Jörg Müller

Die Arche der Sonnenkinder


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Arbeit damit, dass er nur mit guten Kontakten und sehr viel Geld in der Lage sein würde, das Paradies dauerhaft zu schützen.

      Im Jahr 1956 stand Moses auf dem Bahnsteig des Genfer Bahnhofs und wartete auf den Zug, mit dem er nach Bern reisen wollte. Da wurde er auf eine junge Frau aufmerksam, die weinend und völlig durchgefroren auf einer Bank saß. Sie weckte seine Anteilnahme und er ging auf sie zu. Moses konnte sehen, dass sie zusammenzuckte, als er vor ihr stand. Er sprach sie auf Französisch an.

      „Kann ich Ihnen helfen?“

      Sie gab ihm zu verstehen, dass sie kein Französisch sprach. Moses versuchte es auf Englisch und hatte damit Erfolg.

      „Warum wollen Sie mir helfen? Sie kennen mich doch gar nicht.“

      „Ich weiß es nicht. Normalerweise bin ich nicht sehr hilfsbereit.“ Die Antwort schien ihr zu gefallen und sie lockerte etwas ihre abweisende Körperhaltung.

      „Wie wollen Sie mir denn helfen?“

      „Sie sehen so aus, als ob Sie als erstes etwas Warmes zu essen und zu trinken benötigen, dann trockene Kleidung und später ein Dach über dem Kopf.“

      „Und wenn es so wäre, was habe ich zu tun, damit Sie mir all dies zur Verfügung stellen?“

      Ihre Körperhaltung war jetzt wieder völlig abweisend.

      „Ich weiß es nicht. Aber nicht das, was Sie vermuten.“

      Die junge Frau sah jetzt den vor ihr stehenden Mann genauer an.

      Er hatte eine schwarze Hautfarbe mit einem leicht bläulichen Schimmer, den sie auf die besonderen Lichtverhältnisse auf dem Bahnsteig zurückführte. Er war mindestens zwanzig Jahre älter als sie, sehr groß und elegant gekleidet und hatte interessante Augen. Als sie an dieser Stelle ihrer Analyse angekommen war, fasste sie spontan den Entschluss, dem Fremden zu trauen. Sie erhob sich von der Bank und streckte ihm ihre rechte Hand entgegen.

      „Ich heiße Lydia und nehme ihr freundliches Angebot an.“

      Moses nahm die Hand und drückte sie vorsichtig. Er war zwar gewohnt, mit den größten Despoten dieser Welt umzugehen, aber mit jungen zierlichen Frauen hatte er keine große Erfahrung.

      „Ich heiße Moses und bin mir sicher, dass wir gemeinsam etwas finden werden, wie Sie sich revanchieren können.“

      Moses ging voran und die Frau folgte ihm. Vor dem Bahnhof ging er auf ein Taxi zu und hielt Lydia die Wagentür auf. Das Taxi brachte sie zu einem kleinen Lokal direkt am Genfer See. Der Wirt kannte Moses seht gut, und wenn er sich über dessen Begleitung wunderte, so verstand er es meisterhaft, dies zu verbergen. Er begegnete der jungen Frau mit dem größten Respekt. Moses hatte es auch nicht anders erwartet.

      Nach der Vorspeise stand Moses auf, um zu telefonieren. Nach wenigen Minuten kam er zurück.

      „Ich bin Junggeselle und habe mein häusliches Schicksal in die Hand von Alma gelegt. Sie ist eine wahre Perle, aber auch wahre Perlen werden leider älter. Sie ist jetzt schon weit über 70 Jahre alt und könnte etwas Unterstützung gebrauchen. Hätten Sie Interesse und Lust, Alma zu unterstützen?“

      Das bejahte Lydia.

      Nach dem Essen stand Moses Chauffeur vor der Tür, um ihn und die junge Frau nach Hause zu fahren.

      Alma erwartete die beiden schon neugierig an der Haustür. Als Lydia ausstieg, wurde sie gleich von der Haushälterin in Empfang genommen.

      Sie fand Lydia sofort sympathisch und nahm die junge Frau unter ihre Fittiche. Im Verlauf der nächsten Monate erfuhr Moses von Lydia, dass sie aus Ungarn stammte und nichts über den Verbleib ihrer Verwandten wusste, die ebenso wie sie vor den Russen aus Ungarn geflohen waren. Moses forschte über seine Kanäle nach und konnte der jungen Frau leider keine guten Nachrichten überbringen. Ihre Eltern und alle näheren Verwandten waren wahrscheinlich auf der Flucht umgekommen. Als die Frau hörte, dass keiner ihrer Lieben mehr lebte, brach sie zusammen. Alma und Moses kümmerten sich um sie, und nachdem die junge Frau das Krankenhaus verlassen hatte und wieder halbwegs zu Kräften gekommen war, machte ihr Moses nach Rücksprache mit Alma den Vorschlag, ihn zu heiraten. Nach anfänglichem Zögern sagte sie ja. Moses wusste, dass sie ihn nicht liebte, aber mit der Zeit kamen sich die beiden trotz des großen Altersunterschieds doch näher. Anfang der sechziger Jahre brachte Lydia im Abstand von 15 Monaten zwei Jungen zur Welt. Sie wurden auf die Namen Stanley und Olliver getauft. Beide hatten die Hautfarbe ihres Vaters und die Gesichtszüge ihrer Mutter. Die Jungen wuchsen auf, ohne genau zu wissen, womit ihr Vater sein Geld verdiente. Sie wussten nur, dass er ein sehr erfolgreicher Anlagenberater war.

      Im Jahr 1960, dem „Afrika­Jahr“, wurden in Afrika viele Länder in die Unabhängigkeit entlassen, wobei die Grenzen zwischen den neu entstandenen Staaten von den ehemaligen Kolonialmächten ziemlich willkürlich gezogen wurden. Zu einer dauerhaften Befriedung des Kontinents und einer spürbaren Verbesserung der Lebensumstände der meisten Afrikaner trug dies nicht entscheidend bei. Vielmehr war in den meisten Fällen das Gegenteil der Fall. Schillernde Persönlichkeiten mit dem Hang, eine Diktatur zu installieren, wurden an die Macht gespült.

      Einen dieser neuen Diktatoren lernte Moses Mitte der 60er Jahre persönlich kennen. Auf Empfehlung traf er sich mit dem Mann, der sich in seiner bescheidenen Art „L’Empereur“ nannte, zu einem vertraulichen Gespräch in Kairo. Kaiser Kabossa war erst vor kurzem mit der Unterstützung der Franzosen an die Macht gekommen. Frankreich hatte diesen Mann, einen ehemaligen Offizier der Fremdenlegion, unterstützt, seinen Vorgänger zu stürzen, weil jener den Interessen und Wünschen Frankreichs nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte. Obwohl erst kurz im Amt, sah sich L‘Empereur schnell mit dem gleichen großen Problem konfrontiert, wie seine Kollegen-Diktatoren in anderen Ländern:

       Wie und wo finde ich eine sichere und sehr diskrete Anlagemöglichkeit für mein schnell wachsendes Vermögen?

      Die beiden trafen sich am nächsten Tag noch einmal, um die noch offenen Fragen von Monsieur Kabossa zu klären und dann zählte L‘ Emperieur zu Moses Smith‘ Kunden. Zurück in Genf beschäftigte sich Moses intensiv mit dem Land seines neuen Klienten und stellte erfreut fest, dass die Wüste, die die geheimnisvolle Felsformation und das Paradies umschloss, nach der Aufteilung Kolonialafrikas im Osten des Land lag, über das Kabossa herrschte. Jetzt hatte er ein Packend, wie er sein Paradies schützen konnte: Er würde seinem neuen Geschäftspartner diesen Teil des Staatsgebietes abkaufen. Moses wartete von nun an auf den passenden Zeitpunkt, um dem Diktator ein Geschäft vorzuschlagen.

      Ein Jahr später verabredeten sich die beiden wieder in Kairo. L‘Empereur war mit dem bisherigen Verlauf der Geschäftsbeziehung sehr zufrieden, machte aber sofort deutlich, dass seine persönlichen Ausgaben in einem Umfang stiegen, den er sich selbst vorher nicht hatte vorstellen können.

      „Monsieur Smith, haben Sie eine Idee, wie ich mein kleines Problem lösen kann?“

      Moses hatte eine Idee, die er seinem Gesprächspartner sofort vorstellte.

      „Ich möchte Ihnen ein Stück unbewohnter und nutzloser Wüste abkaufen.“

      Der Diktator dachte zuerst an einen schlechten Scherz, aber als Monsieur Smith eine Zahl nannte, war dem an Geldmangel leidenden Diktator sofort klar, dass der Anlagenberater seines Vertrauens nicht scherzte.

      „Warum wollen Sie denn dieses wertlose Stück Wüste unbedingt kaufen? Ich halte Sie für einen Profi und Profis verschenken nichts.“

      „Monsieur L‘Empereur, ich kenne meine genaue Herkunft nicht, vermute aber, dass ich irgendwo in dieser Region geboren worden bin und möchte in aller Ruhe nach Spuren meiner Vorfahren suchen.“

      „Das soll ich glauben, Monsieur Smith?“

      „Das überlasse ich Ihnen, Monsieur. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Vor mir liegt ein Kartenausschnitt Ihres Landes, in den ich die von mir gewünschte Fläche eingezeichnet habe. Sie machen sich vor Ort ein eigenes Bild von dieser unbewohnten und wertlosen Wüste und wir sprechen dann anschließend nochmal über mein für Sie sehr lukratives Angebot.“

      Man