Jörg Müller

Die Arche der Sonnenkinder


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Inder nicht weiterkam. Instinktiv setzte er das Gespräch fort.

      „Und wie hat der Indianer darauf reagiert?“

      „Er hat sich gefreut. Wir treffen uns übrigens morgen Abend hier. Sie können ja dazu kommen, und ich mache Sie miteinander bekannt.“

      „Ich komme gerne morgen Abend, um mir ihren Kollegen anzusehen, denn Sie haben mich neugierig gemacht. Aber ich möchte ihn erst aus der Ferne beobachten. Ich habe übrigens ein Hobby: Ich verkleide mich gerne. Es kann sein, dass Sie mich nicht erkennen. Aber wir sehen uns ja sowieso in drei Tagen wieder hier, und dann werde ich Ihnen meinen Eindruck schildern.“

      „Einverstanden.“

      Als sie sich nach drei Tagen wiedertrafen, sah der Inder Wladimir neugierig an.

      „Und, was haben Sie für einen Eindruck von dem Indianer?“

      „Eine interessante Persönlichkeit und ein ernstzunehmender Gegner. Ich bin mir fast sicher, dass er gemerkt hat, dass ich ihn beobachtet habe. Lassen Sie mir noch etwas Zeit, bis ich mir eine endgültige Meinung über Ihren neuen Kollegen gebildet habe.“

      Jonathan gab sich damit zufrieden. Wladimir holte in der darauffolgenden Woche alle verfügbaren Informationen über Rising Sun ein und kam dann zu dem Schluss, dass der Indianer zwar ein Idealist, aber kein Fanatiker war. Er musste sich eingestehen, dass ihn der junge Mann interessierte und faszinierte. In der Folgezeit beobachtete er noch zweimal den Indianer, wenn sich dieser mit seinem Arbeitskollegen zum Feierabendbier in ihrem Stammlokal traf. Bei seinem nächsten Treffen mit dem Inder machte dieser einen nachdenklichen Eindruck.

      „Wladimir, mein Kollege wird langsam ungeduldig. Er kommt mit der Denk­ und Arbeitsweise bei der UNO nicht zurecht. Vorhin stellte er mir folgende Frage: ‚Könnte es uns beiden gelingen, dieses UNO­System zu knacken, um tatsächlich mal einen Konflikt zum Vorteil aller Beteiligten und besonders für den Erhalt unseres Planeten zu lösen?‘“

      „Und was haben Sie geantwortet, Jonathan?“

      „Ich halte es für möglich und der Gedanke gefällt mir. Ich werde darüber nachdenken.“

      „Und, haben Sie schon eine Idee?“

      „Ja, vielleicht. Ich begleite den Indianer bald zu seinem Stamm. Nach diesem Besuch werde ich für mich eine Entscheidung fällen.“

      Als sich Wladimir und der Inder nach dessen Reise zum Stamm der Namenlosen wieder in ihrem Stammlokal trafen, bemerkte der Russe sofort, dass sich sein Bekannter völlig verändert hatte. Ihn umgab eine Aura, die Glück, Selbstvertrauen und Energie ausstrahlte. Der Inder wartete auch gar nicht die Bestellung ab, sondern sprudelte sofort seine Eindrücke der letzten Tage heraus.

      „Wie ich höre, hatten Sie eine gute Zeit, Jonathan.“

      „Mehr als das. Ich weiß zum ersten Mal in meinem Leben, wohin ich gehöre.“

      „Das hört sich gut an, und Sie machen mich neugierig.“

      „Ich hoffe inständig, dass ich eine Chance bekomme, dass der Stamm der Namenlosen mich irgendwann aufnimmt.“

      „Und haben Sie eine Entscheidung gefällt?“

      „Ja, ich werde aus meinem Schneckenhaus herauskriechen und dem Indianer helfen. Ich habe ihm im Überschwang der Gefühle versprochen, in einer Woche einen Vorschlag zu unterbreiten, wie wir gemeinsam seinem Ziel, die Menschen auf der Erde wachzurütteln, damit sie endlich erkennen, dass sie ihr tägliches Verhalten überdenken und ändern müssen, einen Schritt näherkommen.“

      „Haben Sie schon einen Plan?“

      „Ja, es geht um einen Konflikt, an dessen Lösung die UNO, genauer gesagt unsere Abteilung, mitwirken soll. Normalerweise wäre ich nach Schema F vorgegangen, und die Angelegenheit würde im Sande verlaufen. Aber ich habe das Gefühl, dass man hier ansetzen könnte. Mir fehlt nur noch der zündende Gedanke, wie ich das Thema anpacken muss, damit es auch für Rising Sun ein Erfolg wird. Geld spielt wie immer, wenn ich mich um ein Projekt kümmere, keine Rolle.“

      „Das hört sich interessant an. Vielleicht kann ich Ihnen mit einer Idee weiterhelfen.“

      Jonathan Confused überlegte kurz und beschrieb dann Wladimir den Auftrag, den die UNO erhalten hatte. Der hörte aufmerksam zu. Als er alle Details des Konfliktes kannte, dachte er eine längere Zeit angestrengt nach. Dann lächelte er und unterbreitete dem Inder einen Vorschlag. Der Mitarbeiter der UNO hörte fasziniert zu.

      „Und wo wollen Sie alle diese Informationen herbekommen?“

      „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Vertrauen Sie mir.“

      Jonathan bestellte noch zwei Guinness. Als sie sich nach einer Stunde verabschiedeten, waren die beiden per du und der Inder ging mit einem guten Gefühl nach Hause.

      Am nächsten Tag rief Wladimir bei Tom an.

      „Ich habe mit der Zielperson mehrfach Kontakt gehabt. Dieser Jonathan Confused ist loyal, fleißig, auf seine Art ein Genie, hat keine Freunde und ein seltsames Hobby: Er lernt Fremdsprachen. Ich mag den jungen Mann. Noch interessanter ist ein Kollege des Inders, ein junger Indianer vom Stamm der Namenlosen. Ich bin mir sicher, dass wir noch einiges von ihm hören werden. Und nun zu den beiden Gründen meines Anrufs. Erstens: Ich werde den Inder nicht anwerben und trete deshalb von dem Auftrag, den du mir gegeben hast, zurück. Zweitens: Ich möchte dem Inder und dem Indianer helfen und benötige dafür kurzfristig Informationen.“

      „Ich respektiere deine Entscheidung. Wie kommt es zu dem für dich völlig untypischen Sinneswandel? Steckt vielleicht ein noch größeres Geschäft dahinter?“

      „Nein, Tom. Es sieht so aus, als ob ich auf meine alten Tage noch sentimental werde. Lass es mich so ausdrücken: Ich helfe einem Idealisten, der es wert ist, dass wir ihm helfen. Und ich meine damit den Indianer. Also kann ich weiter auf dich bauen und besorgst du mir die Informationen?“

      „Selbstverständlich, mein Freund. Ich möchte auch einmal zu den Guten gehören. Um welche Informationen handelt es sich denn?“

      Wladimir gab die Namen und seine Informationswünsche an den Engländer durch.

      „Ich kann und werde dir helfen, nur billig ist das nicht.“

      „Mein lieber Tom, Geld spielt keine Rolle, denn diesmal bezahlt die UNO. Ich erwarte deine Informationen. Bis bald.“

      Wladimir beendete das Gespräch und ließ einen irritierten Menschen am anderen Ende der Leitung zurück. Tom hatte das Gespräch wie immer aufgezeichnet, hörte es sich noch zweimal an und machte sich Notizen, bevor er alles löschte. Immer wieder schüttelte er ungläubig den Kopf. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass er einmal von der UNO für seine Dienste bezahlt werden würde. Denn er zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass sein Freund die Wahrheit gesagt hatte.

      Tom hielt Wort und schon nach wenigen Tagen hielt Wladimir die gewünschten Informationen in der Hand und bereitete sie für den Inder auf.

      9 Eine Konferenz der besonderen Art

      Eine Woche, nachdem Rising Sun Wladimir Puschkin kennengelernt hatte, trafen sich an einem Freitagmorgen um 9.00 Uhr in einem gut abgeschirmten Sitzungsaal im Keller des UNO­Gebäudes sieben Männer, die alle eins gemein hatten: Einem dem Anlass angemessenen ernsten Gesichtsausdruck. Sechs der Herren hatten noch etwas gemeinsam. Sie trugen alle einen schwarzen Designeranzug, ein weißes Hemd, eine dunkle Fliege, schwarze Lackschuhe und eine auffällige Brille. Der siebte im Bund trug ein blaues Baumwollhemd, eine blaue Jeans und war barfuß unterwegs. In dem Sitzungssaal standen zwei Tische mit jeweils sieben Sitzgelegenheiten. Der eine Tisch sah aus wie ein normaler Konferenztisch. Vor jedem Stuhl lagen wie gewöhnlich Schreibutensilien parat und in der Mitte stand eine große Auswahl an nichtalkoholischen Getränken nebst Gläsern. Der zweite Tisch war für ein gemeinsames Mittagessen eingedeckt und irritierte fünf der anwesenden Herren doch sehr. Sie waren davon ausgegangen, dass wie bei jeder Konferenz