Jörg Müller

Die Arche der Sonnenkinder


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Menschen dürfen dieses Geschenk Gottes nicht entweihen.

      - Bitte begrabt mich dort.“

      Die Söhne standen spontan auf und umarmten ihren Vater.

      „Vater, Stanley und ich werden deine Bitten erfüllen.“

      „Noch eins zum Abschluss: Kümmert euch immer gut um eure Mutter.“

      Moses arbeitete seine Söhne ein und verstarb drei Jahre später. Er hatte zwar bis zu seinem Tod nicht herausgefunden, wo genau seine Wurzeln waren, aber dafür seinen inneren Frieden gefunden, und dafür war er dem Schöpfer dieses Paradieses sehr dankbar. Stanley und Olliver begruben ihren Vater zwischen den Felsbrocken in der Nähe der Gangöffnung. Sie errichteten über der Urne, in der sich die sterblichen Überreste ihres Vaters befanden, eine kleine Pyramide aus Steinen und blieben dann noch eine Stunde neben dem Grab stehen, ohne ein Wort zu sagen. Dafür ertönten aus dem Wald viele Tierstimmen. Diesmal drückten sie aber keinen Protest über die Anwesenheit der beiden Fremden, sondern nur tiefe Trauer aus.

      Stanley und Olliver verwischten so gut es ging die Spuren vor der Felsöffnung und zogen den Leiterwagen zurück zum Flugzeug. Stanley setzte sich hinter das Steuer und startete den Motor. Nur wenige Augenblicke später hatten die Brüder die Felsformation und das Grab ihres Vaters für immer hinter sich gelassen.

      2 Der Stamm der Namenlosen

      Als vor über 500 Jahren die neue Welt entdeckt wurde, lebten dort Menschen, die von den Entdeckern Amerikas irrtümlich für Inder gehalten wurden. Da sie im Gegensatz zu den bekannten Indern eine hellere, ins rötliche tendierende Hautfarbe besaßen, wurden sie später im Englischen Red Indians, rote Inder, und im Deutschen Indianer genannt. Es gab die unterschiedlichsten Indianerstämme, die sich über weite Teile Nordamerikas verteilten. Da sie den Eroberern waffentechnisch deutlich unterlegen waren, wurden die Ureinwohner im 18. und 19. Jahrhundert immer weiter aus ihren angestammten Gebieten verdrängt und später in Reservate abgeschoben. Ein Stamm unterschied sich von allen anderen. Er war deutlich kleiner und bewohnte eine Gegend, die so unwirtlich war, dass kein Siedler sich dort niederlassen wollte und der Stamm deshalb nicht aus seinem Gebiet verdrängt wurde. Da diese Indianer kaum Kontakt zu anderen Stämmen oder später zu den weißen Eroberern pflegten, wusste keiner, wie der Stamm hieß. Deshalb bekam er den Namen the nameless ­ die Namenlosen. Dieser Stamm hatte sich schon vor langer Zeit mit der spärlichen Vegetation in seinem Gebiet arrangiert und entlockte der kargen und trockenen Erde genügend Nahrung für den ganzen Stamm. Das Wasser entnahmen die Indianer gut versteckten Brunnen, die schon ihre Vorfahren angelegt hatten.

      Ende des 19. Jahrhunderts verließen die ersten männlichen Stammesmitglieder ihr Gebiet und machten sich auf den Weg in die großen Städte der Weißen. Da sie sehr genügsam waren und eine schnelle Auffassungsgabe hatten, brachten sie es schnell zu einem bescheidenden Wohlstand. Ihre Familien ließen sie in der Obhut ihres Stammes zurück. Mehrmals im Jahr reisten sie zurück in ihr Stammesgebiet, um ihre Familien und Freunde zu besuchen. Schon bald studierten die ersten Namenlosen und wurden angesehene Anwälte und Kaufleute. Aber alle verband der Wunsch, ihre freie Zeit und ihren Lebensabend gemeinsam mit ihrem Stamm zu verbringen.

      Mitte des 20. Jahrhunderts bekam der Stamm der Namenlosen Besuch von zwei männlichen und hochrangigen Vertretern eines Ölkonzerns. Dieser Konzern war davon überzeugt, dass es unter dem Gebiet, auf dem der Stamm der Namenlosen lebte, riesige Vorkommen an Gas und Erdöl gab und wollte deshalb das ganze Gebiet käuflich erwerben. Die beiden Herren gingen davon aus, mit diesem kleinen und in jeder Hinsicht zurückgebliebenen Stamm schnell und für ein Butterbrot einig zu werden. Der Häuptling hatte keine große Lust, sich mit diesen beiden unsympathischen Bleichgesichtern zu unterhalten, hielt ihnen die Visitenkarte eines Mitglieds seines Stammes unter die Nase, der irgendwo erfolgreich als Anwalt arbeitete und forderte dann seine ungebetenen Gäste durch ein unmissverständliches Zeichen auf, sich schnell wieder zu entfernen.

      Die merklich irritierten Bleichgesichter kamen der Forderung unverzüglich nach und vereinbarten einen Termin mit dem Anwalt, dessen Name auf der Visitenkarte stand. Bei dem ersten Gespräch wurden den beiden hochrangigen Vertretern schnell klar, dass es sich bei der Annahme, der Stamm der Namenlosen bestehe nur aus zurückgebliebene Idioten, um eine der größten Fehleinschätzungen in der erfolgreichen Unternehmensgeschichte des Ölkonzerns handelte. Der Anwalt las sich den Vertragsentwurf des Ölkonzerns kurz durch, lächelte dann seine Gäste freundlich an, zerriss den Vertragsentwurf und legte ihn dann ordentlich im Papierkorb ab.

      „Meine Herren, ich besuche in drei Wochen meinen Stamm. Dort werde ich ihren Wunsch vortragen und besprechen. Ich melde mich dann wieder bei Ihnen. Damit Sie nicht mit leeren Händen vor Ihren Vorstand treten müssen, möchte ich Ihnen etwas mit auf den Heimweg geben. Damit ein weiteres Gespräch überhaupt Sinn ergibt, muss der von Ihnen angebotene Kaufpreis mindestens mit der Zahl 100 multipliziert werden. Die Betonung liegt auf mindestens.“

      Der Anwalt startete am nächsten Tag mit zwei anderen Stammesmitgliedern die Suche nach einer alternativen Fläche, die als neue Heimat für den Stamm der Namenlosen geeignet war. Der eine war ein Geologe, dem der Ruf vorauseilte, Wasservorkommen „riechen“ zu können, eine Fähigkeit, die im Stamm der Namenlosen keine Seltenheit war. Der andere hatte sich als Botaniker einen Namen gemacht. Die drei wurden schnell fündig. Es handelte sich um eine abgelegene Wüstenregion, die an den Rändern von ausgedehnten Kakteenwäldern eingerahmt war. Der Geologe fand schnell eine ergiebige Wasserader und der Botaniker war sehr zufrieden mit der vorhandenen Flora. Die beiden Experten waren sich sicher, dass ihr Stamm hier gut leben konnte.

      Als der Anwalt das nächste Mal seinen Stamm besuchte, informierte er den Ältestenrat während eines Pow Wows über den Stand der Verkaufsverhandlungen mit dem Ölkonzern. Die daran anschließenden Wortmeldungen der ansonsten sehr wortkragen Indianer zogen sich erwartungsgemäß in die Länge, aber diesmal ließ der Anwalt nicht locker und schließlich beauftragte ihn der Häuptling offiziell damit, mit dem Ölkonzern ernsthaft zu verhandeln. Das tat der Anwalt dann auch, und zwar sehr erfolgreich. Mit dem Hinweis, dass eine große Mehrheit der Stammesmitglieder ein angemessenes Schmerzensgeld erwarte, weil sie ja nun ihre geliebte Heimat auf immer verlassen müssten, verlangte er auf das zweite Kaufangebot des Konzerns (erstes Angebot x 100) einen weiteren Aufschlag von 50%. Als die Vertreter des Ölkonzerns merkten, dass der Anwalt offensichtlich keine Lust verspürte, noch weiter über den Kaufpreis zu diskutieren, willigten sie ein. Es wurde vereinbart, den Vertrag im Beisein eines Notars im Zelt des Häuptlings zu unterschreiben. Nach dem Vertragsabschluss schwammen sowohl der Ölkonzern als auch die Indianer: Der Ölkonzern in Öl und Gas und die Namenlosen in Geld.

      Ein vom Anwalt ins Leben gerufener elfköpfiger Rat, alle vom Stamm der Namenlosen, verwaltete und vermehrte das neue Vermögen des Stamms zum Wohle aller Stammesmitglieder, die sich alle in ihrer neuen Heimat sehr wohl fühlten, denn das auf den ersten Blick undurchdringliche Kaktusfeld, das die neue Heimat der Namenlosen umschloss, hielt Neugierige sehr wirkungsvoll fern.

      Im vierten Quartal des 20. Jahrhunderts hieß der Häuptling des Stamms der Namenlosen Diogenes. Der Rat des Stamms hatte ihm diesen Ehrennamen verliehen, weil er wie sein großes Vorbild den ganzen Tag in einer Tonne vor dem Häuptlingszelt lag, eine Pfeife rauchte und philosophierte. Berüchtigt waren die Streitschlichtungen, die er von Amts wegen vornahm. Es gab zwar nur selten Streit unter den Indianern des Stammes der Namenlosen, aber wenn es Streit gab, dann richtig. Bis Diogenes Häuptling wurde. Er begann jede Gerichtsverhandlung mit einem Pow Wow. Das war für seine Stammesbrüder und ­schwestern nichts Neues. Neu war der Zeitbedarf, den Diogenes für so ein Pow Wow benötigte. Der Rekord lag bei 48 Stunden. Da alle Streitparteien dann schon längst schliefen, war für ihn der Streitfall erledigt und er musste kein Urteil sprechen. Diogenes Strategie der Streitschlichtung sprach sich schnell herum, und so beschlossen die Indianer vom Stamm der Namenlosen, ihre Streitigkeiten zukünftig heimlich und vor allen Dingen ohne den Häuptling zu regeln. Diogenes nahm dies erfreut zur Kenntnis, denn so hatte er noch mehr Zeit zu philosophieren.

      Während Diogenes sehr groß und schlank war, wog seine Frau, obwohl fast einen halben Meter kleiner,