Dennis Herzog

Kinderspiel


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seltsam fremdartig vor. Ihre Frage blieb unbeantwortet. Es gab nur sie und die Einsamkeit an diesem Ort. Ein Ort der ihr über viele Jahre so vertraut war, doch nun so fremd wirkte, als sei sie in eine andere Dimension über gewechselt.

      Kurz sah sie sich ratlos um, dann begann sie das gesamte Haus zu durchlaufen. Fand in jedem Raum das gleiche schaurige Nichts vor.

      Dies war nicht das Gebäude in dem sie lebte, es war eine Kopie, eine unbewohnte, falsche Version ihres Hauses.

      Ihre Verwirrung nahm von Sekunde zu Sekunde stärkere Gestalt an. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander, wie Guppys in einem übervölkerten Aquarium.

      Zuletzt trat sie heraus in den kleinen, hellen Wintergarten. Dieser Anbau, die letzte große Ausgabe, die Andreas zu Lebzeiten getätigt hatte, war ihr liebster Zufluchtsort.

      Dort wo sie gerne saß, ihre Abende verbrachte, oder einfach nach erledigter Hausarbeit, bei einem oder mehreren Gläsern Wein einen Roman las, blieb sie abermals stehen. Hier brach sie ihre angsterfüllte „Hausbesichtigung“ ab.

      Sie schaute hinaus auf den großen, mittlerweile wild bewachsenen Garten.

      Hier sah eigentlich Alles völlig normal aus. Dennoch nagte an ihr ein eindringliches Gefühl, das ihr mit stetig wachsendem Nachdruck zuflüsterte, es könne nicht wirklich sein was sie sah. Was im Haus passiert sein musste war schlichtweg unmöglich.

      Bevor sie in der Lage war, eingehender darüber zu grübeln wie das alles hier zustande kommen konnte; was hier eigentlich los war; was sie am Anblick des Gartens störte, bemerkte sie etwas neues.

      Ihr Lieblingsplatz war nicht völlig der Realität entflohen. Etwas war anders als im Rest des Hauses. Sie blickte durch die grobmaschigen Vorhänge, die halb heruntergelassen, einen Teil der Bodentiefen Panoramafenster bedeckten.

      Die kurze, gelbe Couch stand noch an ihrem Platz. Ebenso die ordentlich arrangierten Blumenkästen mit kleinen Akazien und verschiedenen Geranien-arten, die sie liebevoll zu pflegen wusste, da ihr Anblick ihr mehr als vieles Andere Trost zu spenden vermochte.

      Jedoch jagte ihr ein neuer Schrecken einen kalten Schauer über den Rücken. Sofort zuckte sie zusammen, als sie den Blick zur Couch wandte.

      Sie musste sich die Hände auf den Mund pressen, um den Schrei zu unterdrücken, der in ihrer Kehle hochstieg. Dass sich hier, im einzigen Raum des Hauses, der augenscheinlich „normal“ geblieben war, auf dem gelben Stoff des einzigen verbliebenen Möbelstückes im ganzen Gebäude eine Person befand, damit rechnete sie in der Stille und der absoluten Leere, die überall vorherrschte, am wenigsten. Offensichtlich war es eine Frau, die mit dem Gesicht zur Rückenlehne, mit dem Rücken zu ihr, dort lag. Schulterlange, braune Haare. Anscheinend schlief sie.

      Am unerklärlichsten war der Umstand, dass die Frau das gleiche kurze Sommerkleid trug, wie sie selbst. Genauer gesagt musste das gar exakt das selbe Kleid sein. Das beruhigende Blumenmuster auf blauem Grund, eine breite Kordel aus geflochtener Seide, anstelle eines Gürtels an der Hüfte. Der untrügliche Beweis dafür, dass tatsächlich jemand vor ihr lag, der ihr Gewand trug, entlockte ihr ein kurzes wehleidiges Stöhnen. Sie hatte sich am Vortag, auf eben dieser Couch, mit Wein bekleckst und sah nun eben diesen, mittlerweile eingetrockneten, rostbraunen, Fleck auf dem Stoff des Kleides der ihr vermeintlich fremden Person.

      Unvermittelt, einer bösen Ahnung folgend, sah sie an sich herunter und musste entsetzt feststellen, dass sie selbst nackt hier stand.

      Hatte sie das Haus erkundet, ohne Kleidung zu tragen? War sie eben noch angezogen gewesen und die Veränderung war erst vor Sekunden eingetreten, wie das Verschwinden der Küche mit einem Blinzeln?

      Sie trug nicht einmal Schuhe! Dabei hätte sie schwören können, beim Durchqueren der Räume den Widerhall ihrer besohlten Schuhe deutlich gehört zu haben.

      Verwirrung war kein ausreichender Ausdruck mehr, für das was in ihr vorging. Sie fühlte ihren pochenden Herzschlag, meinte ihn gar hören zu können. Sie atmete zu schnell. Gedanken und Gefühle überschlugen sich, rasten durch ihr Bewusstsein, wie Mäuse durch ihren Käfig flitzen, die ohne klares Ziel und doch meist auf der steten Suche nach Futter herumwirbelten. Das Futter, das ihr Verstand nun verzweifelt zu finden suchte, war eine „Erklärung“.

      Es musste doch irgendwie, irgendwo einen Sinn ergeben? Was geschah nur mit ihr?

      Plötzlich vernahm sie ihre eigene Stimme. Sie sprach zu der weiblichen Person auf ihrem Ruheplatz: „Wach auf.“

      „Wach doch bitte auf!“ Wiederholte sie, um einiges lauter und wurde sich bewusst, wie gereizt sie klang.

      Regelrecht zornig schrie sie: „Yasmin! Wach endlich auf!!!“

      Yasmin wachte auf.

      Kapitel 1

      Eins

      Sie öffnete nur widerwillig die Augen. Der Traum klang deutlich langsamer ab, als es ihr lieb war. Sie wusste nicht gleich wo sie sich befand, die Bilder überlagerten einander. Eindrücke, dessen, - was sie jetzt im beinahe Wachzustand sah, - und was sie zuvor im Traum erlebt hatte, vermischten sich. Ihre Atmung war flach, noch immer etwas zu schnell.

      Langsam zwängte sich ihr bewusster Verstand in den Vordergrund, schob damit die Orientierungslosigkeit beiseite und gelangte endlich erfolgreich zur Klarheit.

      Auf der kleinen Couch im Wintergarten war sie eingeschlafen. Sie lag im Moment ihres Erwachens genau so da, wie sie sich selbst im Traum gesehen hatte. Bekleidet mit dem Wein befleckten Sommerkleid, das Gesicht zur Lehne gewandt. Nur hatte sie im Traum bis zuletzt nicht wirklich begreifen wollen, dass es keine Fremde war, die sie dort gesehen hatte. Ihre hagere Figur, das feine braune Haar, selbst die Art wie die Traumversion ihrer Selbst hier gelegen hatte, hätten ihr diese Schlussfolgerung offenbaren sollen.

      Doch Träume folgten bekanntlich stets eigenen Regeln.

      Ein beklemmendes Gefühl, ein widerlicher kleiner Teil ihres Verstandes wollte darauf beharren, sie wäre noch immer nicht erwacht. Die Frau die sie gesehen hatte, hätte bloß mit ihr den Platz getauscht und starre nun in ihrem Rücken auf sie herab. Beinahe bildete sie sich ein, sie spüre den ratlosen Blick auf sich ruhen.

      Doch als sie langsam den Kopf zum Fenster drehte, war dort niemand.

      Lange konnte sie nicht geschlafen haben. Der strahlend schöne Vormittag war kaum voran geschritten, und nun blendeten sie die einfallenden Sonnenstrahlen.

      Einige Minuten lang blieb Yasmin noch liegen, ordnete ihre Gedanken, schüttelte den Traum weitestgehend ab und schaute, nachdem sich ihre Augen an die abrupte Helligkeit gewöhnt hatten, einfach hinaus in den grünen Garten.

      Jeder Busch, jeder Baum war eine wahre Wohltat für ihre Augen.

      Über dem kleinen Teich konnte sie sogar einige Libellen ausmachen, die geschwind ihre Kreise zogen. Sie mochte die seltenen, violetten Insekten, deren Körper metallisch in der Sonne glitzerten.

      Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. Eine Mimik, die nicht mehr oft vorkam.

      Yasmin erfreute sich nur noch sehr selten an irgendetwas in der heutigen Zeit.

      Sogleich fiel ihr allzu deutlich auf, wie wenig Pflege dem Rasen und allen Pflanzen im großen Bereich hinter dem Haus, in den letzten Monaten zuteil geworden war.

      Monate? - So lange war es noch nicht einmal her, da hatte es noch den geliebten Partner an ihrer Seite gegeben. Schmerzlich presste die Erinnerung ihre Brust zusammen. Eine Erinnerung an bessere Zeiten, an ihn. An den Mann, in dessen Armen sie hier Stunde um Stunde hatte verbringen dürfen, als es ihn noch gab.

      Es