Dennis Herzog

Kinderspiel


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Erzieherinnen der Kindergartens, dafür, dass sie sie sofort geholt hatten. Nie gelang es ihr das Erlebte und die schrecklichen Bilder ganz abzuschütteln, die sie im Kindergarten hatte erleben müssen.

      Erik war ihr eine geraume Zeit über, sogar unheimlich gewesen. An manchen Tagen, wenn Andreas später von der Arbeit heimkehrte, hatte sie sich dabei ertappt, den Kleinen übertrieben genau zu beobachten. Dabei kam es nicht selten vor, dass sie sich einbildete, er habe etwas Aggressives im Blick. Er übermittelte ihr oft das Gefühl, irgendetwas Eigenartiges und möglicherweise Boshaftes im Schilde zu führen.

      Sie schämte sich jedes mal für ihre abnormalen Gedanken. Dass ihre Fantasie in ihrem Kind, das sie einfach nur lieben sollte, manches mal eine Bedrohung sah, brachte sie häufig dazu sich selbst zu verabscheuen.

      Der vorlaute Junge war ihr gegenüber sehr offen und frech, was sich leicht als feindselig auslegen ließ, als hätte er etwas Böses zu verbergen. Seine Art unterschied sich so grundlegend von dem Verhalten seiner älteren Schwester, wie ein Wolf einem Kaninchen ähnelte. Dennoch war es ihr Sohn, er konnte nicht „böse“ sein. Das waren irrationale Gedanken. Und doch waren es Gedanken, die sich immer und immer wieder in ihren Kopf schlichen, wie ein Einbrecher des Nachts in das Haus reicher Leute.

      Rebecca war immer still, nicht wirklich introvertiert, nur einfach ein wirklich braves Mädchen. Ein nettes Mädchen. Besonders stolz machte es Yasmin, zu sehen, dass die heute Fünfzehnjährige sich zu einer wirklich hübschen jungen Frau entwickelte. Das hieß natürlich auch, sie schlug mehr nach ihrem Vater. Das pubertierende Mädchen war schon heute gute fünf Zentimeter größer als ihre Mutter, schlank und sportlich gebaut, ohne jemals viel dafür tun zu müssen.

      Manchmal kam sie nach Hause und zeigte Yasmin, mehr beschämt als erfreut, einen Liebesbrief von einem Mitschüler. Harmlose Schwärmereien zwar, aber es bereitete Yasmin Freude, zu sehen, dass ihre Tochter „beliebt“ war.

      Rebecca würde schon bald ihr Interesse am anderen Geschlecht erwacht wissen, war es doch längst an der Zeit. Die vielen Briefchen, manchmal auch Zeichnungen, die sie von den „Anwärtern“ wie sie diese Jungs nannte, bekam, bewahrte sie immerhin bereits sorgfältig auf.

      Yasmin wusste auch, dass ihre Tochter ein Tagebuch hatte, in dem jeder Versuch sie zu umwerben dokumentiert wurde. So was hatten doch alle Mädchen in ihrem Alter. Doch sie ließ ihr ihre Privatsphäre und würde es niemals wagen darin herumzuschnüffeln.

      Sie gehörte keineswegs zu der Art Mütter, die sich wegen so etwas wie diese Flirts in der Schule, um das Wohlergehen ihrer Tochter sorgten. Wenn Rebecca sich mit Jungs treffen wollte, und würde, so war sie sich sicher, hätte sie sich das lange und gründlich überlegt. Sicher würde sie den Betreffenden sogar nach schrecklich peniblen Regeln auswählen.

      Yasmin war heute siebenunddreißig Jahre alt und hatte sich immer vorgenommen, ihren Kindern nie derart Mauern und Schranken zu bauen, mit denen sie während ihrer eigenen Jugend hatte leben müssen. Beide sollten ihre eigenen Erfahrungen machen, selbst wenn sicherlich die eine oder andere davon nicht immer positiv ausfallen würde.

      Ohnehin war Yasmin zu der Überzeugung gelangt, aus negativen Erfahrungen könne man einfach wesentlich eher etwas lernen, denn aus den positiven. Wer einen Fehler macht, macht ihn meist kein zweites Mal; wem immer nur Gutes widerfährt, der wird naiv und gutgläubig.

      Von Rebecca erwartete sie insgeheim nur, dass sie ihr jedenfalls einen „potentiellen Freund“ vorstellen würde, wenn es an der Zeit war.

      Erik hingegen war wirklich kein einfacher Mensch. Er steuerte zusehends darauf zu wieder in Schwierigkeiten zu geraten. Als Andreas von ihnen ging, ihnen genommen wurde, war da Etwas, das auch in Erik starb. Man hatte den Kleinen kaum beruhigen können, als die Beamten die furchtbare Nachricht überbracht hatten.

      Rebecca war zu dem Zeitpunkt nicht Zuhause gewesen, aber Erik hatte bei Yasmin in der Küche gesessen, wo er seine Hausaufgaben machte. Man musste ihn ständig dabei kontrollieren, weil er es sonst schlichtweg bleiben ließ.

      Der immer vorlaute und ebenso neugierige Junge war natürlich beim Klingeln vor Yasmin zur Tür gerannt und hatte, wie beinahe immer, wenn sein Vater nicht zugegen war, warnende Worte seiner Mutter einfach ignoriert. So war es auch andauernd was Bitten oder Forderungen anbelangte. Sei es sein Zimmer in Ordnung bringen, oder vielleicht mal beim Abwasch helfen.

      Dinge die Rebecca oftmals gerne und auch unaufgefordert tat, ignorierte Erik, oder gab biestige Wiederworte.

      Erik hatte zwar die Tür geöffnet, doch Yasmin war binnen zwei Sekunden hinter ihm und schon ihn sanft zur Seite: „Geh bitte wieder in die Küche!“ Sagte sie, und konnte nur schwer ihren säuerlichen Tonfall unterdrücken.

      An jenem Tag hatte die Polizei zwei Uniformierte geschickt, die Yasmin aufgesucht hatten um die schreckliche Kunde zu überbringen, ihr Mann sei mutmaßlich das Opfer eines Verbrechens geworden, man schließe aber auch einen Unfall noch nicht aus.

      Gerade die ungewöhnliche Reihenfolge dieser „Annahmen“ war es, die darauf zu deuten schien, dass Letzteres „nur so dahin gesagt“ wurde, um eventuell zu beruhigen; - das Gegenteil war der Fall.

      „Er ist Tod. Es tut uns leid.“

      Der Junge hatte es sich nicht nehmen lassen, der Aufforderung seiner Mutter, zurück in die Küche zu gehen, nicht Folge zu leisten. Er blieb einfach im Flur hinter ihr stehen und lauschte dabei natürlich dem was die Polizisten sagten.

      Als er mitbekam was passiert war, rastete der, zu der Zeit neunjährige, Knirps total aus. Er war auf die Beamten losgestürmt, schlug einem der überraschten Männer gegen den Bauch, trat dem andern gegen die Beine.

      Erik schrie und spuckte, er wiederholte immerzu: „Nein! Nein! Das ist nicht wahr! Nein! NEIN...!“

      Yasmin war augenblicklich zusammengebrochen. Da die beiden Männer so plötzlich mit dem Jungen zu kämpfen gehabt hatten und erst mal nicht wussten, wie sie den Kleinen bändigen sollten, war es ihnen nicht möglich gewesen Yasmins Sturz, angesichts der nahenden Ohnmacht aufzuhalten oder zu bremsen.

      Sie kippte schräg rechts, nach hinten weg, als ihre Beine sie einfach nicht mehr tragen wollten.

      Ihr Kopf stieß auf das harte Laminat, und sie blieb bewusstlos liegen.

      Zum Zeitpunkt ihres Erwachens lag sie noch immer dort auf dem Fußboden. Es waren die beiden Polizisten und eine weitere Person bei ihr, eine Frau, ebenfalls in Uniform.

      Diese hatte sie gerade, nicht besonders behutsam geweckt, einfach indem sie ihr eine scharf riechende Flüssigkeit in einer kleiner Phiole unter die Nase gehalten hatte.

      Dass Erik sich noch immer wie in Raserei befand und sich weiterhin heftig gegen die Beamten zur Wehr setzte, die ihn mit kräftigem Griff, zwischen sich auf der Couch in Schach hielten, hätte durchaus eine komödiantische Szene abgeliefert, wäre der Grund für die vorherrschende Situation nicht so überaus dramatisch gewesen.

      Kapitel 4

      Vier

      Das Schaben ihres Löffels in der leeren Schale brachte Yasmins Bewusstsein in die Gegenwart zurück. Der Pfannkuchenteig war restlos aufgebraucht. Die weinende Frau hatte einen kleinen Berg der runden Eierspeise auf einen Teller geschichtet und diesen im Backofen deponiert, der auf unterster Stufe heizte.

      Von Alledem hatte sie nicht das Geringste bewusst getan, war nur robotisch ihrer Tätigkeit nachgegangen und hatte dabei in ihrer eigenen Welt der Erinnerungen gelebt.

      Noch etwa zehn Minuten, dann würde Rebecca kommen.

      Mit dem Decken des Tisches hielt sich Yasmin heute nicht auf, ihre Tochter würde sich nachher selbstständig Teller und was sie sonst noch so benötigte