Nicole Siecke

Ungewisse Vergangenheit


Скачать книгу

      „Wird das genauso schmerzen?“

      Kiefer sprach ganz in Loris Sinne, der immer noch das Atmen schwerfiel.

      „Nein, sie enthält Kräuter, die den Schmutz herausziehen.“

      Ich folgte ihren Anweisungen, nachdem sie ihre Paste aufgetragen hatte, ganz genau. Loris Unterschenkel zitterten leicht. Das Fleisch ihrer Fußsohlen schien lebendig geworden zu sein! Bei dem Anblick wurde mir unwillkürlich übel und somit auch bewusst, wie wenig ich mich für eine Krankenschwester geeignet hätte.

      Betty und Diana schienen genauso wie Amber härter im Nehmen zu sein, denn sie waren zu der normalen Tagesordnung übergegangen.

      „Bringt sie nun nach nebenan! Das Bett kennt Ihr ja bereits!“

      Kiefer trug sie wieder vor sich her und folgte der Hausherrin in das Zimmer der beiden Mädchen. Lori ließ alles stillschweigend mit sich geschehen. Vermutlich war sie froh, nun ganz in Ruhe gelassen zu werden.

      Ich stand unschlüssig im Raum, den Rest der Binden in der Hand und fühlte mich, wie man sich wahrscheinlich nach einer Hausgeburt fühlen musste. Ich hatte nicht die Gelegenheit, weitere Gedanken sammeln zu können, denn urplötzlich starrte ich Adam ins Gesicht. Er musste mich schon eine Weile stumm beobachtet haben, und gerade als ich ihm Protest über sein Aufstehen entgegenbringen wollte, hob auch er zum Sprechen an.

      „Was war das für ein markerschütternder Schrei?“

      „Man hat Lori, meine Begleiterin, versorgt. Sie... sie hat ihre Schuhe...“ Was sollte ich ihm antworten? Ich war viel zu perplex über sein Erscheinen und nicht in der Lage, seiner Frage gerecht zu werden. Die Vorwürfe, die ich ihm eigentlich nahebringen wollte, übernahm schließlich Amber, die mit Kiefer aus dem Zimmer zurückkehrte.

      „Du solltest liegen! Wundere dich nicht, wenn dir der Schädel platzt!“

      Tatsächlich führte er seine Hand Richtung Kopf. Er sah immer noch blass aus, aber nur noch halb so desorientiert. Er steuerte auf einen der Stühle zu, den ich im letzten Moment für ihn zurückziehen konnte.

      „Herrgott, noch so ein Schlag und ich hätte es hinter mir.“

      „So einfach machen wir es dir nicht, mein Sohn!“

      Ambers Einwand klang härter, als er gemeint war. Dann blickte sie mich herausfordernd an.

      „Da fast alle Beteiligten anwesend sind, würde ich gerne mal erfahren, was da draußen in der Nacht vorgefallen ist!“

      Ich schluckte. Es war ihr Recht, es zu erfahren. Nur was? Was konnten wir ihr erzählen? Jeder von uns kannte nur einen Teil der Realität, jeder von uns würde etwas anderes erzählen können.

      Noch bevor ich reagieren konnte, hörte ich Adams Variante zu.

      „Rose ... Rose ging nach draußen, um …“, er sah mich an, „um frische Luft zu atmen, nehme ich an. Da ich immer sehr skeptisch Fremden gegenüber bin, lief ich ihr nach und stolperte über einen Stein. Es war dunkel, meine Erinnerung ist nicht mehr die Beste. Ich nehme an, sie hat zwei Decken geholt, um mich vor Kälte zu schützen, und als ich erwachte, war dieser ...“, er sah gespielt lässig in Kiefers Richtung, “dieser junge Herr bei ihr.“

      Ich konnte nur erahnen, welche Überwindungskraft ihn diese Lüge kosten musste und dennoch wusste ich nicht, weshalb er dies bereit war zu tun.

      „Weshalb habt Ihr nicht hier im Haus Bescheid gegeben, Rose?“

      Amber hatte sich neben ihren Sohn gesetzt und ihm eine Tasse übelriechender Flüssigkeit zugeschoben.

      „Weil wir befürchteten, man verdächtigte uns später des Diebstahls oder gar Schlimmerem!“

      Kiefer hatte sich dazwischengedrängt und damit war es das Erste, was keiner Lüge entsprach. Er hielt es wohl für besser, wenigstens einen Teil der Wahrheit ans Licht zu bringen. Er stand hinter mir und legte mir die Hände auf die Schultern. Ich spürte diesen Druck, der auch noch etwas anderes auszusagen vermochte. Nämlich das, dass ich ihn reden lassen sollte, und ich war froh über seine verbal angebotene Hilfe und hoffte, dass niemand von den anderen beiden diese stumme Absprache bemerken würde.

      Noch bevor Amber weitere Fragen stellen konnte, sprach er unaufgefordert weiter.

      „Wir sind von Boston. (Was in der Tat nicht gelogen war). Wir waren unterwegs, um einen Gelehrten namens Vibelle zu suchen. Er hat uns in fast mittellose Umstände getrieben durch eine Dummheit seitens unserer. (Auch hier war er ziemlich treffend bei der Wahrheit geblieben!) Ich kann und möchte nicht weiter darüber sprechen, aber es ist unser dringlichster Wunsch, diesen Gelehrten so schnell wie möglich zu finden.“

      Ich spürte, wie er seine Hände von meiner Schulter nahm, um anschließend in der Küche auf und ab zu gehen.

      „Wir waren also unterwegs, als man uns aus dem Hinterhalt überfiel, wir nehmen an Vibelles Gefolgsleute. Sie raubten uns aus und schlugen Rose dabei nieder, deshalb auch ihre vorübergehende Amnesie. Lori und mich nahmen sie mit, um uns dann schließlich in irgendeinem tiefen Wald auszusetzen. Rose war durch den Schlag schon bewusstlos, sie wollten sich nicht die Mühe machen, sie auch noch zu transportieren. Sie hielten es für das Beste, uns zu trennen.“

      Er stoppte plötzlich, wie mir schien eine Künstlerpause, dann, nachdem er neuen Atem geschöpft hatte, redete er weiter.

      „Ich weiß nicht, ob wir ihn finden können, aber bis dahin sind wir absolut jedem hilflos ausgeliefert, den wir antreffen“.

      Ich lehnte mich entspannter nach hinten an die Stuhllehne. Solch künstlerisches Talent hatte ich Kiefer wirklich nicht zugetraut. Ich war unendlich dankbar, da er mir beim Sprechen zuvorgekommen war und uns alle somit vor größerem Schaden bewahrt hatte.

      Amber schien ihm diese Geschichte tatsächlich abzunehmen, was Adam anbetraf, konnte ich gar nichts sagen. Er saß stumm wie ein Fisch auf seinem Stuhl, den Kopf immer noch gestützt.

      Ich war froh, dass er mich in diesem Moment nicht ansah, denn ich befürchtete, dass er meine Gesichtsröte sofort bemerken würde.

      Amber rührte sich.

      “Uns jedenfalls seid Ihr nicht ausgeliefert. Begreift das endlich. Sobald Eure Begleiterin wieder laufen kann, werden wir Euch weiterhelfen. Bis dahin seid Ihr unsere Gäste.“

      Ihr Gesagtes stand und mir fiel ein Stein vom Herzen. Gedankenverloren biss ich mir auf meine Unterlippe. Unvermittelt schmeckte ich Blut. War ich tatsächlich doch so angespannt?

      „Ich habe von diesem Vibelle gehört!“

      Adams Satz traf uns beide wie ein Keulenschlag mitten ins Gesicht. Ich glaubte, mich nicht verhört zu haben, denn Kiefer starrte mich genauso dümmlich an wie ich ihn.

      „Wo, wann habt Ihr von ihm gehört?“

      Sein Tonfall klang heller als sonst, vielleicht vor bitterer Erregung.

      Der Angesprochene lehnte sich schwerfällig nach hinten.

      Er sah Kiefer genau an, bevor er ihm antwortete und ich meinte, den Grund dafür zu kennen. Er dachte immer noch an den Schlag, den Kiefer ihm versetzt hatte.

      „Auf dem Markt, den wir besuchten, ist er gewesen. Er ist mir aufgefallen, weil er über Dinge sprach, die niemanden außer ihm zu interessieren schienen. Ketzerische Dinge. Es war im Saloon.“

      Plötzlich hielt er inne. Sein und mein Blick fingen sich gegenseitig auf. In ihm schien eine Wandlung vorzugehen, die nur mir aufzufallen gedacht war.

      Ich erhob mich voller Entschlossenheit.

      „Kiefer, wir müssen ihn finden!“, meine Stimme überschlug sich.

      Ich war nun nicht mehr auf Vertuschung bedacht. Mir war in diesem Moment leider alles egal, vermutlich brauchte ich so jemanden wie Kiefer, der mir immer wieder auf den richtigen Weg half.

      Er war nur halb so erregt wie ich.

      „Wir