Jörg Müller

Die Arche der Sonnenkinder


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Outfit ansprachen, sondern, weil die Herren einen richtig ausgepowerten Eindruck machten. Madame Luxuriant führte dies fälschlicherweise auf eine besonders anstrengende, von kontroversen Diskussionen geprägte Konferenz zurück und war etwas überrascht, wie frisch der Inder und der Indianer aussahen. Kopfschüttelnd verließ sie den Konferenzraum.

      Rising Sun forderte seine Gäste auf, ihre Plätze am anderen Tisch einzunehmen. Die fünf erhoben sich mühsam und setzten sich auf ihre neuen Plätze. Jonathan hatte seinen Platz bereits eingenommen und seinen Teller mit einer doppelten Portion bis zum Rand ausgelastet. Rising Sun erhob sich ebenfalls, ging um den Tisch herum und füllte die Teller der fünf Herren, die ihn immer noch verständnislos anstarrten, ebenfalls bis zum Rand. Dann nahm er seinen Platz ein und bediente sich mit für Indianer typischer Zurückhaltung aus der Schüssel.

      „Meine Herren, es gibt heute zur Feier des Tages Pemmikan nach Art des Stamms der Namenlosen. Guten Appetit. Und falls es nicht reicht, Frau Luxuriant kann jederzeit noch etwas nachreichen.“

      Die fünf Profidiplomaten nahmen ihre letzten Gedanken zusammen und fragten sich, was der Indianer mit ‚Zur Feier des Tages‘ meinte. Wahrscheinlich hatten sie etwas Wichtiges verpasst. Lustlos stocherten sie auf ihren Tellern herum und hatten den unter normalen und unnormalen Umständen unvorstellbaren Wunsch, jetzt irgendwo in einem Gefängnis in ihrem jeweiligen Heimatland zu sein. Denn dort war bei allen negativen Rahmenbedingungen das Essen garantiert besser, und sie waren sicher vor den beiden Irren, die ihnen gegenübersaßen. Der amerikanische Profidiplomat und erfahrene Diplomatendschungelkämpfer versuchte mit letzter Kraft, über sein Mobiltelefon einen Notruf abzusetzen, aber in diesem speziell abgesicherten Konferenzraum funktionierten Mobiltelefone nicht.

      Nach einer halben Stunde, die den fünf Profidiplomaten wie eine Ewigkeit vorkamen, betrat Madame Luxuriant wieder den Raum, um die Schüssel abzuräumen. Eine innere Stimme hielt sie davon ab, die fünf Herren zu fragen, ob sie ihnen etwas von dem Pemmikan als Pemmikan to go einpacken sollte. Rising Sun bat nun seine Gäste, sich wieder auf ihre alten Plätze zu setzten. Während der Inder die Präsentation des Filmes vorbereitete, verteilte der Indianer spezielle Brillen, denn es handelte sich um einen 3D­Film. Die fünf Profidiplomaten setzten die Brillen widerstandslos auf und stierten die Leinwand an. Der Film begann auf einem Forschungsschiff, das bei Windstärke 13 versuchte, eine der Inseln der Inselgruppe im Nordwest­Pazifischen Becken zu erreichen. AlIe fünf schaukelten synchron zu den Wellen auf ihren bequemen und sehr exklusiven Designerstühlen hin und her. Als das Schiff die erste Insel erreichte, ließ das Schaukeln etwas nach, aber der Kameramann konnte sich wegen der Stürme kaum auf den Beinen halten und die Kamera schwenkte in einem atemberaubenden Tempo immer rauf, runter, kreuz und quer. Die fünf Profidiplomaten konnten sich kaum noch auf ihren Designerstühlen halten. Da wurde es urplötzlich ganz still im Konferenzraum. Der Ton war ausgefallen. Die Männer sahen unbewusst wieder auf die Leinwand. Dort sahen sie zwei possierliche Erdmännchen, die sich auf ihre Hinterbeine gestellt hatten und freundlich mit ihren Vorderpfoten in die Kamera winkten. Die fünf Männer fielen gleichzeitig in Ohnmacht. Jonathan stoppte den Film, Rising Sun holte ein kleines Fläschchen aus seiner Hosentasche und ging zu den fünf leblosen Gestalten. Jonathan stellte sich neben ihn und hielt die fünf vorbereiteten Abschlusskommuniqués in den Händen. Der Indianer öffnete den Verschluss des kleinen Fläschchens und sofort durchströmte den Raum ein Geruch, der geeignet war, Tote aufzuwecken. Nacheinander hielt der Indianer allen Fünfen die Flasche vor die Nase. Als alle leidlich wach waren, zeigte der Indianer auf die Blätter, die der Inder in den Händen hielt.

      „Meine Herren, ich gehe davon aus, dass Sie kein großes Interesse daran haben, an der jetzt noch ausstehenden Pressekonferenz teilzunehmen, denn Sie machen einen etwas abgespannten Eindruck. Ich mache Ihnen deshalb folgenden Vorschlag: Sie unterzeichnen jetzt das von Mister Confused vorbereitete Abschlusskommuniqué, und dann bringen Sie fünf Krankenwagen zurück zu Ihren jeweiligen Botschaften oder zu einem anderen Ziel Ihrer Wahl. Mein Kollege und ich stellen uns dann der Presse. Ich bin sicher, Sie sind genauso stolz wie wir, dass wir gemeinsam eine so positive und nachhaltige Lösung für die Zukunft der Inselgruppe im Nordwest­Pazifischen Becken gefunden haben.“

      Die Fünf unterschrieben unter großen Mühen an den gelb markierten Stellen und versanken dann endgültig in eine sie vor diesen Irren schützende Ohnmacht. Nachdem die fünf Profidiplomaten den Keller des UNO­Gebäudes unauffällig auf Tragen durch den Hinterausgang verlassen hatten, machten sich Rising Sun und Jonathan Confused auf den Weg zur ersten Pressekonferenz des Indianers.

      Das Interesse der Presse an der Konferenz über die Zukunft der Inselgruppe war nicht besonders groß, denn die Profipressevertreter wussten aus langjähriger Erfahrung, dass Konferenzen an einem Freitag so gut wie nie ein brauchbares Ergebnis brachten. Deshalb erschienen um kurz vor 11.00 Uhr nur wenige männliche Vertreter der Presse. Sie wurden von Madame Luxuriant wie immer sehr professionell in Empfang genommen.

      „Meine Herren, ich freue mich, dass Sie an einem Freitag die Zeit gefunden haben, um aus erster Hand das Ergebnis der Konferenz über die Zukunft der Inselgruppe im Nordwest­Pazifischen Becken von unserem neuen Mitarbeiter der Abteilung Konfliktlösungen aller Art zu erfahren. Der Mann heißt Rising Sun, ist amerikanischer Staatsbürger und gehört dem Indianerstamm der Namenlosen an. Mit dem Ende der Konferenz, und, damit verbunden, mit dem Beginn der Pressekonferenz, ist gegen 15.00 Uhr zu rechnen. Rising Sun wird dann das Abschlusskommuniqué verlesen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.“

      Die Profipressevertreter waren sprachlos, was nur zum Teil an der optischen Erscheinung von Madame Luxuriant lag. Als sie nach wenigen Augenblicken ihre Sprache wiedergefunden hatten und deshalb wieder in der Lage waren, Fragen zu stellen, hatte Madame Luxuriant den Raum schon verlassen.

      Um 14.45 Uhr waren deutlich mehr Pressevertreter gekommen, denn es hatte sich in Windeseile in der Branche herumgesprochen, dass eine Freitagskonferenz bei der UNO länger als bis 11.00 Uhr dauerte und, was einer Sensation gleichkam, ein Abschlusskommuniqué verlesen werden sollte. Und Sensationen gleich welcher Art waren die Lieblingsdroge aller Pressevertreter dieser Welt.

      Um 15.00 Uhr betraten Rising Sun und Jonathan Confused gut gelaunt den Raum und setzten sich an den für sie vorbereiteten Tisch. Der Indianer blickte kurz in die Runde und eröffnete dann die Pressekonferenz.

      „Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich über das große Interesse an der soeben zu Ende gegangenen Konferenz, die sich mit der Zukunft einer besonders schützenswerten Inselgruppe im Nordwest­Pazifischen Becken befasst hat. Diese Konferenz hat den Teilnehmern alles abverlangt. Die Herren hatten nicht mit der Dauer der Konferenz gerechnet und müssen nun dringend zu ihren Anschlussterminen. Die Diplomaten haben mich deshalb gebeten, die Präsentation des Abschlusskommuniqués zu übernehmen, und ich komme dieser Bitte gerne nach. Bevor ich Ihnen das Abschlusskommuniqué vorstelle, möchte ich Ihnen zuerst noch einen Film zeigen, der schon das ungeteilte Interesse der Konferenzteilnehmer gefunden und maßgeblich zum Gelingen der heutigen Konferenz beigetragen hat. Selbstverständlich stehe ich Ihnen im Anschluss noch für Fragen zur Verfügung.“

      Der Raum wurde verdunkelt und der Film begann. Die meisten Zuschauer waren schon nach wenigen Filmszenen seekrank und nur das noch folgende Abschlusskommuniqué hielt sie davon ab, fluchtartig den Raum zu verlassen. Das Licht ging wieder an und Rising Sun begann mit der Verlesung des Abschlusskommuniqués. Nicht alle Pressevertreter waren schon in der Lage, den Worten des Indianers zu folgen. Rising Sun beendete seine Präsentation mit den Worten:

      „Vor dem Ausgang finden Sie den Wortlaut des Abschlusskommuniqués in Papierform vor. Falls Sie Fragen haben, stehe ich Ihnen jetzt gerne zur Verfügung.“

      Aber zu Rising Suns Verwunderung schien dies nicht der Fall zu sein, und schon nach wenigen Minuten saßen der Inder und der Indianer alleine im Raum.

      „Ich bin sehr zufrieden mit dem Ausgang der Konferenz und möchte Hungriges Braungesicht als Dank für seine Unterstützung zu einem oder mehreren Pints Guinness in unser Stammlokal einladen. Ich gehe davon aus, dass unser neuer Freund Wladimir dort schon neugierig auf uns wartet.“

      10 Am Tag nach der Konferenz

      Am