Dennis Herzog

Kinderspiel


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am Boden.

      Zwei weitere Personen fanden ihren Weg zurück in den Raum, beides Erzieherinnen.

      Im Moment schenkten sie weder ihrer vermutlich Vorgesetzten, noch Yasmin jegliche Beachtung. Die augenscheinlich ältere der Beiden, blieb nur wenige Schritte von Erik entfernt stehen und ließ nun den regungslos dasitzenden Jungen nicht aus den Augen.

      So argwöhnisch betrachtete sie ihn, als befürchtete sie, er könne jeden Augenblick aufspringen und eine weitere grausame Bluttat begehen. Ihr Gesicht war von Yasmins Position aus nur seitlich zu erkennen, doch die frauliche Gestalt und eine ordentliche Frisur, ließen darauf schließen, dass sie keine Auszubildende mehr war und etwa Ende Zwanzig sein musste.

      Die Zweite war hingegen ganz offensichtlich erst kurze Zeit dort und nicht sonderlich bewandert in ihrem Job; sie hatte es bislang nicht geschafft ihrer Emotionen Herr zu werden. Sie blieb zitternd und weinend im Türrahmen stehen und betrachtete fortwährend Junge und Notarzt.

      Immer wieder schüttelte die kleine Rothaarige den Kopf und murmelte leise unverständliche Worte.

      Yasmin vermutete, dass die Teenagerin entweder stille Gebete anstimmte, oder sich gerade selbst zu überzeugen versuchte, dass sie dieses Praktikum, oder diese Ausbildung weiterführen könne, ohne daran zu Grunde zu gehen.

      Frau Larkin war nun anscheinend zu der Überzeugung gelangt endlich aufklären zu müssen, was denn eigentlich vorgefallen war. Yasmin hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch immer kein einziges Wort gesprochen. Sie musste den Anwesenden recht schüchtern vorkommen, was eigentlich ja auch meist zutraf. Auch als sie jetzt der Schichtleiterin zuhörte brachte sie keinen Ton hervor, schaffte es nur mit einiger Mühe nicht unentwegt zu Erik, oder dem verletzten Jungen zu blicken, der offensichtlich eingeschlafen war. Demnach hatte der Notarzt wohl ein Sedativum verabreicht.

      Sie gab lediglich der lächelnden Frau mit einem gelegentlichen Kopfnicken zu verstehen, dass sie ihr zuhörte, als diese berichtete:

      „Erik und Matthias, so heißt der arme, kleine Wurm, hatten gerade eine Gruppenarbeit, als spielerische Aufgabe zu bewältigen. Die beiden, also Matthias“, dabei deutete sie mit einer Hand auf den verletzten Jungen, „haben zusammen mit Marie, ein Mädchen aus unserer gemischten Gruppe, ein Team gebildet. Wir losen so Etwas aus.“

      Die Dame nahm ihren Beruf ernst und schien Yasmin so etwas wie einen kleinen Überblick über die Strukturen der Einrichtung vermitteln zu wollen, ehe sie auf den Punkt kam.

      „Wie bei den anderen Gruppen, galt es gemeinsam ein Bild zu malen, auf einem großen Stück Pappe.“ Sie deutete mit dem Finger auf ein solches, das direkt links von ihnen auf einem der winzigen Tische lag. Darauf war mit viel Phantasie so etwas wie ein halbfertiges Flugzeug zu erkennen.

      „Nun, der Wesentliche Teil der Aufgabe bestand darin, dass die Kinder sich ein Thema, beziehungsweise ein Motiv in Zusammenarbeit überlegen und es dann gemeinsam umsetzen sollten.“

      Die jedes mal deutliche Betonung der Worte „Gemeinsam“ und „Zusammen“ ließen keinen Zweifel an dem klar gewünschten Ziel dieses Kindergartens: Es ging definitiv um soziales Miteinander, um den zwischenmenschlichen Umgang, der den Knirpsen möglichst früh vermittelt werden sollte.

      „Ich kann nicht sagen, warum es zwischen den Dreien plötzlich zum Streit kam, wir Drei,“ damit umschrieb sie sich und die beiden anderen im Raum befindlichen Mitarbeiterinnen, „waren bei anderen Gruppen, an anderen Tischen, als Marie plötzlich aufschrie.“

      Obgleich sie die Auseinandersetzung nicht hatte voraussagen können, noch die Möglichkeit gehabt hatte, zu verhindern was geschehen war, machte Frau Larkin den Eindruck, als wolle sie sich jetzt für die Geschehnisse rechtfertigen und fühle sich indirekt schuldig.

      Yasmin war sich später sicher, dass trotz Allem keine der Erzieherinnen eine Schuld traf. Niemand hätte das Unglück verhindern können, dafür war alles viel zu schnell gegangen.

      Ein Eingreifen wäre vermutlich nicht einmal möglich gewesen, hätte eine von ihnen direkt mit den Kindern am Tisch gesessen.

      Während die mittlerweile eingetroffenen Rettungssanitäter Matthias mittels einer Trage zum Krankenwagen brachten und mit Notarzt und Frau Larkin noch einige Worte wechselten, hatte die ältere der beiden anderen Frauen das Wort an Yasmin gerichtet. Ihr Name war Claudia, er prangte in fetten Druckbuchstaben auf einem Aufkleber vor auf ihrer blass-blauen Bluse, die die gewaltigen Brüste im Zaum hielt.

      Sie führte an, sie habe sich am Nachbartisch befunden, um dort den drei Mädchen im Team einige Tipps zu geben.

      Dann erzählte sie:

      „Als ich neben mir den Ausdruck Arschloch hörte, und erkannte dass es Matthias gewesen war, der dieses Schimpfwort ausgesprochen hatte, drehte ich mich um, damit ich eine entsprechende Rüge erteilen konnte.“

      Die anscheinend recht strenge Erzieherin hatte sich nach eigenen Worten den Dreien zugewandt, und da passierte es bereits.

      „Ob Erik etwas erwidert hatte, still geblieben, oder seinerseits zuvor etwas Beleidigendes gesagt oder getan hatte, war nicht mehr nachvollziehbar.“

      Führte sie weiter aus. „Ich konnte nur noch zusehen, wie es Erik gelang, in Sekundenschnelle einen der herumliegenden Malstifte zu greifen. Er holte kaum aus, schwang sofort den angespitzten Stift in Richtung von Matthias.“

      Die Reaktion, so erzählte sie weiter, des attackierten Jungen war leider das genaue Gegenteil dessen was ihn vermutlich gerettet hätte:

      „Anstatt die Hände zur Deckung zu heben, zurückzuweichen, oder sich zu ducken, hatte Matthias versucht seinerseits zuzuschlagen. Allerdings mit leeren Händen. Da er sich dabei Erik sozusagen noch entgegen beugte, hat er sich dem Stift nur noch mehr genähert.“

      Der Schlag des kleinen Jungen ging ins Leere, Erik war schneller gewesen. Da Matthias sein Gesicht direkt dem sich nahenden Malstift entgegen gedreht hatte, blieb im nicht die geringste Chance dem Folgenden zu entgehen.

      „Was für eine schreckliche Eskalation? Eine Beleidigung, ein normalerweise harmloser Streit unter Kindern.“ Sagte Claudia und rang jetzt sichtlich um Fassung. Sie musste eine lange Pause machen, in der sie abwechselnd, den unverändert dasitzenden Erik, und die zu ihnen zurück kehrende Schichtleiterin ansah. Dann beendete sie die Geschichte:

      „Als Marie schrie, steckte der Stift, noch immer gehalten von Erik rechter Hand, im linken Auge von Matthias. Von Schock und Schmerz überwältigt war das Kind zusammengebrochen.

       Er rutschte seitlich vom Stuhl. Der Malstift, fest in der Hand ihres Sohnes wurde aus der Augenhöhle des Jungen gerissen.“

      In Yasmins Phantasie stellte sie sich die Szene grotesker Weise mit einem deutlich vernehmbaren Geräusch vor, das dem genüsslichen Schlürfen eines Cocktails sehr nahe kam. Sie bemühte sich diesen ekelerregenden Gedanken sofort zu verscheuchen.

      Die Frau führte noch weitere Details aus und beschrieb, wie sie und ihre jüngere Kollegin zu den Kindern gestürzt waren und Erik hatten „entwaffnen“ müssen. Sie hatten sofort versucht den stark blutenden Jungen zu stabilisieren, waren aber beide außerstande gewesen, sich im notwendigen Maße korrekt zu verhalten, bis Frau Larkin sie sanft zur Seite gedrückt hatte.

      Diese bewahrte anscheinend auch in den entsetzlichsten Situationen einen kühlen Kopf und hatte umgehend veranlasst, Yasmin anzurufen, die Eltern von Matthias, sowie den Notarzt zu verständigen. Sie hatte entschieden die anderen Kinder, mit Ausnahme von Erik, aus dem Raum zu befördern. Diese Aktion war noch im Gange gewesen, als Yasmin eintraf, anscheinend waren viele der anderen Kinder erst gewillt gewesen zu gehen, als sie „Erik Mama“ gesehen hatten.

      Die Erzählung der Erzieherin endete damit, dass