Er hatte uns mit diesem einen Satz das Leben gerettet.

      Murray sah wieder zu mir.

      „Ich weiß nicht, warum Euch mein Neffe schützt!“

      Er war zwischen Adam und mir hin und her gerissen, aber sein Gesichtsausdruck schien entschlossen.

      „Ihr würdet genauso wenig wie ich annehmen, dass er mit einer wie Euch durchbrennen wollte, oder?“

      Murray war sehr scharfsinnig.

      „Ich nehme eher an, dass er Euch beim Stehlen erwischt hat, denn er nimmt selten Decken und Vorräte nachts mit, um Spaziergänge zu machen!“

      „Murray, hör auf. Es war ein Unfall, ein Missverständnis!“

      Adam hatte Schweißperlen auf der Stirn stehen, als er erneut versuchte, gegen seinen Onkel anzugehen.

      „Und wer sind die anderen beiden?!“ Sein Blick traf mich abweisend.

      Langsam wurde es mir doch zu bunt. In Anbetracht der Tatsache, dass Adam schwer verletzt war, hatten wir keine Zeit mehr, um lange diskutieren zu wollen! Ich machte mir ernsthaft Sorgen um ihn, zumal ich wahrhaftig nicht ganz unschuldig an seiner Situation war.

      „Verdammt, Ihr solltet an Euren Neffen denken und nicht die wertvolle Zeit mit Vermutungen vertun! Es geht ihm schlecht, meiner Meinung nach braucht er jetzt dringend ein Bett unterm Hintern und absolute Ruhe!“

      Ich wollte noch etwas anhängen, mein Zorn war so groß, dass ich ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte.

      Sein Gesichtsausdruck änderte sich ihn wenigen Sekunden. Er sah mir meinen unterdrückten Zorn an und lächelte plötzlich, eine Reaktion, auf die ich wahrhaftig nicht gefasst gewesen war!

      „Ihr seid ein ziemlich herrisches Frauenzimmer. Könnt Ihr mir vielleicht auch sagen, wie ich Adam nach Hause bringen soll, wenn er so schwer verletzt ist, he?“

      Meine Gedanken überschlugen sich.

      „Ich biete gerne meine Hilfe an, schließlich habe ich ihn schon einmal getragen, außerdem wäre da noch mein männlicher Begleiter, den Ihr eben noch unter Beschuss gehalten habt!“

      Er musterte mich wie ein listiges Wiesel, während Kiefer und Lori wenig später eher zögerlich in der Hütte erschienen und jede Menge Licht wegnahmen, als sie mitten im Türrahmen standen. Ich wusste, dass er seinen Posten da draußen eher unfreiwillig aufgegeben hatte, aber er konnte sich sicher sein, dass die beiden keinen Fluchtversuch unternehmen würden, da ich noch in der Hütte war.

      Murray beachtete mich auch gar nicht mehr weiter. Er war viel zu sehr mit seinem Neffen beschäftigt.

      „Wir bauen eine Trage, die wir hinter uns herziehen können.“

      „Seid Ihr verrückt geworden?“

      Kiefer und Lori waren ebenfalls nähergekommen.

      Meine laute Stimme hatte ihn tatsächlich erschreckt.

      „Er könnte ein Schädelhirntrauma haben... ich meine, die Kopfverletzung ist ziemlich stark, wir sollten ihn nicht über den Boden ziehen und somit den Unebenheiten des Untergrundes aussetzen!“

      Murrays Blick kreuzte den meinen. Er wusste, dass es eine Sache war, die durchdacht sein musste. Ich sah ihm an, dass er damit Probleme hatte, einer Frau nach der Nase zu tanzen, deshalb redete ich sofort selbstbewusst weiter: „Hier“, ich griff nach der einen Decke, „damit müsste es gehen.“

      Kiefer hatte schneller begriffen als er, denn er assistierte mir perfekt, ohne ein Wort dabei zu verlieren. Nach zwei Minuten hatten wir wie letzte Nacht schon eine provisorische Trage konstruiert, die ihres gleichen suchte. Murray konnte nicht wissen, dass wir über Erste Hilfe-Maßnahmen besser Bescheid wussten!

      Vorsichtig luden wir Adam auf die Liege um und setzten uns augenblicklich in Gang. Es war wohl Kiefer genauso wie mir ein Bedürfnis, diesen weiten Gang zu machen.

      Unser Patient bekam von all dem kaum etwas mit. Wir wechselten nach einem viertelstündigen Fußmarsch ab.

      „Ich hätte Euch direkt an Ort und Stelle erschießen sollen mitsamt Euren Begleitern.“

      Murrays Satz drang, obwohl er leise sprach, bis an mein Ohr.

      „Weshalb habt Ihr es dann nicht getan?“

      Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich sein Murren noch verstanden hatte und sah überrascht auf.

      Ich konnte mich irren, aber war es tatsächlich Röte, die ihm ins Gesicht geschossen war? Natürlich blieb er mir eine Antwort schuldig und so liefen wir schweigend nebeneinander her. Bei unserem Fußmarsch bemerkte ich, dass Lori keine Schuhe mehr trug. Entsetzen darüber überkam mich, da ihre Fußsohlen ziemlich in Mitleidenschaft gezogen sein mussten. Sie hatte keinen Ton darüber verloren, wusste der Himmel, wo sie in der kurzen Zeit ihre Turnschuhe hatte verschwinden lassen, die wohl einiges über unser Dasein verraten hätten!

      Ich musste irgendetwas tun. Wir konnten unmöglich wie bisher weiter machen. Wir waren nun mal von Menschen wie Murray abhängig, wir mussten um seine Gunst buhlen, ob es uns gefiel oder nicht.

      Kurz bevor wir das Haus erreichten, sprach ich ihn deshalb an.

      „Mir wäre sehr daran gelegen, wenn ich mich für all die Umstände erkenntlich zeigen könnte. Ich würde gerne Sitzwachen bei Adam übernehmen. Natürlich möchte ich Eure Gastfreundlichkeit nicht überstrapazieren. Uns wäre schon geholfen, wenn wir Eure Hütte als vorübergehende Unterbringung nutzen dürften.“

      „Ich habe Euch schon beim ersten Mal nicht vertraut!“, blaffte er anstelle einer Antwort.

      Ich schluckte den Kommentar, der mir auf der Zunge lag, herunter.

      „Ich bitte Euch.“

      Murray wandte sich ab. Auch an ihm hatte der schwere Fußmarsch Spuren hinterlassen. Obwohl er es gewohnt sein musste, schwere Säcke zu tragen, so bildete der bewusstlose Adam sicher eine Ausnahme.

      Betty und Diana kamen plötzlich auf uns zu geeilt wie zwei aufgebrachte Hühner. Besorgnis machte sich in ihren Gesichtern breit, als sie unseren Patienten erkennen konnten. Fragen stellten sie jedoch nicht. Es sah ganz so aus, als ob Murray das Privileg des Erklärens vorbehalten war.

      Amber