Dennis Herzog

Kinderspiel


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nachhaltig verändert hatte. Dieses Ereignis hatte seine Auswirkungen bis heute erhalten und komplizierte den Umgang mit dem eigenen Sohn noch immer. Es veranlasste sie bisweilen, sich wesentlich mehr Sorgen zu machen, als es Eltern im allgemeinen sowieso schon taten.

      Wieder traten ihr die Tränen hervor, als ihr schmerzlich bewusst wurde, dass auch dieses, in ihren Gedanken konservierte Ereignis, die Trauer um den Verlust des Familienoberhauptes verstärkte. Er war ihr einziger Rückhalt gewesen, besonders in diesem Fall. Der Mann, der in jeder und speziell in jener Krise so sehr geholfen, sich so sehr bemüht hatte, alles wieder ins Lot zu bringen, war nicht mehr!

      Es gab keinen Zweiten, der ihr nun zur Seite stehen konnte. Heute musste sie all den Kummer, den ihr Sohn ihr bereitete, alleine bewältigen.

      Kapitel 2

      Zwei(Juni, vor sieben Jahren)

      Als eine Erzieherin des Kindergartens, am dritten Tag nach Erik Beitritt im Selbigen, anrief und Yasmin mitteilte der Knirps hätte ein anderes Kind mit einem Malstift attackiert, da dachte sie zunächst an einen schlechten Scherz. Was konnte schon Schlimmes dabei gewesen sein? Hatte ihr Junge einen anderen angemalt? Hatten irgendwelche „Weicheieltern“ ein so übertrieben weinerliches Kind in die Kindergartengruppe geschickt, dass ein kleiner Schlag mit einem Stift zum Ausruf des Ausnahmezustandes ausreichte?

      Doch die Anruferin beharrte darauf, sie müsse unverzüglich vor Ort erscheinen.

      Yasmin hatte ihren Sohn nicht einmal eine Stunde zuvor dorthin gebracht. Sie hielt das Ganze auf jeden Fall für eine immense Übertreibung, aber angesichts der Tatsache, dass Erik noch recht neu dort war, machte sie sich auf den Weg.

      Das Bild was sich ihr bot, als sie also der Forderung schlussendlich doch nachgegeben hatte, ohne bisher überhaupt Genaueres erfahren zu haben, darüber was sich im Einzelnen abgespielt hatte, warf sie beinahe um!

      Der Kindergarten St. Marien war nur eine Straße von ihrer damaligen Wohnung entfernt, - keine 400 m Luftlinie. Mit dem Auto einmal um den Block.

      Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass es an jenem Tag erstaunlich warm und sonnig gewesen war.

      Der beinahe wolkenlose blaue Himmel und die frühsommerliche Hitze trieben ihr damals im Auto den Schweiß aus den Poren.

      Sie stieg aus ohne den Wagen zu verschließen, eilte zum großen Tor und betrat den Kindergarten, noch immer in der naiven Annahme, ihr Sprössling müsse lediglich abgeholt werden, weil er sich etwas dickköpfig („wie immer“) verhielt, und somit Schwierigkeiten hatte sich zu etablieren. Also betrat sie recht unbekümmert und selbstsicher den Gruppenraum. „Schlimmstenfalls hat ja Erik ein Kind mit dem Stift beworfen.“ Redete sie sich damals ein.

      Das Vorhandensein eines Notarztes und der Anblick etlicher verängstigter und schluchzender Kinder, machten ihr schnell klar, dass sie sich gewaltig geirrt hatte.

      Der kleine Junge lag am Boden, um seinen Kopf herum eine Blutlache. Daneben der Koffer des Arztes. Der Mann trug zivile Kleidung, er kniete neben dem scheinbar

      reglosen Körper, leicht über ihn gebeugt und versperrte somit Yasmin die Sicht.

      Sie konnte unmöglich Genaueres bezüglich des Zustands des Kindes erkennen.

      Die anderen Kinder wurden erst jetzt nach und nach aus dem Raum geführt, beinahe alle weinten leise und jedes einzelne sah erschrocken aus. Eine Frau versuchte sie mit sanfter Stimme zu beruhigen. All das hatte Yasmin in den wenigen Sekunden wahrgenommen, als sie das große Spielzimmer des Kindergartens betrat. Sie war betroffen und verwundert zugleich. Der Anblick des Blutes hatte ihr den Atem geraubt und sie konnte nur stumm dastehen. Sie bekam es mit der Angst zu tun.

      „Warum bewegt sich der Kleine nicht?“

      Mittlerweile waren außer ihr, dem Arzt und einer Erzieherin, die einige Meter Abstand zu der Szene einhielt, keine weiteren Erwachsenen mehr im Raum. Die einzige n noch anwesenden Personen waren Erik und der bedauernswerte kleine Junge am Boden.

      Erik saß zusammengekauert an einem winzigen Tisch, etwas abseits der Szenerie und blickte irgendwie teilnahmslos in Richtung der Tür, durch die Yasmin zuvor herein gekommen war.

      Er wirkte beinahe katatonisch, schien seine Mutter gar nicht wahrgenommen zu haben.

      Sie wäre am liebsten sofort zu ihrem Sohn hinüber gelaufen, wollte ihn packen, ihn umarmen und küssen. Aber sie wollte ihn auch fragen was um Himmels Willen hier passiert war.

      Statt dessen war sie nach wie vor wie versteinert, rührte sich nicht vom Fleck.

      Ihr Blick richtete sich mühsam weg von Erik, hin zu der Erzieherin, die im Zimmer und bislang stumm geblieben war.

      Sie kam mit diskreter und nichtssagender Miene auf sie zu.

      Die Frau war etwa fünfzig Jahre alt, trug eine riesige Brille, die unter anderen Umständen sicherlich auf Yasmin belustigend gewirkt hätte. Ihre Kleidung bestand aus einem etwas zu männlich wirkenden beigen Hosenanzug, der allerdings ihrer fülligen Figur schmeichelte.

      Yasmin straffte sich, spannte instinktiv den Körper an, da sie fest damit rechnete, dass ihr die sicherlich katholische Sauberfrau nun Probleme bereiten würde.

      Um so mehr war sie damals überrascht gewesen, als die Dame urplötzlich ein wirklich bezauberndes Lächeln aufsetzte, während sie in respektvollem Abstand vor ihr stehen blieb.

      Dabei hatte sie ihren Körper so geschickt zu ihr hin manövriert, dass sie exakt zwischen Yasmin und den am Boden liegenden Jungen zum stehen kam.

      Die Erzieherin überragte Yasmin um einige Zentimeter. Sie streckte ihr freundlich und ein wenig zu förmlich die Hand entgegen, als sich ihre Körper genau auf Armesslänge voneinander entfernt befanden.

      Sie stellte sich mit dem Namen Larkin vor und fügte an: „Ich bin die Leiterin der Frühschicht im St. Marien-Kinderhort. Wir kennen uns noch nicht. Als ihr Sohn vorige Woche zu uns kam, war ich noch im Urlaub.“

      Sowohl der aufrichtige, beinahe liebevolle Gesichtsausdruck, als auch ihre überaus warmherzige Art zu sprechen, veranlassten Yasmin augenblicklich dazu, ihr Gegenüber ins Herz zu schließen. Sie entspannte sich und schämte sich sogar ein wenig ob ihrer Vorurteile und des anfänglichen Misstrauens.

      Beinahe hätte sie vergessen, warum sie eigentlich gekommen war, bis sich nun die nette Frau abwandte und wieder den Blick auf das verletzte Kind, und ihren abseits sitzenden Sohn freigab.

      In der Ferne waren bereits die Sirenen eines Rettungswagen zu hören, als Frau Larkin Yasmin gestattete näher an das verletzte Kind heranzutreten.

      Der Notarzt, ein etwa dreißigjähriger Mann mit asketischen, etwas zu hart wirkenden Gesichtszügen und dunklem Teint, erhob sich und trat einen Schritt zurück.

      Die Erzieherin hatte sich blitzschnell hin gehockt, ergriff sanft die Hand des Jungen und streichelte mit der freien beruhigend seinen Kopf.

      Das sollte ihr Sohn getan haben?

      Um die Stirn des Jungen hatte der Mann einen Druckverband gelegt, der die linke Gesichtshälfte bis über die Wange und das linke Ohr verdeckte. Ein kleiner roter Fleck blühte bereits darauf auf, wie ein kleiner frecher Tinten-Farbklecks auf blütenweißem Papier.

      Eine kleine Menge Blut war auch vorne auf dem T-Shirt des Jungen auszumachen. Das frei liegende Auge war geöffnet, der Junge bei Bewusstsein.

      Aber er wirkte völlig apathisch, weder weinte er, noch ließ sich einwandfrei erkennen ob, oder welche Schmerzen er gerade zu ertragen hatte.

      Yasmin hatte damals richtig geschlussfolgert, dass dieser Zustand auf den vorangegangenen